
Bild: Ein Rendering der zukünftigen Akon City im Senegal (Hussein Bakri/BAD Consultant/Semer Group)
An einem schwül-heißen Morgen im September 2020 fanden die Bewohner der senegalesischen Hauptstadt die Hauptverkehrsadern Dakars mit Plakaten gepflastert vor: „AKON City“ prangte dort in großen Lettern, „Living in TOMORROW“. Futuristisch anmutende Gebäude aus Glas und Metall reckten sich darauf vor tropischem Hintergrund in den Himmel. Sie bewarben die geplante Gründung einer neuen Stadt hundert Kilometer südlich von Dakar, unterstützt durch den US-amerikanisch-senegalesischen Rapper Akon. Bis 2029 soll Akon City stehen und vor allem Afroamerikaner anziehen, die „zu ihren afrikanischen Wurzeln“ zurückkehren möchten.[1] In erster Linie ist Akon City aber ein gigantisches privatwirtschaftlich finanziertes Geschäftsvorhaben. Sechs Mrd. US-Dollar will der Rapper dafür von privaten Investoren mobilisieren. Die Stadt soll über eine Kryptowährung verfügen und in eine Sonderwirtschaftszone eingebettet und damit zumindest teilweise steuerbefreit sein. Damit aber wäre sie ein absoluter Fremdkörper im Senegal, das zu den ärmsten Ländern der Welt gehört und in dem die Mehrheit der Stadtbewohner in informellen Siedlungen, den Slums, wohnt.
Das Projekt Akon City steht beispielhaft für zahlreiche neue Stadtprojekte auf dem afrikanischen Kontinent, die besonders nach der internationalen Finanzkrise 2008 aus der Taufe gehoben wurden. Privates Kapital trifft dabei auf investitionshungrige Regierungen, welche die urbane Zukunft ihres Kontinents gestalten wollen – so zumindest lautet die Theorie. Allein der Senegal plant, in den nächsten fünfzehn Jahren 25 sogenannte poles urbains zu erbauen – Neugründungen oder Trabantenstädte in der Peripherie bestehender Metropolen. Die senegalesische Regierung erhofft sich davon nicht nur eine bessere Steuerung der Urbanisierung im Lande, sondern auch dringend benötigte wirtschaftliche Impulse.
Die Bilanz dieser Urbanisierungsprojekte auf dem Kontinent ist jedoch bestenfalls gemischt. Etliche Städte, die sich an eine finanzkräftige Elite richten sollten, sind nie realisiert worden, etwa das Projekt Hope City in Ghana. Andere Vorhaben, wie die als Silicon Savannah angepriesene Konza City in Kenia, sind deutlich in Verzug. Nichtsdestotrotz beschwören sie alle Modernität – durch groß angelegte Infrastrukturprojekte, moderne Technologien, datenbasierte Sicherheitskonzepte und die an das Ausland gerichtete Botschaft der Investitionsfreundlichkeit. Diese Modernität soll zum einen den oberen Mittelschichten Afrikas eine Fluchtmöglichkeit aus dem angeblichen Chaos afrikanischer Urbanisierung bieten und zum anderen internationalen Investoren eine attraktive Anlagemöglichkeit.
Sowohl städtebaulich als auch politisch stehen dabei Städte wie Shenzen, Dubai oder Singapur Pate – ohne jedoch die Realitäten in den Ländern des afrikanischen Kontinents zu berücksichtigen. Insbesondere China setzt sich für den Aufbau sogenannter Eco oder Smart Cities ein und bietet im globalen Süden entsprechende Technologien und Finanzierungen an, oftmals zu intransparenten Kreditkonditionen. Im weltweiten Aufbau dieser neuen Privatstädte sieht die Analystin Alice Ekman sogar eine spezifische Form des geopolitischen Wettbewerbs zwischen China und anderen Weltregionen.[2]
Doch nicht nur China bewirbt solche Projekte mit inhaltsleeren Labels, vielmehr nutzen weltweit Stadtentwickler im Konzert mit Regierungen die positiven Konnotationen dieser Begriffe, um Fragen über bürgerliche Beteiligungsmöglichkeiten, Kommunalpolitik oder materielle Teilhabe beiseitezuwischen. Hinter der Smart City verbirgt sich somit auch eine Strategie, öffentliche und demokratische Räume zu verkleinern – gänzlich unbeachtet bleibt beispielsweise die Frage, wie man in Afrika sozialen Wohnungsbau organisieren will. Diesen Anspruch hat auch Akon City im Senegal nicht – und steht damit einmal mehr für eine Form der Urbanisierung, die demokratische Mechanismen vernachlässigt, urbane Realitäten ignoriert und primär das Interesse des internationalen Privatsektors nährt.
Auf ausländische Direktinvestitionen setzt gegenwärtig auch die senegalesische Politik, die sich von Akon City elektrisiert zeigt. Sie hofft auf Jobs für die vielen jungen Menschen, die jährlich auf den Arbeitsmarkt strömen.
Ein Kontinent urbanisiert sich
Lange galt der afrikanische Kontinent als Urbanisierungsnachzügler. Doch dies ändert sich gerade rasant: In den nächsten 25 Jahren wird sich die Stadtbevölkerung südlich der Sahara verdoppeln. Spätestens 2040 wird die Mehrheit aller Afrikaner in Städten leben – laut Weltbank werden das 2050 etwa 1,3 Milliarden Menschen sein; schon jetzt befinden sich 21 der 30 weltweit am schnellsten wachsenden Städte in Afrika.[3] Die Städte sind diesem Zustrom jedoch kaum gewachsen: Die noch aus der Kolonialzeit herrührende Ungleichheit, die sie prägt, wurde durch neoliberale Stadtpolitiken und internationale Deregulierungsprogramme nur noch verstärkt. Die Mehrheit der afrikanischen Stadtbewohner lebt in Slums und arbeitet im informellen Sektor – also ohne Arbeitsvertrag oder soziale Absicherung und häufig ohne Perspektive, je in einen formellen Job wechseln zu können.
Informalität wird so zum Hauptcharakteristikum afrikanischer Urbanisierung – mit verheerenden Folgen. Sie steht erstens für Unsicherheit auf einem Arbeitsmarkt, der kaum reguliert und gewerkschaftlich organisiert ist, und bedeutet zumeist ein Leben ohne Sicherheiten und finanzielle Rücklagen. Es ist daher nicht überraschend, dass die in urbaner Informalität lebenden Menschen von den wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie bisher am stärksten betroffen sind. Zweitens bedeutet das Leben in informellen Siedlungen auch deshalb Unsicherheit, weil die Menschen in der ständigen Angst leben, dass sie geräumt werden, um Platz für teure Neubauten zu schaffen. Informalität bedeutet ebenfalls eine massive Einschränkung beim Zugang zu öffentlicher Daseinsvorsorge: Krankenhäuser, Schulen und der öffentliche Nahverkehr sind insbesondere für Frauen nur unter erhöhtem Risiko erreichbar, auch weil es keine Straßenbeleuchtung gibt. Und drittens nährt urbane Informalität gemeinsame Erfahrungen von sozialer und politischer Marginalisierung und politischer Gewalt. Immer wieder kommt es etwa in den Slums von Nairobi zu Polizeigewalt bei Protesten. Kurzum: Informalität durchdringt Wohnort, Arbeitsplatz und auch die Möglichkeiten der politischen Beteiligung.
Zwischen Prekarität und Politisierung: Die Folgen einer ungerechten Weltwirtschaftsordnung
Der große informelle Sektor ist nicht zuletzt Folge einer nach wie vor fundamental ungerechten Weltwirtschaftsordnung: Nach wie vor exportiert der afrikanische Kontinent vor allem Rohstoffe und importiert verarbeitete Güter. Anders als in vielen Teilen Asiens gibt es daher kaum verarbeitende Industrien im urbanen Raum. Die meisten Stadtbewohner schlagen sich deshalb als Tagelöhner, Solo-Selbstständige oder prekär Beschäftigte durch. Oder sie arbeiten am unteren Ende neuer digitaler Lieferketten als Uber-Fahrer, die einen Großteil ihrer geringen Einnahmen abgeben müssen. Zugleich verstärkt der Klimawandel den Wachstumsdruck auf die Städte, weil ein Einkommen in der Landwirtschaft immer schwerer zu erzielen ist und immer mehr Landbewohner in die Städte ziehen. Als weltweit einziger Kontinent urbanisiert sich Afrika somit, ohne dass im größerem Maße Arbeitsplätze in der verarbeitenden Industrie entstehen. Und dies wird sich im weltweit zunehmend digital organisierten Kapitalismus bis auf Weiteres auch nicht ändern.
Afrikas rapide Urbanisierung trifft dabei auf zwei weitere Entwicklungen: ein massives Bevölkerungswachstum einerseits – bereits heute ist mehr als die Hälfte der Afrikanerinnen und Afrikaner jünger als 25 Jahre – und eine zunehmende Politisierung. Diese macht sich immer öfter auch auf den Straßen afrikanischer Städte bemerkbar, wo die junge Generation ihre Rechte einfordert.[4] Den afrikanischen Regierungen fällt es zunehmend schwer, sich gegenüber ihrer jungen und urbanen Bevölkerung zu legitimieren – der Verweis auf ihre Rolle im antikolonialen Unabhängigkeits- bzw. Freiheitskampfkampf reicht längst nicht mehr aus. Proteste im urbanen Raum nehmen sichtlich zu. Der ugandische Musiker Bobi Wine etwa organisiert auf Kampalas Straßen regelmäßig Demonstrationen von unzufriedenen Slumbewohnern gegen eine Regierung, die seit 1986 im Amt ist. In Südafrika manifestiert sich die Unzufriedenheit angesichts der drastischen Ungleichheit immer wieder in spontanen Service Delivery Protests aber auch in fremdenfeindlichen Ausschreitungen in der städtischen Peripherie. Und in Nigeria gehen Mitglieder einer von den etablierten Parteien enttäuschten, neuen urbanen Mittelklasse auf die Straßen Lagos‘, um bei den #EndSARS-Protesten gegen Polizeigewalt zu protestieren.
Dabei zeigt sich: Die städtische Mittelklasse verbindet sich mit den informell Lebenden und Arbeitenden auf unterschiedliche Arten in den neuen Protestbewegungen.[5] An Universitäten gründen sich Jugendbewegungen, Gewerkschaften gewinnen neue Mitglieder unter den informell beschäftigten Stadtbewohnern, etwa die Transportgewerkschaften in Uganda und Kenia oder die Textilgewerkschaften in Nigeria. In den Städten haben zudem die Oppositionsparteien oftmals bessere Karten. Spätestens ab 2040, wenn die Mehrheit der Wahlberechtigten in den Städten wohnen wird, werden Wahlen auf dem afrikanischen Kontinent eben hier entschieden.[6] Immer wichtiger wird damit eine öffentliche Daseinsvorsorge in den Städten ebenso wie die Möglichkeit zu wirtschaftlicher Beteiligung.
Bislang allerdings ist eine öffentliche Daseinsvorsorge in den Städten Afrikas kaum oder gar nicht vorhanden. Dabei sind die entsprechenden Erwartungen der Stadtbewohner hoch, wie eine Umfrage beispielhaft für Kenia feststellt: Knapp 70 Prozent der Befragten im urbanen Raum sind mit der Hoffnung auf bessere ökonomische Chancen in die Stadt gezogen. 15 Prozent der Befragten im ländlichen Raum planen in den nächsten fünf Jahren in die Stadt zu ziehen, weitere 10 Prozent können sich das vorstellen. Und obwohl ein Großteil der Menschen der Meinung ist, dass die staatlichen Leistungen in den Städten besser seien, bezahlt dort jeder Dritte privat für Bildung und Gesundheitsversorgung.[7]
An diesem Manko werden die bisher geplanten Smart Cities nichts ändern, setzen sie doch vorwiegend auf privatisierte Daseinsvorsorge: So soll etwa eine mit chinesischen Krediten bezahlte, gebührenpflichtige Hochstraße – eine sogenannte Fly-over – Menschen aus den wohlhabenden Stadtgebieten Nairobis schneller zum Flughafen bringen. Dieses auf Regierungsebene bereits ausgehandelte Projekt trifft auf den Widerstand einer Bevölkerung, die mehrheitlich auf enge Minibusse angewiesen ist oder zu Fuß geht, weil sie sich selbst den öffentlichen Nahverkehr nicht leisten kann. So nährt die Smart City politischen Widerstand.
Doch diese Mischung aus Informalität und politischer Aufladung blendet der privatwirtschaftlich geprägte, internationale Diskurs über afrikanische Urbanisierung bisher aus. Auf Großkonferenzen im Umfeld der G20 herrscht das Narrativ vor, das von großen Beratungsfirmen wie ein Mantra wiederholt wird: Afrikas wachsende Städte müssten als „wirtschaftliche Lokomotiven“ den Kontinent aus der Armut ziehen.[8] Die Nutzung von Technologie und Innovation sei dafür genauso zentral wie massive internationale Investitionen in eine „schockresistente“ Großinfrastruktur. Über konsultative Multi-Stakeholder-Ansätze, die vor allem eine Beteiligung des Privatsektors und weniger jene ausgesuchter Experten oder Repräsentanten der Zivilgesellschaft vorsehen,[9] wird politische Beteiligung an urbanen Großprojekten hier lediglich simuliert.
Vertreibung, Landspekulation und wachsende ökonomische Ungleichheit
Dieses Urbanisierungsnarrativ wird im Kontext der globalen Entwicklungsagenda auch von internationalen Finanzinstitutionen wie der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) befeuert. Man müsse in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit „from billions to trillions“ kommen, hieß es schon 2015 im Titel eines gemeinsamen Dokuments, das diesen Ansatz treffend auf den Punkt bringt.[10] Entwicklungszusammenarbeit soll primär „Hebel“ für privates Kapital werden und attraktive Rahmenbedingungen für dieses schaffen. Nur durch die massenhafte Mobilisierung privaten Kapitals könne man die Agenda 2030 mit ihren 17 Nachhaltigkeitszielen erreichen.
Doch dieser Ansatz ist in vielerlei Hinsicht problematisch. Bestimmte Ziele, etwa die Verringerung von Ungleichheit innerhalb und zwischen Staaten, werden weniger beachtet als andere – wie beispielsweise die Bekämpfung der äußersten Armut –, genauso wie Lösungsansätze, die vor allem politischen Willen, aber wenig privates Kapital erfordern.[11] Hinzu kommt ein entscheidender Punkt: Viele laufende große Infrastrukturprojekte im afrikanischen urbanen Raum sind nicht mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens vereinbar. Sie zielen auch nicht auf die Mehrheit der im informellen Sektor beschäftigten Afrikaner ab, die sich den Zugang zu ihnen schlichtweg nicht leisten können. Als Zielgruppen beschworen werden hingegen immer wieder die ungenau definierte, in der Covid-19-Pandemie geschrumpfte obere Mittelschicht Afrikas sowie die wenigen formellen Unternehmen auf dem Kontinent – die allerdings lediglich einen Bruchteil afrikanischer Ökonomien ausmachen. Wo neue Städte angekündigt werden, schießen zudem die Bodenpreise in die Höhe. Vertreibung, Landspekulation und wachsende ökonomische Ungleichheit sind die Folgen.
Der hohe Grad an Mobilisierung privaten Kapitals birgt noch weitere Probleme. Projekte werden so konzipiert, dass sie „bankable“ sind, wie es im Technokratensprech heißt: Sie dienen dann primär den Bedürfnissen von Investoren und nicht der Grundversorgung der Stadtbevölkerung. Ihre präferierten Finanzierungsmechanismen sind das Modell öffentlich-privater Partnerschaften (ÖPP) und weitere Mischformen öffentlicher und privater Gelder. Diese gelten schon in Europa als umstrittene Instrumente, da ÖPP häufig teurer waren als die „klassische“ öffentliche Beschaffung. In Afrika haben ÖPPs eine noch negativere Bilanz: Zum einen locken sie private Investitionen – wenn überhaupt – nur in die großen Ökonomien wie Nigeria oder Südafrika, und auch hier nur in gewinnversprechende Sektoren. Kleinere und ärmere Ökonomien gehen gänzlich leer aus. Zum anderen ist ihre Umsetzung zumeist desaströs: Sie sind teuer und intransparent, verschärfen bestehende Ungleichheiten und bergen hohe Verschuldungsrisiken für jene Regierungen, die über nur wenige Einnahmen verfügen. Noch immer haben beispielsweise die ärmeren Teile Dakars nur eingeschränkten Zugang zu Wasser – und das gut zwanzig Jahre nach Aufbau einer ÖPP, die die Wasserversorgung verbessern sollte.
Demokratische und soziale Alternativen
Letztlich stützen Projekte, die einen urbanen Neuanfang auf dem Reißbrett suggerieren, ein folgenschweres Narrativ: Mit dem angeblichen Chaos afrikanischer Urbanisierung sei kein Staat zu machen, eine ordnende, privatwirtschaftliche Hand sei dringend notwendig. Doch der informelle Sektor Afrikas ist hoch differenziert und ein oftmals in Assoziationen oder Gewerkschaften organisierter Wirtschaftszweig mit enormem Entwicklungspotential. Auf diese Erfahrungen wird jedoch weder Rücksicht genommen, noch werden sie genutzt. Zumeist bleibt der Dialog mit den Akteuren des informellen Sektors gänzlich aus – etwa bei der von der Weltbank vorangetriebenen Einrichtung von ÖPNV-Bussen auf separaten Schnellspuren in verschiedenen afrikanischen Ländern, die die vielen selbstständig tätigen, teilweise kooperativ organisierten Busunternehmen außen vor ließ. Dieses Vorgehen zeugt nicht nur von einem mangelnden Verständnis afrikanischer Realitäten. Es schürt auch Ängste vor Arbeitsplatzverlusten und führt zu Konflikten.[12]
Werden solche privatwirtschaftlich getriebenen Projekte durchgesetzt, ohne auf die sozialen Realitäten Rücksicht zu nehmen und sie gerechter zu gestalten, droht also eine bizarre Mischung aus Potemkinschen Dörfern mit leer stehenden Luxusappartements in der Peripherie und fehlgeleiteten urbanen Infrastrukturen, die nur von einer kleinen, zahlenden Minderheit genutzt werden, während der Großteil der Bevölkerung weiterhin in prekären Verhältnissen lebt.
Glücklicherweise gibt es Alternativen zu diesem Szenario. Die politisch wache Stadtbevölkerung, die sich immer deutlicher Gehör verschafft, besitzt wertvolle Kenntnisse über Strukturen und Potentiale vor Ort. Diese in die Planungen zukünftiger Projekte einzubinden, ist wichtiger denn je.
Auch in puncto Finanzierung gilt es, andere Potentiale zu heben, bevor international angestoßene Großprojekte auf den Weg gebracht werden. Finanzielle Möglichkeiten bietet nicht nur die Grundsteuer, die schätzungsweise in fast allen afrikanischen Ländern ein Fünffaches der derzeitigen Einnahmen erzielen könnte. Auch durch die Streichung von Steuervergünstigungen für Unternehmen, etwa in Sonderwirtschaftszonen, könnte man Ressourcen erschließen. Selbst der IWF rät zu einer Steigerung der Steuereinnahmen und warnt vor zu großzügigen Ausnahmen. Und schließlich geht die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung davon aus, dass Afrika jährlich gut 75 Mrd. Euro mehr einnehmen könnte, wenn es illegitime Finanzströme stoppen würde, die mit Hilfe von Banken, Vermögensberatern und Notaren aus dem globalen Norden den Kontinent verlassen.[13] Solche „klassischen“ Finanzierungsmöglichkeiten würden nicht zuletzt ein wichtiges Kriterium stabiler urbaner Infrastruktur stärken: demokratische Legitimität.
Tatsächlich bietet die Urbanisierung Afrikas somit auch enorme Chancen. Weil ein Großteil der notwendigen städtischen Infrastruktur noch nicht vorhanden ist, ließen sich bei deren Aufbau Fehler vermeiden, die aus anderen Teilen der Welt bekannt sind. Was etwa lässt sich von Neu-Delhi und Dhaka lernen, um Luftverschmutzung in afrikanischen Städten zu vermeiden? Wie ist es dem kolumbianischen Medellín gelungen, durch Infrastrukturprojekte urbane Ungleichheit zu bekämpfen?
Die Urbanisierung als Transformationsmotor
Um aber tatsächlich zum Transformationsmotor zu werden, muss die Urbanisierung auf dem afrikanischen Kontinent demokratisch, sozial und klimagerecht gestaltet werden. Konkret gehören die folgenden Fragen in den Mittelpunkt der Diskussion um Afrikas urbane Zukunft: Wie können in afrikanischen Städten angesichts einer zunehmenden Deglobalisierung und Regionalisierung von Lieferketten Arbeitsplätze entstehen, die fair bezahlt werden?[14] Welche Rolle kann die besondere Einbindung von Metropolregionen für die Verwirklichung einer geplanten afrikanischen Freihandelszone spielen? Wie können Städte für Fußgänger und ÖPNV-Nutzer ausgebaut werden? Welche Wohnungsbaupolitik funktioniert in Städten, in denen die Mehrheit bislang auf einen unregulierten Immobilienmarkt angewiesen ist? Wie kann man die Ungleichheit zwischen urbanen Oasen und einer marginalisierten Peripherie reduzieren? Wie sähe eine afrikanische Mietpreisbremse für Slumbewohner aus? Welche Transport- und Wohnungsbaukonzepte lassen sich klimaneutral einführen? Wie können Beteiligungsmöglichkeiten geschaffen werden, die mehr sind als reine Konsultationsforen? Um wirklich nachhaltige Lösungen der Urbanisierung zu finden, müssen die Antworten auf diese Fragen mit der in den Städten lebenden Bevölkerung abgestimmt werden, vor allem mit jenen in den informellen Siedlungen und den vielen Aktivistinnen und Aktivisten, die sich schon jetzt für mehr Beteiligung und eine bessere städtische Infrastruktur einsetzen.
Mittelfristig könnte sich aus den aktuellen Entwicklungen eine besondere Dialektik ergeben: Je stärker die postkoloniale afrikanische Stadt auf die Interessen politischer und wirtschaftlicher Eliten und internationaler Investoren ausgerichtet wird, desto größer wird der Widerstand der Bürgerinnen und Bürger sein, denen der Zugang zu Shopping Malls und Smart Cities verwehrt bleibt. Daraus erwächst ein Risiko für Investoren – und eine Chance für die Stärkung von Demokratie in ebenjenem urbanen Raum, in dem die Zukunft des Kontinents ausgehandelt wird. Politische Entscheidungsträger – in Afrika und in internationalen Finanzinstitutionen – sollten diese Herausforderung sehr ernst nehmen.
[1] Danielle Paquette, Akon just unveiled his $6 billion ‚futuristic‘ city in Senegal. The reviews are mixed, www.washingtonpost.com, 1.9.2020.
[2] Alice Ekman, China’s Smart Cities: The New Geopolitical Battleground, in: „Etudes de l’Ifri“, 12/2019, S. 25-30.
[3] Africa is home to the 10 fastest growing cities in the world, www.brookings.edu, 5.10.2018.
[4] Amaka Anku und Tochi Eni-Kalu, Africa’s Slums Aren’t Harbingers of Anarchy – They’re Engines of Democracy. The Upside of Rapid Urbanization, www.foreignaffairs.com, 16.12.2019.
[5] Lisa Mueller, Political Protest in Contemporary Africa, Cambridge 2017.
[6] Nic Cheeseman, Africa is urbanizing fast – and its leaders are struggling to adapt, https://mg.co.za; Danielle Resnick, Opposition Parties and the Urban Poor in African Democracies, in: „Comparative Political Studies”, 45/2012, S. 1351-1378.
[7] Bislang unveröffentlichte Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung und des Institute for Development Studies, 2019.
[8] Vgl. etwa die Keynote des PricewaterhouseCoopers-Vertreters Hazie Galal beim Panel zu „Sustain-able and Smart Urbanisation“ des Global Solutions Summit 2020, www.global-solutions-initiative.org.
[9] Jens Martens und Karolin Seitz, Philantropic Power and Development. Who shapes the Agenda?, www.globalpolicy.org.
[10] Development Committee, From Billions to Trillions: Transforming Development Finance Post-2015 Financing for Development: Multilateral Development Finance, https://pubdocs.worldbank.org.
[11] Vgl. den jährlichen, zivilgesellschaftlich-gewerkschaftlichen „Spotlight Report” zur Umsetzung der 2030 Agenda, www.2030spotlight.org.
[12] Vgl. den Bericht der Internationale der Transportarbeiter zu Nairobi: Nairobe Bus Rapid Transit Report, www.gli-manchester.net.
[13] UNCTAD, Africa could gain $89 billion annually by curbing illicit financial flows, www.unctad.org.
[14] Auch unternehmensnahe Experten rechnen zunehmend mit einer Regionalisierung der Lieferkettenglobalisierung, vgl. Knut Alicke, Richa Gupta und Vera Trautwein, Resetting Supply Chains for the next normal, www.mckinsey.com.