Ausgabe November 2008

Ein Traum der Vernunft

Das weiße Eutopia des James Watson

Vor 55 Jahren veröffentlichten Francis Crick und James Watson ihre folgenreiche Arbeit über die Struktur der DNA; 1962 erhielten sie dafür den Nobelpreis für Medizin. Vor einem Jahr wurde Watson wegen rassistischer Äußerungen seiner Funktionen am Cold Spring Harbor Laboratory in Long Island, New York, enthoben. Dass es sich bei dessen „weißen Utopien“ keineswegs um zufällige Entgleisungen handelte, zeigt der folgende Essay. – D. Red.

„El sueño de la razón produce monstruos“(Capricho 43)

Cold Spring Harbor scheint ein Ort des Grauens. So jedenfalls inszenierte ihn eine Fernsehserie, der er als Kulisse für den Showdown zwischen „Godzilla“ und mehreren Robotern diente. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass er im Laufe seiner Geschichte noch andere Ungeheuer beherbergt hat. Die beiden bekanntesten heißen Charles Davenport und James Watson. Beide waren eine zeitlang Direktoren am Cold Spring Harbor Laboratory. Der eine fungierte als „Papst“ der Eugenik in den USA, der andere gilt als „Godfather“ der DNA.

Derart höhere Weihen werden freilich vom Vorwurf des Rassismus getrübt. Dabei lässt sich Davenports Beteiligung an der biologischen Kriegführung gegen die Schwachen nicht bestreiten. Von interessierter Seite wird sie allerdings in beschönigende Formulierungen gefasst. Das Internetarchiv des Laboratory sieht sie als „ein klassisches Beispiel gut gemeinter, aber tragisch falsch informierter Wissenschaft“.

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In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

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