Ausgabe Mai 2015

Das neue Grauen

Bild: Screenshot »Brennpunkt« (ARD), 24.3.2015

Ist etwas passiert in der Welt, das „uns“ nahegehen soll, erscheinen Zeitungen und Sondersendungen nicht mehr nur mit breiten Schlagzeilen und Breaking-News-Symbolen, sondern mit Trauerrand und schwarzen Schleifchen. Die Nachrichtensprecherinnen passen ihre Stimmlage und Mimik dem Anlass an, derweil sich die Moderatoren im Studio, die Reporter vor Ort und die angereisten Politiker gleichermaßen „geschockt“, „erschüttert“, „fassungslos“ und „entsetzt“ zeigen über die „furchtbaren“ Ereignisse. Alle zusammen bekennen vor laufender Kamera, mit ihren Gedanken „zuerst bei den Angehörigen“ zu sein.

Die seit langem intensivste Emotionalisierungswelle der Berichterstattung begann im Januar d. J. anzuwachsen. Terroristen hatten die Redaktion des Satire-Magazins „Charlie Hebdo“ und einen Pariser Supermarkt überfallen und dabei zwölf Menschen getötet. Eine Woche lang beherrschte das Ereignis die Medien so sehr, dass andere „Schreckensmeldungen“ kaum durchdrangen. Die psychologische Verarbeitung der „unvorstellbaren“ Tat von Paris hatte Vorrang. Und der mediale Drang, den Lesern und Zuschauern etwas vortrauern zu müssen, steigerte sich noch, als am 24. März ein Flugzeug der Lufthansa-Tochter Germanwings mit 150 Menschen an Bord in den Alpen zerschellte. Für die 150 Studenten, die am 2.

Sie haben etwa 18% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 82% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1.00€)
Digitalausgabe kaufen (10.00€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe November 2025

In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Warnungen aus Weimar

von Daniel Ziblatt

Autokraten sind vielerorts auf dem Vormarsch. Ihre Machtübernahme ist aber keineswegs zwangsläufig. Gerade der Blick auf die Weimarer Republik zeigt: Oft ist es das taktische Kalkül der alten Eliten, das die Antidemokraten an die Macht bringt.

Von Milošević zu Trump: Die bosnische Tragödie und der Verrat an den Bürgerrechten

von Sead Husic

Es herrschte keine Freude bei der bosnisch-herzegowinischen Regierungsdelegation am 22. November 1995 auf dem Wright-Patterson-Luftwaffenstützpunkt in Dayton. Eben hatte sie dem Friedensabkommen mit der Bundesrepublik Jugoslawien, die noch aus Serbien und Montenegro bestand, und Kroatien zugestimmt, doch sie fühlte sich betrogen.