Die Klimakatastrophe und das Ende unserer Sicherheitsillusion

Bild: Feuer in Gouves im Norden der griechischen Insel Euböa, 8.8.2021 (IMAGO / ANE Edition)
Hier glauben viele Leute, sie seien vor dem Klimawandel sicher, erklärte mir der Journalist einer deutschen Tageszeitung. Sie halten ihn nicht für eine unmittelbare Bedrohung wie Covid-19. Sie betrachten die Grünen als Miesmacher, die ihnen die billigen Urlaube wegnehmen wollen. „Was würden Sie denen sagen?“ Die Frage erreichte mich Ende Juni per Videoanruf, als ich in meinem nichtklimatisierten Zuhause saß und mich im Griff einer Hitzewelle befand. Diese forderte in der kanadischen Provinz British Columbia binnen Wochenfrist rund 500 Menschenleben und brachte auf glühend heißen Küstenstreifen etwa eine Milliarde Meerestiere zum Kochen.[1] Im Laufe der Jahre bin ich mit vielen dieser „Warum sollte es mich kümmern?“-Fragen konfrontiert worden, und ich bemühe mich normalerweise um ein moralisches Argument, dass wir eine Verantwortung gegenüber unseren Mitmenschen haben, selbst wenn wir nicht unmittelbar betroffen sind. Aber dafür war ich viel zu erhitzt und wütend, also sagte ich stattdessen: „Warten Sie ein wenig.“ Was ich meinte, war folgendes: Bei allen politischen Kalkulationen darüber, welche Klimapolitik Menschen akzeptieren werden oder nicht, ist es niemals klug, die Erde als Hauptakteur auszuklammern. Unser Planet drängt sich in diese Kalkulationen und verändert dabei rapide die Ansichten all jener, die sich in Sicherheit wähnten.
Genau das passierte in Deutschland vor der Bundestagswahl im September. Noch im Juni fielen die Grünen in den Umfragen zurück, nachdem sie für einen CO2-Preis, der den geliebten Mallorca-Urlaub gefährden könnte, massiv als Spielverderber angegriffen worden waren.[2] Wenige Wochen später sah die politische Landschaft ganz anders aus. Nach der Flutkatastrophe im Juli könnte die Zahl der Toten noch auf 200 steigen, viele weitere Menschen sind verletzt, zentrale Infrastruktur wurde weggespült.[3] Jetzt steht der Klimawandel im Mittelpunkt des deutschen Wahlkampfes und die Grünen werden von linken Klimaschützern als zu soft kritisiert.
Die Öffentlichkeit wacht auf
In „Die Entscheidung“, meinem Buch von 2014, zitiere ich Sivan Kartha, einen leitenden Wissenschaftler am Stockholm Environment Institute: „Was heute politisch realistisch ist, hat vielleicht nur wenig mit dem zu tun, was nach ein paar weiteren Hurrikanen wie Katrina, ein paar weiteren Superstürmen wie Sandy und ein paar weiteren Taifunen wie Bophas politisch realistisch ist.“[4]
Wir haben inzwischen tatsächlich ein paar weitere dieser Stürme erlebt und dann noch ein paar mehr. Die jüngsten Überflutungen im chinesischen Henan gelten als die schwersten in tausend Jahren, etwa 200 000 Menschen mussten evakuiert werden.[5] Es werden ziemlich sicher keine weiteren tausend Jahre vergehen, bevor sich eine solche Katastrophe wiederholt. Und dann sind da noch Feuer und Rauch, Sommer um stickige Sommer:[6] Kalifornien, Oregon, British Columbia, Sibirien, Südeuropa. Es kann also nicht verwundern, dass laut einer YouGov-Umfrage für den „Economist“ erstmals seit Beginn der Befragungen im Jahr 2009 die US-Amerikaner den Klimawandel als zweitwichtigstes politisches Problem benennen – übertroffen nur von der Gesundheitsversorgung.[7] Das Klima rangiert dabei noch vor „der Wirtschaft“, während Kriminalität, Waffenkontrolle, Abtreibung und Bildung sämtlich weit zurückgefallen sind.
Solche Ranglisten sind natürlich absurd. Allein dass Menschen glauben, die Stabilität des Erdsystems, das alles Leben trägt, ließe sich von „der Wirtschaft“ oder „Gesundheit“ – oder überhaupt von irgendetwas – trennen, ist ein Symptom der mechanistischen Hybris, die uns diesen Schlamassel beschert hat. Wenn unser Klima kollabiert, bricht auch alles andere zusammen, und das sollte der Ausgangspunkt aller Diskussionen zum Thema sein. Dennoch zeigt die Umfrage, dass sich in der öffentlichen Wahrnehmung ein dramatischer Wandel vollzieht: In den wohlhabenderen Teilen der Welt schwindet die Sicherheitsphantasie, und der Glaube, dass Geld und Technologie im letzten Augenblick Lösungen bieten werden, bekommt erste Risse.
Bei der klimapolitischen Untätigkeit in den reichen Ländern ging es nie wirklich um Leugnung. Belgier und Deutsche wussten, dass der Klimawandel eine Realität ist – sie glaubten aber, die ärmeren Länder würden die Hauptlast tragen. Und bis vor kurzem hatten sie damit recht. Wenn es darum geht, die Dringlichkeit der Klimakrise zu kommunizieren, erzählte mir eine bekannte belgische Meteorologin vor ein paar Jahren, bestehe ihre größte Herausforderung in den Erwartungen der Zuschauer: Sie blickten mit freudiger Erwartung auf ein wärmeres Klima, das sie sich in etwa so vorstellten wie im französischen Burgund. Ganz ähnlich verhielt es sich vor ein paar Jahren in den US-Bundesstaaten Oregon und Washington. Dort schossen die Wohnkosten durch die Decke, weil die Kalifornier scharenweise nach Norden zogen.[8] Viele von ihnen glaubten der Vorhersage, der Pazifische Nordwesten würde zum großen Gewinner des Klimawandels. Einige Modelle legten nahe, die Region sei vor der Dürre, den Hitzewellen und den Feuern, die den Südwesten der USA peinigen, geschützt.[9] Zugleich würden etwas mehr Hitze und etwas weniger Regen das kühle, feuchte Klima von Washington und Oregon stärker an Kalifornien in seiner Glanzzeit angleichen. Der Umzug schien nicht bloß sicherer, sondern wirkte auf viele finanziell gut gepolsterte Menschen aus dem Technologiesektor auch wie eine kluge Immobilieninvestition.
Kein Ort ist sicher
Es zeigte sich allerdings, dass ein verrücktspielender Planet sich nicht in einer linearen Weise verhält, die Makler oder ultrareiche Prepper[10] so einfach vorhersagen könnten. Ja, in einer wärmeren Welt nähert sich die Temperatur in Kalifornien stärker der von Mexiko an und die in Oregon stärker der von Kalifornien. Aber zugleich wird überall alles auf den Kopf gestellt. Der Pazifische Nordwesten ist nicht an die Art von Hitze angepasst, die in Süd-Kalifornien oder Nevada gang und gäbe ist, und die fehlenden Klimaanlagen sind da nur das kleinste Problem. Der Lachs – die Schlüsselart unserer Region[11] – braucht zum Überleben kaltes Wasser. Seine Jungtiere wachsen in Gewässern auf, die sich in diesem Sommer wie Warmwasserbecken erhitzt haben.[12] Wissenschaftler befürchten, dass es viele der jungen Fische nicht schaffen werden.
Wenn aber die Lachspopulationen zugrunde gehen, wird das eine Kaskade an Verlusten auslösen, die weit über die kommerzielle Fischereiwirtschaft hinausreichen. Diese Tiere sind jeder indigenen Kultur in der Region heilig; sie bilden eine entscheidende Nahrungsquelle für ikonische (und verletzliche) Meeressäugetiere wie Schwertwale und Stellersche Seelöwen; und sie sind von grundlegender Bedeutung für die Gesundheit gemäßigter Regenwälder: nicht nur für die Bären und Adler, die sich von ihnen ernähren, sondern auch für die kohlenstoffbindenden Bäume, die diese düngen.
Inzwischen ist der Traum, die Kalifornier könnten nach Norden ziehen und so den Feuern entkommen, offensichtlich ganz wörtlich in Flammen aufgegangen. Schon im vergangenen Sommer zwangen tödliche Lauffeuer zu Evakuierungen östlich der Stadt Portland in Oregon. Und diesen Juli zog der Rauch des „Bootleg Fire“ im selben Bundesstaat bis ins weit entfernte New York City – auf der anderen Seite der USA –, wo eine Rauchwolke der vielen Brände die Sonne verdeckte.[13] Oregon ist also nicht sicher. New York ist nicht sicher. Deutschland ist nicht sicher. Kein Ort, den man für sicher hielt, ist sicher.
Es gibt kein Außen mehr
Diese Botschaft verbreitete auch eine Koalition von Ländern, die beim klimatischen Zusammenbruch an vorderster Front stehen. Als Reaktion auf die Flutkatastrophe in Deutschland veröffentlichte das Climate Vulnerable Forum eine Erklärung von Mohamed Nasheed, dem ehemaligen Präsidenten der Malediven: „Im Namen jener Länder, die im Klimawandel besonders verletzlich sind, möchte ich meine Solidarität mit den Menschen in Deutschland zum Ausdruck bringen und ihnen meine Unterstützung und meine Gebete anbieten, da sie unter den Auswirkungen dieser katastrophalen Flut leiden. Obschon es nicht alle gleichermaßen trifft, erinnert uns dieses tragische Ereignis daran, dass im Klimanotstand niemand sicher ist, ob sie nun in einem kleinen Inselstaat wie dem meinigen leben oder in einem entwickelten westeuropäischen Staat.“[14]
Diese Botschaft hatte natürlich einen Subtext: Für Menschen auf niedrig gelegenen Inseln wie den Malediven ist Sicherheit seit langem nur ein ferner Traum, und Rekordtemperaturen und Rekordfluten fordern schon seit einiger Zeit Leben, von Pakistan über Mosambik bis nach Haiti.[15] Mehr noch: Wären reiche Länder wie Deutschland und die USA dem Aufruf von Ländern wie den Malediven gefolgt – dessen Regierung 2009 eine verzweifelte Unterwasser-Kabinettssitzung abhielt, um im Vorfeld des UN-Klimagipfels vor dem Anstieg des Meeresspiegels zu warnen –,[16] hätte viel Schmerz vermieden werden können. In der Tat haben unser Planet und seine Menschen in den vergangenen Jahrzehnten eine Alarm-Symphonie erklingen lassen, doch die Mächtigen zogen es schlicht vor, sie nicht zu beachten.
Warum? Die Antwort liegt in jenen Geschichten über unsere relative Sicherheit, die so viele von uns in der reichen Welt einander erzählt haben: Wenn die Klimakrise ausbreche, würden andere – sprich: Schwarze, Indigene, Ausländer – die Risiken tragen. Und sollten wir uns damit verwettet haben und die Krise unsere Gemeinschaften treffen, würden wir einfach an einen geschützteren Platz ziehen. Nach Oregon oder British Columbia oder an die Großen Seen oder vielleicht, wenn es ganz schlimm kommt, nach Alaska oder an den Yukon. Mit anderen Worten: Wir würden genau das tun, wofür nordamerikanische, europäische und australische Regierungen unbarmherzig die Migranten, darunter auch Klimaflüchtlinge, an unseren Grenzen bestrafen und verunglimpfen – nämlich versuchen, uns in Sicherheit zu bringen. Es entstehen gerade, schrieb der Wasserwissenschaftler Peter Gleick kürzlich, „zwei Klassen von Flüchtlingen: jene mit der Freiheit und den finanziellen Ressourcen, um zumindest für eine Weile den Versuch zu unternehmen, den wachsenden Bedrohungen schon im Voraus zu entfliehen, und jene, die zurückbleiben und die Auswirkungen in Form von Krankheit, Tod und Zerstörung erleiden.“[17]
In diesem Sommer der Feuer und Fluten scheint es vielen zu dämmern, dass selbst diese finstere Form der Klima-Apartheid wohl für alle außer den Ultrareichen eine Illusion ist. Wie Nasheed schrieb und wie es die „New York Times“ in einer unheilvollen Schlagzeile über dem Foto eines brennenden Gebäudes wiederholte: „Niemand ist sicher“.[18] Wir sind alle gefangen in dieser Krise – sei es unter dieser unablässigen Rauchwolke, sei es in einer Hitze, die einen trifft wie eine Wand, sei es unter Regenfällen und Winden, die nicht aufhören wollen. Selbst in den Vereinigten Staaten, die auf der Gründungslüge der Frontier errichtet worden sind, kann die Klimakrise nicht länger auf irgendeinen weit entfernten Ort oder eine ferne Zeit in der Zukunft abgewälzt werden. Das „Draußen“ existiert jetzt nicht mehr – sei es räumlich oder zeitlich.
Die abgedroschenen Phantasien des Jeff Bezos
Ausgenommen natürlich für Jeff Bezos, der bei seiner Spritztour ins All Cowboyhut und Stiefel trug,[19] damit auch ja niemand seine karikaturenhafte pluri-planetare Frontier-Phantasie übersah. Bei seiner Rückkehr schwärmte er, er habe die Zukunft gesehen und sie bestehe in Giftmülldeponien im Weltraum. „Wir müssen die ganze Schwerindustrie, die ganze verschmutzende Industrie nehmen und ins All verlagern und die Erde als dieses schöne Kleinod von einem Planeten erhalten, das sie ist“, sagte er wenige Augenblicke nach der Landung.[20]
Genau das ist der entscheidende Punkt unserer Krise: Gegen alle Vernunft und jede Evidenz hält sich die Phantasie, der Fähigkeit des Kapitals, Leben in Profit zu verwandeln, seien keine harten Grenzen gesetzt und es werde immer eine neue Frontier geben, um das lukrative Spiel am Laufen zu halten. „Unerwünschtes Zeug an einen Platz zu stecken, der scheinbar aus den Augen, aus dem Sinn liegt, ist eine abgedroschene Idee“, schreibt Justine Calma in „The Verge“: „Das ist die gleiche alte Mentalität, mit der seit ewigen Zeiten Industrieabfälle bei kolonisierten Völkern und in Wohngebieten von People of Color abgeladen werden.“[21] Und es ist die gleiche alte Mentalität, die Deutsche und Amerikaner glauben ließ, der Zusammenbruch des Klimas sei keine dringende Krise – bis sie über sie hereinbrach.
Wenn nur Bezos so denken würde, könnten wir ihm Startverbot erteilen, ihn besteuern und die Sache wäre erledigt. Aber er steht nur für die krasseste Manifestation einer Logik, die unsere herrschende Klasse durchdringt: von Senator Ted Cruz, der ins Fünf-Sterne-Hotel „Ritz-Carlton“ im mexikanischen Cancún jettete, während sein Bundesstaat Texas zufror,[22] bis zum Tech-Investor Peter Thiel, der einen Luxus-Bunker in Neuseeland plant.[23] Und so lange die Reichen und Mächtigen weiter glauben, es gebe ein „Draußen“, das ihren Dreck aufnimmt, werden sie erbittert jene Business-as-usual-Maschine schützen, die den Rest von uns den Flammen überlässt.[24]
Übersetzung: Steffen Vogel
[1] Rochelle Baker, A billion tidal creatures likely baked to death in B.C. heat wave, www.nationalobserver.com, 8.7.2021.
[2] Sören Amelang, Greens decide against ratcheting up party’s climate plans as bid for chancellery flounders, www.cleanenergywire.org, 14.6.2021.
[3] Philip Oltermann, Germany floods: 155 still missing as hopes of further rescues fade, www.theguardian.com, 21.7.2021.
[4] Naomi Klein, Die Entscheidung. Kapitalismus vs. Klima, Frankfurt a. M. 2015, S. 558.
[5] Vgl. At least 25 killed, 200,000 displaced by evacuations as torrential rain floods China’s Henan province, www.abc.net.au, 22.7.2021.
[6] Naomi Klein, In a Summer of Wildfires and Hurricanes, My Son Asks „Why Is Everything Going Wrong?”, www.theintercept.com, 9.9.2017.
[7] Vgl. What America thinks, www.economist.com, 27.7.2021.
[8] Kate Wheeling, Climate Migration Has Come to the United States, www.thenation.com, 16.4.2021.
[9] David Sarasohn, What do you get if you map coming climate disasters? Hello, Pacific Northwest, www.latimes.com, 29.12.2014.
[10] Sam Biddle, The Future Dystopic Hellscape Is Upon Us. The Rise and Fall of the Ultimate Doomsday Prepper, www.theintercept.com, 5.7.2021.
[11] Hannah Bugas, Salmon: A Keystone Species, www.pacificwild.org, 13.11.2020.
[12] Hina Alam, Salmon and other sea life affected by recent heat waves, experts say, www.thestar.com, 17.7.2021.
[13] Henry Fountain, How Bad Is the Bootleg Fire? It’s Generating Its Own Weather, www.nytimes.com, 19.7.2021.
[14] Mohamed Nasheed, President Nasheed CVF statement of solidarity with Germany flooding victims, www.thecvf.org.
[15] Daniel Cusick, Climate-Fueled Disasters Killed 475,000 People over 20 Years, www.scientificamerican.com, 27.1.2021.
[16] Maryam Omidi, Maldives sends climate SOS with undersea cabinet, www.reuters.com, 17.10.2009.
[17] Peter Gleick, The climate crisis will create two classes: those who can flee, and those who cannot, www.theguardian.com, 7.7.2021.
[18] Somini Sengupta, ‚No One Is Safe’: Extreme Weather Batters the Wealthy World, www.nytimes.com, 17.7.2021.
[19] Eileen Cartter, Jeff Bezos Wore a Cowboy Hat to Space, www.gq.com, 20.7.2021.
[20] Denise Chow, Jeff Bezos says spaceflight reinforced his commitment to solving climate change, www.nbcnews.com, 20.7.2021.
[21] Justine Calma, Jeff Bezos eyes space as a new ‚sacrifice zone’, www.theverge.com, 21.7.2021.
[22] Shane Goldmacher und Nicholas Fandos, Ted Cruz’s Cancún Trip: Family Texts Detail His Political Blunder, www.nytimes.com, 18.2.2021.
[23] Mark O’Connell, Why Silicon Valley billionaires are prepping for the apocalypse in New Zealand, www.theguardian.com, 15.2.2018.
[24] Naomi Klein, A Climate Dystopia in Northern California, wwe.theintercept.com, 7.5.2021.