Ausgabe April 2012

Militärjustiz: Aus alt mach neu?

Wie ein roter Faden zieht sich durch die Geschichte der Bundesrepublik der Versuch der Regierenden, eine selbstständige Militärjustiz einzuführen. Erst die rot-grüne Koalition schien das Thema endgültig von der politischen Agenda abzusetzen, indem sie 1999 einen extra dafür vorgesehenen Haushaltsposten ersatzlos strich.

Doch die Entwarnung kam zu früh: In ihrem Koalitionsvertrag von 2009 vereinbarten CDU/CSU und FDP eine „zentrale Zuständigkeit für die Verfolgung der Straftaten der Soldaten“, die im Ausland begangen werden.[1] Mittlerweile liegt bereits ein zweiter Referentenentwurf vor, über den bis März beraten wurde. Im April will die Bundesregierung nun dem Parlament einen entsprechenden Gesetzestext zur Beratung und Beschlussfassung vorlegen. In diesem hat man bereits das idyllische Kempten in Bayern als Ort des neuen Gerichtsstands festgelegt.

Die Öffentlichkeit hat das Vorhaben bisher kaum zur Kenntnis genommen. Dieses Desinteresse an einer höchst sensiblen Frage ist zumindest erstaunlich. Schließlich fällte allein die NS-Militärjustiz rund 30000 Todesurteile, von denen etwa 20000 vollstreckt wurden. Erst 1995 wurde sie vom Bundesgerichtshof als „Blutjustiz“ bezeichnet. Die Kontroverse über die Aufarbeitung der NS-Militärjustiz durchzieht seit dem Filbinger-Skandal zu Beginn der 1970er Jahre die Geschichte der westdeutschen Gesellschaft.

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