Ausgabe April 2012

Griechenland: Wahlschlacht im Schuldturm

Als im 13. Jahrhundert Marco Polo aus China nach Venedig zurückkehrte, erntete er Spott mit einer neuen Zahl, die in seiner Reisebeschreibung immer wieder auftauchte: Million. Bis dahin war man gewohnt, höchstens in Tausenden zu rechnen. Heute zählen Millionen nicht mehr. Seit Ausbruch der internationalen Finanzkrise ist nur noch von Milliardenbeträgen die Rede, vorzugsweise von dreistelligen.

Speziell jene Staaten, die die Krise besonders beutelt, werden ausschließlich als ökonomische Unsicherheitsfaktoren wahrgenommen, als Empfänger von Krediten und Adressaten von Sparappellen. Die Auswirkungen für die Bürgerinnen und Bürger und für das politische System der Krisenländer, speziell das Funktionieren der parlamentarischen Demokratie, geraten weit weniger ins Blickfeld. Dabei sind sie schon jetzt beachtlich, ja Besorgnis erregend. „Klassische“ Parteienregierungen, die aus Wahlen hervorgehen, nehmen sukzessive ab. An ihre Stelle treten Expertokratien wie die von Mario Monti in Italien und Lukas Papadimos in Griechenland.

Wahlen im Zeichen der Wut

Griechenland als das durch die Schuldenkrise am härtesten getroffene Land bietet auch das beste Beispiel dafür, wie gravierend sich die politische Szenerie seit Beginn der Krise verändert hat, ohne dass dies im Ausland richtig wahrgenommen wird.

Sie haben etwa 11% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 89% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1.00€)
Digitalausgabe kaufen (9.50€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Politik vor Recht: Die Aushöhlung der liberalen Demokratie

von Miguel de la Riva

Als der FPÖ-Chefideologe und heutige Parteivorsitzende Herbert Kickl im Januar 2019 in einem ORF-Interview darauf angesprochen wurde, dass seine Asylpläne an die Grenzen von EU-Recht, Menschenrechtskonvention und Rechtsstaat stoßen, antwortete der damalige österreichische Innenminister, „dass das Recht der Politik zu folgen hat und nicht die Politik dem Recht“.

Ernst, aber nicht hoffnungslos

von Thorben Albrecht, Christian Krell

Spätestens seit Ralf Dahrendorfs berühmt gewordener These vom „Ende des sozialdemokratischen Jahrhunderts“ gehören SPD-Niedergangsprognosen zu den Klassikern der parteibezogenen Publizistik. Die Partei hat diese Prognose bisher um 42 Jahre überlebt. Aber das konstituiert keine Ewigkeitsgarantie.