In Zeiten des Krieges wird Wissenschaft politisch, wie Oleg Anissimow kürzlich schmerzhaft erfahren musste. Der russische Polarforscher und mehrfache Leitautor des Weltklimaberichtes entschuldigte sich für den Einmarsch seines Landes in die Ukraine. Seine Solidaritätsbekundung sprach er vor Vertretern aus fast 200 Staaten aus, als diese sich Ende Februar virtuell für die Abschlusssitzung des Weltklimarates IPCC zusammengeschaltet hatten. Nun steht der Klimaforscher im verbalen Kreuzfeuer, in Russland fordern regierungstreue Abgeordnete, er solle „aller Ränge enthoben werden und in Vergessenheit geraten“.[1]
Die Autorinnen und Autoren des jüngst veröffentlichten zweiten Teils des aktuellen Weltklimaberichtes saßen bereits seit Tagen in ihrer digitalen Abschlusssitzung, als Russland am 24. Februar die Ukraine überfiel. Sie diskutierten über die finale Version der „Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger“. Diesen Teil müssen die Regierungen offiziell absegnen, weil der Weltklimarat im Auftrag der Vereinten Nationen arbeitet. Seit Monaten hatten Klimaforscher durchblicken lassen, dieser zweite Teilbericht werde die Welt aufrütteln. Denn die Wissenschaft kann das Leiden in der Klimakrise inzwischen beziffern: Bis zu 3,6 Milliarden Menschen sind laut dem neuen Bericht besonders verwundbar, weil sie in Regionen leben, die am stärksten von den Folgen des Klimawandels betroffen sind – das ist fast die Hälfte der Weltbevölkerung.