Ausgabe Januar 2013

Tod in Galway

Das Schicksal von Savita Halappanavar, einer 31jährigen Zahnärztin aus Indien, die mit ihrem Mann nach Irland gezogen war, hallt weltweit nach. Die schwangere Halappanavar starb, nachdem Ärzte sich aufgrund des irischen Abtreibungsverbots geweigert hatten, ihren 17 Wochen alten Fötus zu entfernen, obwohl sie offensichtlich erkannt hatten, dass der Fötus nicht lebensfähig war – als sich ihr Zustand verschlechterte, verlegten sie Halappanavar auf die Intensivstation.

Indische Aktivisten sind empört. „Für Männer gibt es keine Regeln, wann, wo oder wie ihnen medizinische Hilfe zuteil werden soll, aber die Regierungen erlassen Gesetze, die den Zugang von Frauen zu sicherer Abtreibung festlegen, erschweren oder beschneiden”, sagte Anjali Sen, die Südasien-Direktorin des Internationalen Verbands für Familienplanung. „Richtige und notwendige Pflege hätte ihr Leben retten können. Es ist unverzeihlich, dass Ärzte ihr beim Sterben zugeschaut haben, anstatt sie zu retten.”

Am 21. Oktober litt Halappanavar unter extremen Schmerzen. Nachdem man ihr sagte, dass der Fötus nicht überleben und sie eine Fehlgeburt haben würde, bat sie nach Aussage ihres Ehemanns wiederholt um einen Schwangerschaftsabbruch. Aber dann lernte das Paar, dass Irland ein katholisches Land ist; das Herz des Fötus schlug noch, ein Abbruch kam daher nicht in Frage. Halappanavar starb an Blutvergiftung, die, so ist sich ihre Familie sicher, durch eine Abtreibung hätte verhindert werden können.

Proteste in Irland brachten Premierminister Enda Kenny in Zugzwang, Aktivisten dort, wie auch in Indien, behaupteten, Ursache für Halappanavars Tod sei eine theokratische Gesundheitspolitik. Irische Abtreibungsaktivisten weisen darauf hin, dass das Leben des Fötus gegenüber dem Leben der Mutter in ihrem Land, rechtlich gesehen, keinen Vorrang hat, allerdings gegenüber der Gesundheit der Mutter – eine Unterscheidung, die amerikanische Abtreibungsgegner schon lange auch in den Vereinigten Staaten einführen wollen.

So stellt der Fall von Halappanavar das westliche Vorurteil über vermeintlich abergläubische und extrem religiöse östliche Gesellschaften auf den Kopf. Halappanavar starb aufgrund des fanatischen, atavistischen Verhaltens einer westlichen Theokratie, während indische Protestierende und Gesetzgeber das wissenschaftliche, rationalistische Ethos der Aufklärung hochhielten. Wir im Westen sind so sehr an „unsere” religiösen Fanatiker gewöhnt, dass wir sie kaum jemals so betrachten wie diejenigen des Ostens. Aber Halappanavars Tod lässt uns keine Wahl. Eine Nicht-Katholikin, die durch einen nicht lebensfähigen Fötus langsam vergiftet wurde, sollte ihre Nicht-Behandlung akzeptieren, weil der Papst, auf Anordnung des Heiligen Paulus, ihren Ärzten die Hände band. Man stelle sich den Aufschrei vor, den es gegeben hätte, wäre eine nichtmuslimische Frau gestorben, weil ein Imam ihr aus religiösen Gründen medizinische Hilfe verweigert hätte.

Die Tatsache, dass sich die Aufregung bis nach Indien verbreitete, veranschaulicht die vielen Möglichkeiten, wie man Abtreibung betrachten kann – sogar aus religiöser Perspektive. Wie ich bereits vor 20 Jahren bemerkte, ist die westliche, christlich-katholische Sichtweise der Abtreibung nicht die einzige religiöse Interpretation des Themas.

Dem Hinduismus zufolge bedeutet eine Abtreibung schlechtes Karma, aber dies ist nicht dasselbe wie die manichäische Ansicht der fundamentalen Christen und der katholischen Kirche. Die medizinische Ethik der Hindus ruft zu ahimsa oder „Gewaltlosigkeit” auf, das heißt, sie verpflichtet einen Arzt, den in einer Situation geringstmöglichen Schaden zu verursachen. Aus hinduistischer Sicht hätte das Leben der Mutter im Fall Halappanavar also gerettet werden müssen, wenn der Fötus es gefährdet. In dieser Hinsicht ähnelt der Hinduismus dem Judentum und sogar dem orthodoxen Judentum – dort ist „das Leben der Mutter wichtiger als das des Fötus.”

Zwar wird Abtreibung in Indien negativ gesehen, sie ist aber nicht illegal – wahrscheinlich deshalb, weil man sie als Angelegenheit der persönlichen Moral betrachtet. Dabei wird die Last dessen, was wir im Westen „Wahlfreiheit” nennen würden, dem Karma aufgebürdet. (Tatsächlich ist das Abtreibungsproblem in Indien am anderen Ende des Spektrums angesiedelt: Die Abtreibung weiblicher Föten ist deshalb weit verbreitet, weil Söhne kulturell bevorzugt werden, eine Situation, die meiner Meinung nach auch Mütter Gewalt aussetzt.)

Die Kulturschlacht um den Tod von Halappanavar ist noch lange nicht beigelegt. Irische Frauen fragen sich zu Recht, ob es beim nächsten Mal sie sind, die einer religiösen Sichtweise zum Opfer fallen, die nichts mit ihren medizinischen Bedürfnissen zu tun hat. Aber es ist der Aufschrei in Indien, wo Protestierende fordern, dass Abtreibung in Irland als private medizinische Entscheidung zwischen einer Frau und ihren Ärzten behandelt werden sollte, der den Weg weisen könnte – hin zu einem globalen Dialog über das universelle Recht von Frauen auf Gesundheit und Freiheit bezüglich ihrer Fortpflanzung.

Dass solch ein globaler Dialog im „Osten” beginnt, ist nicht neu. Erst kürzlich zeigte sich die wachsende internationale Forderung nach Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten, als afghanische Gesetzgeber, vergeblich aber ehrenhaft, den amerikanischen Besatzern die Prinzipien der US-Verfassung erklärten – diese wollten dort Festnahmen ohne Prozess ermöglichen.

Wenn der Westen aufgefordert wird, seinem eigenen Selbstbild als Bastion von Vernunft und menschlicher Freiheit gerecht zu werden, ist das eine gesunde Entwicklung. Würde er sich seinen Rückfällen in Fanatismus und Barbarei stellen, wäre das ein guter Start.

Übersetzung: Harald Eckhoff ©Project Syndicate

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