Ausgabe Juli 2015

Die Barbaren sind immer die Anderen

Als am 24. März der Airbus 4U9525 der Lufthansa-Tochter Germanwings in Südfrankreich absichtlich zum Absturz gebracht wurde, war danach in den Medien umgehend reißerisch vom „größten Massenmörder in der deutschen Geschichte des 21. Jahrhunderts“ die Rede. Welcher Begriff bei der Beschreibung der Tat, trotz der 149 unschuldigen Opfer, allerdings nie fiel, war das Wort „barbarisch“. Ganz anders stellte sich die Lage nach den jüngsten Attentaten in Paris dar, die umgehend als barbarisch bezeichnet wurden. Ganz offensichtlich ist uns der depressive Copilot aus der Eifel wesentlich näher als die islamistischen Mörder der Karikaturisten von „Charlie Hebdo“.

Wenn also heute etwas als barbarisch bezeichnet wird, dann noch immer das Andere, das Fremde. Die Anschläge auf die Satire-Zeitschrift führten zu einer regelrechten Aktivierung der Rhetorik der Barbarei. Bundeskanzlerin Angela Merkel, aber auch diverse Außenminister sprachen fast schon gewohnheitsmäßig von „barbarischen Anschlägen“. Die Wirkung liegt auf der Hand: Die Rede von der Barbarei setzt den Träger der Barbarei oder einer barbarischen Handlung vermittels moralischer Empörung rhetorisch auf die Anklagebank und fällt das Urteil gleich selbst. Barbarische Taten sind verabscheuungswürdig, sie verstoßen gegen grundlegendste Regeln der Humanität.

Sie haben etwa 4% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 96% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (2.00€)
Digitalausgabe kaufen (10.00€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe Dezember 2025

In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Micha Brumlik: Ein furchtloser Streiter für die Aufklärung

von Meron Mendel

Als die Hamas am 7. Oktober 2023 Israel überfiel und anschließend der Krieg der Netanjahu-Regierung in Gaza begann, fragten mich viele nach der Position eines Mannes – nach der Micha Brumliks. Doch zu diesem Zeitpunkt war Micha bereits schwer krank. Am 10. November ist er in Berlin gestorben.

Warnungen aus Weimar

von Daniel Ziblatt

Autokraten sind vielerorts auf dem Vormarsch. Ihre Machtübernahme ist aber keineswegs zwangsläufig. Gerade der Blick auf die Weimarer Republik zeigt: Oft ist es das taktische Kalkül der alten Eliten, das die Antidemokraten an die Macht bringt.