Ausgabe Juli 2020

Förderung in alle Ewigkeit?

Wie der Staat den Kirchen auf den Leim geht

Kurz vor dem Corona-Lockdown gab es am 13. März eine fast schon historisch zu nennende Stunde in der Bundespressekonferenz: Drei Oppositionsparteien im Bund – Grüne, FDP und die Linke – legten den Entwurf eines Grundsätzegesetzes zur Ablösung der Staatsleistungen[1] vor. Historisch deswegen, weil damit ein über hundert Jahre alter Verfassungsauftrag erfüllt werden soll – und weil diese Initiative, anders als der erste Vorstoß 2012 von der Linkspartei, durchaus eine gewisse Chance auf Erfolg hat: Es könnte tatsächlich gelingen, einen alten Zopf abzuschneiden – die Frage ist nur: zu welchen Bedingungen?

Worum geht es? Jährlich, und zudem jährlich ansteigend, zahlen die Bundesländer, mit Ausnahme von Bremen und Hamburg, Staatsleistungen an die beiden großen Kirchen in Deutschland; für 2020 liegen die Zahlungen bei insgesamt knapp 570 Mio. Euro.[2] Vereinbart sind diese Staatsleistungen in Staatskirchenverträgen oder Konkordaten, also Verträgen zwischen den Bundesländern und den Kirchen. Die Kirchen bekommen diese staatlichen Zahlungen als Zuschuss zur freien Verfügung, also nicht für geleistete soziale oder pädagogische Arbeit.

Die Geschichte dieser Zahlungen ist freilich schon alt: Die Weimarer Reichsverfassung wollte sie eigentlich vor bereits hundert Jahren beenden; dort heißt es in Artikel 138: „Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.“ Tatsächlich hatten sich die Länder des Deutschen Reiches im Laufe des 19. Jahrhunderts per Gesetz oder Vertrag zu finanziellen Zahlungen an die Kirchen verpflichtet. Es war die Zeit, als die Kirchen aus den staatlichen Ministerien regiert wurden, die Zeit eines Staatskirchentums. Die Protestanten kannten dieses System als landesherrliches Kirchenregiment schon seit der Reformation: Der Landesherr war zugleich der Kirchenregent. Für die Katholiken wurde dies nach der Aufhebung der geistlichen Fürstentümer durch den Reichsdeputationshauptschluss von 1803 und dem umfangreichen Verlust vieler Ländereien ebenfalls umgesetzt: Auch sie wurden in die weltlichen Herrschaftsgebiete inkorporiert und vom Staat finanziert.

Zumeist bedeutete dies, dass die Kirchenverwaltung und Teile der Pfarrbesoldung direkt vom Staat bezahlt wurden; viele Pfarrer wurden aber weiterhin von den Gütern der Pfarreien bezahlt. Dazu kam im Laufe des 19. Jahrhunderts die Kirchensteuer, die die Kirchen zunehmend finanziell selbstständig machte. Die Weimarer Reichsverfassung wollte nun die Trennung von „Thron und Altar“ – und zwar auch in finanzieller Hinsicht. Man konnte sich aber auf kein konkretes Prozedere einigen und schrieb deswegen dem künftigen Gesetzgeber den Auftrag in die Verfassung, die Staatsleistungen, also die verbliebenen Direktzahlungen an die Kirchen, abzulösen. Dazu kam es während der Weimarer Zeit jedoch nicht – und so übernahm das Grundgesetz einfach den Artikel 138 und damit auch den Auftrag zur Ablösung der Staatsleistungen.

Dieser Auftrag wurde jedoch noch während der Weimarer Zeit ins Gegenteil verkehrt, als die beiden großen Kirchen Verträge mit den neuen Gliedstaaten der Weimarer Republik schlossen, in denen verschiedene Belange geregelt wurden – unter anderem auch die Zahlungen der Staatsleistungen. Die Zahlungen wurden damit „noviert“, wie das die Juristen nennen, das heißt auf eine neue rechtliche Grundlage gestellt: Für die bisherigen Zuzahlungen für Kirchenregiment und Pfarrbesoldung wurden pauschale Summen vereinbart, die die neuen Länder des Deutschen Reiches den Kirchen weiterhin zahlen sollten. Gleiches geschah auch nach 1949; angefangen mit dem Loccumer Vertrag von 1955 zwischen dem Land Niedersachsen und den evangelischen Kirchen auf seinem Gebiet. Die in diesem Vertrag vorgesehene Dynamisierung der Staatsleistungen – analog zur Steigerung der Beamtenbesoldung – wurde zum Modell für viele weitere Verträge. Selbiges geschah auch nach 1990: Da es während der DDR-Zeit keine rechtliche Grundlage für Zahlungen des Staates an die Kirchen gegeben hatte, wurden auch für die neuen Bundesländer Staatsleistungen vertraglich geregelt.

Die Vereinbarung der Staatsleistungen auf Bundesländerebene zu je unterschiedlichen Zeiten hat einen interessanten Flickenteppich von unterschiedlich hohen Zahlungen hervorgebracht: Baden-Württemberg greift dabei, in absoluten Zahlen, mit mehr als 130 Mio. Euro pro Jahr am tiefsten in die Landeskasse. Ein völlig anderes Bild ergibt sich, wenn man die Staatsleistungen auf die Einwohnerzahl umlegt; dann führt auf einmal Sachsen-Anhalt die Liste an: Das Land, das einen Christenanteil von nur noch gut 15 Prozent an der Gesamtbevölkerung hat, zahlt gut 16 Euro pro Einwohner. In Nordrhein-Westfalen hingegen, wo immerhin noch über 60 Prozent zu einer der beiden großen Kirchen gehören, ist es nur gut ein Euro.

Noch deutlicher werden die Unterschiede, wenn man die Staatsleistungen nicht auf die Einwohner, sondern auf die Kirchenmitglieder umlegt: Dann stehen alle fünf östlichen Bundesländer an der Spitze des Ländervergleichs; angeführt von Sachsen-Anhalt, das 108 Euro pro Kirchenmitglied im Jahr zahlt. Das hat zur Folge, dass auch die einzelnen Bistümer und Landeskirchen unterschiedlich stark von den Staatsleistungen abhängig sind. In Nordrhein-Westfalen machen die Staatsleistungen mitunter weniger als ein Prozent der Kircheneinnahmen aus; bei den Bistümern und Landeskirchen in den neuen Bundesländern sind es zwischen knapp zwei und rund 20 Prozent der Einnahmen. Dieses Ost-West-Gefälle erklärt sich am Beispiel des 1993 abgeschlossenen Wittenberger Vertrages zwischen dem Land Sachsen-Anhalt und den evangelischen Landeskirchen auf seinem Gebiet. Für das Land verhandelte damals Axel Vulpius den Vertrag, ein frisch pensionierter Ministerialdirigent aus dem Westen, der beim Aufbau Ost half. Heute gibt er offen zu, dass die Höhe der vereinbarten Staatsleistungen bloß ein Schätzwert gewesen sei: Neben den alten Forderungen an das Land bezüglich der Pfarrgehälter habe man auch die staatlichen Bauverpflichtungen an Kirchgebäuden mit in die Staatsleistungen einbezogen – ohne eine genaue Aufstellung der sogenannten Baulasten, also auf Basis einer Schätzung. Die so ermittelten Staatsleistungen wurden im Landtag ohne weiteres akzeptiert. Denn damals herrschte, so Vulpius, „eine kirchenfreundliche Haltung, weil man wusste, was die Kirchen dort zu leiden hatten, gerade auch im Kirchenbau“.[3]

Und man kann ergänzen: Ein guter Teil der Regierung unter Ministerpräsident Werner Münch von der CDU, der den Vertrag unterschrieben hat, war wie Münch selber kirchlich gebunden und/oder kam aus dem Westen. Diesen Politikern war es wohl selbstverständlich, nach Jahren vermeintlicher staatlicher Unterdrückung die Kirchen aufzuwerten.

Kirchenfreundliche Staatsvertreter

Wenn man sich den nun von den drei Oppositionsparteien vorgelegten Entwurf für ein Grundsätzegesetz zur Ablösung der Staatsleistungen anschaut, dann muss man den Eindruck bekommen, dass sich an der grundsätzlich „kirchenfreundlichen Haltung“ der Politik seither nicht viel geändert hat. Die Fachpolitiker von Grünen, FDP und Linkspartei haben vor der Vorstellung des Gesetzentwurfes ausführlich mit Kirchenvertretern beraten und augenscheinlich auch einige von deren Wünschen in das Gesetz schreiben lassen. Denn inzwischen beharren die Kirchenvertreter keineswegs mehr auf einer Weiterführung der Zahlungen, da sie deren Berechtigung der Öffentlichkeit kaum mehr vermitteln können. Eine großzügige Beendigung der Zahlungen läge daher auch im Interesse der Kirchen. Deren Vertreter wiederholen nun ein ums andere Mal, dass die Ablösesumme so hoch sein müsse, dass die Kirchen aus dem gezahlten Betrag Kapitalerträge in Höhe der bisherigen Staatsleistungen generieren könnten. Das bedeutet: Die Ablösung soll für die Kirchen finanziell nichts ändern! Das ist den Kirchen in der Gesetzesvorlage nun auch im Grunde zugebilligt worden: „Grundprinzipien bei der Ablösung der Staatsleistung soll die Ablösung durch Geldleistung und das Äquivalenzprinzip sein. Das Äquivalenzprinzip verspricht einen angemessenen, weil vollständigen Ausgleich.“ Diese Wertgleichheit der Ablösesumme wurde nun im Gesetzestext mit dem Faktor 18,6 der bisherigen Staatsleistungen angegeben; das wären also rund 10,6 Mrd. Euro bundesweit. Der Faktor 18,6 stammt aus dem Bewertungsgesetz; dieses Gesetz regelt die steuerliche Bewertung von Vermögen. Danach sollen immerwährende Leistungen mit dem 18,6fachen Jahreswert berechnet werden.

Der Entwurf für ein Grundsätzegesetz verpflichtet nun die Bundesländer, innerhalb von fünf Jahren taugliche Ablösegesetze zu erlassen. Die Ablösesumme kann in Raten abbezahlt werden; allerdings muss die Ablösung nach höchstens 20 Jahren abgeschlossen sein. Aber die Ratenzahlung hat einen Pferdefuß: Denn nach dem Gesetzentwurf sollen die Staatsleistungen bis zur vollständigen Ablösung weitergezahlt werden. Das Bundesland, das die Gesamtsumme der 18,6fachen Staatsleistungen schnell abbezahlt, muss nur noch entsprechend wenige Jahre Staatsleistungen zahlen; wer dafür 20 Jahre braucht, zahlt entsprechend länger. Zu den ohnehin fälligen 10,6 Mrd. kommt somit noch einmal die Summe X hinzu, bestehend aus den bis zur vollständigen Ablöse weitergezahlten Staatsleistungen. Die Kirchen zeigen sich im Prinzip zufrieden, mosern aber, dass es besser gewesen wäre, gar keinen konkreten Faktor ins Gesetz zu schreiben. Richtig ist: Wenn der Kapitalstock bestehend aus dem 18,6fachen der jährlichen Leistung, ebendiese Leistung aus seinen Kapitalerträgen vollständig ersetzen soll, dann geht man von einer Durchschnittsverzinsung von 5,5 Prozent aus. Dabei ist fraglich, ob die in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zu erzielen sein wird. Allerdings wird dieser mögliche Wertverlust durch die Weiterzahlung der Staatsleistungen parallel zu den Ablöseraten wohl überkompensiert.

Ein parallel eingebrachter Gesetzentwurf der AfD-Fraktion sieht dagegen vor, dass die normalen Staatsleistungen bis 2026 weitergezahlt werden sollen und damit eine Ablösung erfolgt sei; nach dem Motto: Nach dann 107 Jahren ist genug gezahlt. Das Grundgesetz sieht aber eine Ablösung, also eine Form von Entschädigung, vor. Einen Zahlungsstopp als Ablöse zu definieren dürfte juristisch kaum haltbar sein.[4] Richtig ist, dass die Kirchen von der jahrhundertelangen Nicht-Ablöse profitieren: Denn Gegenstand der Ablöseforderung müssten eigentlich die Ansprüche sein, die im Jahr 1919 „durch Gesetz, Vertrag oder besondere Rechtstitel“ bestanden haben – und nicht die später verhandelten Staatsleistungen, die mit ihrer Steigerungsdynamik inzwischen ein Niveau erreicht haben, das weit über den 100 Jahre alten Forderungen liegt. Doch selbst wenn man aus Gründen der Praktikabilität an die novierten Forderungen von heute anknüpft, ist es ärgerlich, dass der Gesetzentwurf der drei Oppositionsparteien von der kirchlichen Fiktion einer großen Vermögens-Enteignung ausgeht, die angeblich stattgefunden habe und deshalb vollständig ausgeglichen werden müsse.[5]

Bei den Protestanten ist aber völlig unklar, welche Enteignungen eigentlich gemeint sein sollen: Im Jahr 1803, bei der Neuordnung des Reiches, haben sie nicht viel verloren. Deswegen wird von Kirchenvertretern mitunter recht wolkig auf Enteignungsprozesse seit der Reformation verwiesen, ohne diese genau zu benennen. Für den Fall der katholischen Kirche ist es zwar richtig, dass es 1803 zu umfangreichen Vermögensverlusten gekommen ist – einmal durch die Aufhebung der geistlichen Fürstentümer und zum anderen durch die Möglichkeit der weltlichen Fürsten, Güter von Klöstern und Stiften in ihren Herrschaftsgebieten einzukassieren. Und dennoch ist auch in ihrem Fall im Reichsdeputationshauptschluss (RDHS) eben gerade keine Entschädigung für konkrete Verluste geregelt oder auch nur in Aussicht gestellt worden. Genau beziffert wurden lediglich die Renten für die damals lebenden Würdenträger, die ihrer Einnahmequellen verlustig gingen.

Das Enteignungsnarrativ ist Geld wert

Für die erhobenen weitergehenden Forderungen wird daher oft auf den Paragraphen 35 des RDHS verwiesen. Dort heißt es aber, dass die eingezogenen kirchlichen Güter in den weltlichen Territorien, „der freien und vollen Disposition der respectiven Landesherrn [...] überlassen werden“ – und zwar „sowohl zum Behuf des Aufwandes für Gottesdienst, Unterrichts- und andere gemeinnützige Anstalten, als zur Erleichterung ihrer Finanzen“. Auf gut Deutsch: Die Landesherren sollen den Kultus finanzieren, können ansonsten aber mit dem konfiszierten Kirchengut machen, was sie wollen. Hier einen Entschädigungsanspruch zugunsten der Enteigneten hineinzulesen, ist mehr als kühn. Dass dies in der Bonner Republik tatsächlich mitunter erfolgte, zeugt vor allem von deren erstaunlich kirchenfrommer Staatsrechtslehre.

Heute aber wissen selbst kirchennahe Handbücher, dass der RDHS nicht mehr „selbst die Rechtsgrundlage“ für die Staatsleistungen ist, sondern nur „zum Anlass“ wurde, „weitere gesetzliche, vertragliche oder gewohnheitsrechtliche Anspruchsgrundlagen für Staatsleistungen an die Kirchen zu schaffen“.[6] Um ebendiese Gesetze und Verträge, die Zuschüsse für die Kirchenleitung und die Pfarrbesoldung regelten, ging es in der Weimarer Reichsverfassung, aber nicht um die Entschädigung von Vermögensverlusten von 1803 oder früher.

Nun halten die Kirchen an dem Enteignungsnarrativ natürlich nicht deswegen fest, weil sie irgendwelche verlorenen Güter wieder zurückbekommen wollen; wie gesagt, sind die genauen Verluste über die Jahrhunderte auch nicht annähernd bezifferbar. Es geht vielmehr darum, über die Rechtsfigur von Enteignung und Entschädigung den durchaus auslegungsbedürftigen Begriff der „Ablösung“ aus der Weimarer Reichsverfassung so zu füllen, dass er möglichst umfangreiche Ansprüche begründet.

Nun kann man aber in der nach wie vor maßgeblichen juristischen Monographie des Staats- und Kirchenrechtlers Michael Droege nachlesen, dass es bei der Ablösung der Staatsleistungen rechtssystematisch gerade nicht um eine Enteignung geht, sondern um eine „Entwährung“ tradierter kirchlicher Rechtstitel. Da es sich um Rechte aus einer vergangenen Gesellschaftsform handelt, nämlich einer vorsäkularen Einheit von Staat und Kirche, müssen diese in einem System der Trennung der beiden ihr Ende finden. Dieses Ende, so Droege, ist für die Kirchen durch die Ablösungsforderung abgemildert, die kein volles Leistungsäquivalent, sondern lediglich eine „angemessene Entschädigung“ fordere; das bedeute, „eine gerechte Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der bisherigen Staatsleistungsempfänger. Hierbei kann die Entschädigungsleistung ein ‚volles‘ Äquivalent der abgelösten Staatsleistung bieten, sie kann in ihrem Umfang allerdings auch hinter diesem Maximum zurückbleiben.“[7]

Auf den gegenwärtigen Entwurf angesprochen, leuchtet Droege vor allem die Weiterführung der Staatsleistungszahlungen parallel zu den Ablöseraten nicht ein. Der Entwurf begründet dies so: „Da Staatsleistungen Pachtersatzzahlungen im weitesten Sinne sind, müssen diese bis zur vollständigen Ablösung weiter an die Kirchen gezahlt werden.“ Spätestens hier kann man den Einfluss der Kirchenjuristen auf den vorgelegten Gesetzentwurf mit Händen greifen. „Pachtersatzzahlungen“ ist ein Terminus der Kirchen, wenn es um die Staatsleistungen geht. Hiermit wird behauptet, dass die Staatsleistungen quasi nur ein Ersatz seien für entgangene Pachterlöse, die die Kirchen aus ihren Ländereien hätten erzielen können, wenn sie sie weiter im Eigentum gehalten hätten. Die Staatsleistungen ersetzten also entgangene Pachterlöse, und die Ablösung der Staatsleistungen müsse nun die Substanz der Enteignungen ersetzen, so dass dann wieder Erlöse in Höhe der Staatsleistungen erzielt werden könnten.

Man reibt sich die Augen, wieso die Oppositionspolitiker den Kirchen eine solche Fiktion abgekauft haben, die die realen historischen und juristischen Zusammenhänge völlig verbiegt. Michael Droege kommt denn auch zu dem Schluss: Die Weiterzahlung der Staatsleistungen während der Ablöseraten sei faktisch für die Kirchen ein „Geschenk, das verfassungsrechtlich nicht nötig wäre“.

So begrüßenswert es also ist, dass die drei Oppositionsparteien nun endlich einen Gesetzentwurf vorgelegt haben, mit dem ein über hundert Jahre alter Verfassungsauftrag erfüllt und ein „finanzielles Überbleibsel des Staatskirchentums“[8] beendet werden kann, so sehr ist diesem Entwurf zugleich zu wünschen, dass er im Bundestag kritisch beraten wird – und dass bei einer Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und den Interessen der Kirchen diese Abwägung etwas günstiger für die Haushalte der Bundesländer ausfällt, die die enormen Ablösesummen über die nächsten 20 Jahre schließlich aufbringen müssen.

Mit herzlichem Dank an Matthias Bertsch, mit dem ich für Deutschlandfunk Kultur ein Radiofeature zum Thema erstellt habe. Die gemeinsame Recherche und die Diskussion mit ihm hat meine Sicht auf das Thema geprägt; die hier vorgestellte Sicht ist meine eigene.

 

[2] Der pensionierte Verwaltungsjurist Johann-Albrecht Haupt, Mitglied der Humanistischen Union, trägt diese Zahlen jedes Jahr aus den Haushaltsplänen der Bundesländer zusammen, da weder Staat noch Kirchen die Zahlen bundesweit publizieren, in: „Vorgänge“, 4/2019, S. 105-112, www.humanistische-union.de.

[3] Schwierige Ablösung. Radiofeature von Matthias Bertsch und Christoph Fleischmann, „Deutschlandfunk Kultur“, 3.5.2020.

[4] BT-Ds. 19/19649; http://dipbt.bundestag.de.

[5] Im Gesetzentwurf heißt es, dass „es sich bei Staatsleistungen um Entschädigungsleistungen handelt, die durch Enteignungen entstanden“ seien; deswegen seien sie vollständig, also werterhaltend auszugleichen.

[6] Renate Penßel, Artikel Reichsdeputationshauptschluss, in: Hans Michael Heinig und Hendrik Munsonius (Hg.), 100 Begriffe aus dem Staatskirchenrecht, Tübingen 2012, S. 189 f.

[7] Michael Droege, Staatsleistungen an Religionsgemeinschaften im säkularen Kultur- und Sozialstaat, Berlin 2004, S. 210.

[8] So der Kirchenhistoriker Andreas Holzem in: Schwierige Ablösung. Radiofeature, a.a.O.

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