Ausgabe November 2022

Südafrika: Der schmutzige Kampf um die Kohle

Die Palesa Kohlemine in Südafrika, 10.12.2019 (IMAGO/Greatstock)

Bild: Die Palesa Kohlemine in Südafrika, 10.12.2019 (IMAGO/Greatstock)

Wie viele Länder des Globalen Südens ist auch Südafrika von den Auswirkungen des Klimawandels dramatisch betroffen: In vielen Landesteilen herrscht bereits extreme Wasserknappheit; dabei fällt in Südafrika ohnehin nur halb so viel Regen wie im globalen Durchschnitt. Mindestens drei Millionen Menschen – und ausgerechnet 26 Prozent der Schulen und 45 Prozent der Kliniken[1] – haben keinen Zugang zu sauberem Wasser, obwohl die Verfassung dies eigentlich garantiert. Verantwortlich dafür ist neben dem Klimawandel auch der Bergbau, allen voran der Kohlebergbau. Südafrika ist der siebtgrößte Kohleproduzent der Welt und verfügt über den größten Kohlesektor auf dem Kontinent. Gut 90 000 Menschen sind hier beschäftigt – so viele wie noch in den frühen 1990er Jahren in der deutschen Braunkohleindustrie tätig waren. Da die Minen große Mengen an Wasser benötigen, sinkt der Grundwasserspiegel in ihrem Umfeld häufig extrem ab. Zugleich belastet die Kohleförderung die Qualität des Wassers, denn beim Tagebau wandert Kohleschlamm ins Grundwasser, und durch die Wäsche der Kohle können zusätzlich Chemikalien hinein gelangen. Daneben sind Kohlekraftwerke Hauptverursacher von saurem Regen. Und schließlich heizt die Verbrennung der in Südafrika geförderten Kohle die Erderwärmung an, mit dem Ergebnis, dass noch mehr Wasser verdunstet.

Eigentlich müssten die Folgen des Klimawandels südafrikanische Entscheidungsträger geradezu zu einer nachhaltigen Ressourcennutzung zwingen. Doch vorerst werden Südafrikas grüne Transformationsabsichten wohl nicht viel mehr als ein Fingerzeig bleiben. Auch von der heimischen Kohleverstromung wird das Land in nächster Zeit wohl nicht abrücken, obwohl die westliche Staatengemeinschaft Südafrika Hilfe zur Transition hin zu weniger CO2-intensiven Technologien versprochen hat. Letztes Jahr verabschiedeten die Europäische Union, Großbritannien und die USA eine 8,5 Mrd. Euro schwere Just-Transition-Partnerschaft mit Südafrika.[2] Die Zuwendungen umfassen sowohl Kredite als auch direkte Beihilfen. Der amerikanische Präsident Joe Biden verband mit der Maßnahme die Hoffnung, dass südafrikanische Kohleminen bereits vor Ende der geplanten Laufzeiten geschlossen werden würden. Doch knapp ein Jahr später scheinen diese Pläne wieder hinfällig zu sein. Angesichts des Importstopps für russische Kohle haben sich die Kohleexporte aus Südafrika nach Europa in der ersten Jahreshälfte gar verachtfacht.[3]

Damit rücken auch die Konflikte rund um den Bergbau in Südafrika wieder zunehmend in den Fokus, die das Land seit Jahrzehnten prägen. Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa, heute einer der reichsten Afrikaner überhaupt, war einst Gewerkschaftsführer im Bergbausektor. Ende der 1980er Jahre half er dabei, das Apartheidsregime mit einem dreiwöchigen Streik in die Knie zu zwingen. Die South African Union of Mineworkers (NUM) erlebte mit dem verhandlungsstarken Aktivisten ein rasantes Wachstum. Bis heute zählt die Gewerkschaft nach eigenen Angaben 300 000 Mitglieder, was manche allerdings für Wunschdenken halten. Nach wie vor ist die NUM Teil der Allianz des regierenden African National Congress (ANC) und mobilisiert zu Wahlen. Doch immer wieder ruft die Gewerkschaft mittlerweile auch zu Protesten auf, die dem Ansehen der Regierung massiv schaden. Erst am 24. August mobilisierte die NUM zu einem nationalen Streik, der Teile des Landes lahmlegte.

Machtdemonstrationen der Gewerkschaften erlebt der südafrikanische Präsident seit seinem politischen Comeback vor knapp zehn Jahren – damals noch als designierter Vize-Präsident. Beim berüchtigten Massaker von Marikana im August 2012, als südafrikanische Polizisten in einer Platinmine 34 streikende Bergarbeiter erschossen, hat Ramaphosa eine zwielichtige Rolle gespielt. In Korrespondenzen hatte er die streikenden Arbeiter zuvor als „Kriminelle“ bezeichnet und „begleitende Aktionen“ seitens der Polizei gefordert. Inzwischen hat er diesbezüglich zwar „Fehler“ eingestanden,[4] doch die Oppositionsparteien und viele Wähler werfen Ramaphosa weiterhin vor, Blut an den Händen kleben zu haben.

Der Bergbausektor als Brennglas

Bis heute wirkt der Bergbausektor wie ein Brennglas, durch das die Konfliktlinien der politischen Ökonomie Südafrikas deutlich sichtbar werden. Bereits in den 1990er Jahren erkannten die Ökonomen Ben Fine und Zavareh Rustomjee das enge Geflecht zwischen dem Finanzsektor, dem Energiesektor, der Bergbauindustrie und der Machtelite des Landes und prägten dafür den Begriff „Mineralien-Energie-Komplex“.[5] Wenige Bergbauunternehmen, enge politische Zirkel sowie das staatliche Stromversorgungsunternehmen Eskom, das einige Kohlekraftwerke betreibt, bestimmen über den extraktiven, also auf die Ausbeutung und den Export von Rohstoffen setzenden Pfad Südafrikas.[6] Das enge Netzwerk verfolgt im besonderen Maße die Ausbeutung von heimischen fossilen Energieträgern, die schlecht für die Luftqualität sind. Dies führt dazu, dass Südafrika seine Klimaziele verfehlt.

Charakteristisch am Neo-Extraktivismus in Südafrika, aber auch in Lateinamerika, ist, dass sich sowohl die Projekte der Rohstoffausbeutung häufen und in immer größere Tiefen vordringen sollen als auch, dass sich der Widerstand dagegen mehrt.[7] So finden an vielen Orten anti-extraktive Proteste statt. Gerade im Südosten rund um die Provinz KwaZulu-Natal sollen nach Wunsch der Öl- und Gasindustrie neue Gasfelder erschlossen und mit der Fracking-Technologie ausgebeutet werden.

Wachsende Proteste in Südafrikas »Mineralien-Energie-Komplex«

Allerdings haben zivilgesellschaftliche Proteste hier bereits einige Kohlebergbauvorhaben in der Planungsphase verhindert oder zumindest für ihren Aufschub gesorgt. So versuchen Aktivisten am Rande des Hluhluwe-iMfolozi-Parks, dem ältesten Nationalpark Afrikas, einen geplanten Kohletagebau zu stoppen. Der Widerstand der lokalen Bevölkerung, von NGOs, Umweltschutzorganisationen und engagierten Intellektuellen stellt sich dabei als äußerst resistent gegenüber den Interessen der Bergbauindustrie heraus.[8]

Ursprünglich fokussierte sich der Protest auf die Verteidigung des Nationalparks. Naturschützer riefen in einer Online-Petition dazu auf, die artenreiche Tierwelt zu schützen, die durch den Tagebau in Gefahr gerate. Neben der Verschmutzung durch die Mine selbst sei der Bergbau ein Einfallstor für Wilderer, die die letzten Bestände des Weißen Nashorns in Gefahr brächten. Der Aufschrei war global unüberhörbar. Allein zehn südafrikanische Naturschutzgruppen sowie Organisationen in Großbritannien und den USA machten auf die Gefahren des Bergbaus für den Naturschutz im Hluhluwe-iMfolozi-Park aufmerksam. Die lokalen Entscheidungsträger, darunter das regionale Ministerium für Bodenschätze sowie traditionelle Autoritäten, die im ländlichen Südafrika immer noch sehr einflussreich sind, beeindruckte das zunächst allerdings wenig. In Auseinandersetzung mit den lokalen Bergbaubefürwortern veränderte die Protestkampagne daraufhin ihren Fokus und stellte zum ersten Mal die betroffene Bevölkerung ins Zentrum ihrer Aktivitäten. Anwohner bemängelten, dass sie über die möglichen Bohrungen nicht in Kenntnis gesetzt worden seien. Als es schließlich zu einem lokalen Beteiligungsverfahren kam, erreichte die Protestkampagne einen symbolischen Sieg: Nach einer hitzigen Debatte verließen Mitarbeiter des Bergbauunternehmens ein Konsultationstreffen überstürzt und unter lautem Jubel der Anwesenden. Seitdem ist der Protest allerdings abgeebbt, während mehrere Projekte zur Erweiterung existierender sowie zur Schaffung neuer Kohleminen rund um den Hluhluwe-iMfolozi-Park weiterlaufen.

Auch Anti-Fracking-Kampagnen in Südafrika haben damit zu kämpfen, dass sich die Konsultationsverfahren über lange Zeit hinziehen und sehr technischer Natur sind. Nach einem initialen Schock, der viele Menschen mobilisiert, bleibt nur noch ein harter Protestkern, der sich gegen fossile Großprojekte stellt.

Gewalt gegen Umweltschützer

Dabei kann sich ein langer Atem bei den Protesten durchaus lohnen. Weltweit sind rund ein Fünftel der anti-extraktiven Bewegungen gegen Öl- und Gasförderprojekte erfolgreich, wenn sie bereits in der Planungsphase Protest organisieren.[9] Allerdings kommt es in Konflikten um Kohle- und Pipelineprojekte auch zu besonders viel Gewalt, bis hin zum Mord an Aktivistinnen und Aktivisten. Auch in Südafrika werden immer wieder Menschen ermordet, die sich Bergbauprojekten in den Weg stellen. So wurde die 65jährige Fikile Ntshangase vor zwei Jahren unter noch nicht geklärten Umständen in ihrem Haus von drei Männern erschossen. Sie war an einer Klage beteiligt, die sich einer bereits existierenden Kohlemine in der Nähe des Hluhluwe-iMfolozi-Parks entgegenstellte. Gerade in ressourcenreichen Ländern wie Kolumbien, Brasilien, Indien oder eben Südafrika leben Umweltaktivisten gefährlich, wie ein Bericht der NGO „Global Witness“ aus dem vergangenen Jahr zeigt.[10]

In Südafrika nimmt die Öl- und Gasindustrie derweil vermehrt die lange Küstenregion in den Blick, wo es besonders schwer ist, Protest zu organisieren. Im September sollen Bohrungen vor der Nordkap-Provinz den Beginn einer Offshore-Öl-Ära einleiten.[11] Der anvisierte Block 2B schließt nach Industrieangaben Ölreserven ein, die allein knapp zwei Jahre den südafrikanischen Ölbedarf decken könnten. Probebohrungen oder schon genehmigte Ölbohrungen vor der Küste finden bereits statt. Auch der Staatskonzern PetroSA ist an diesen beteiligt und hat bereits 45 Mio. Barrel Erdöl vor der Südküste gefördert.[12] Doch trotz der schwierigen Bedingungen für Protest finden sich auch hier Fischer, NGOs und Bewohner küstennaher Regionen zusammen und fordern von Präsident Ramaphosa den Stopp der Ausbeutung fossiler Energieträger vor der südafrikanischen Küste.[13]

Die beruhigende Nachricht für den Präsidenten angesichts der wachsenden Proteste ist, dass die verschiedenen Bewegungen noch nicht auf einen Nenner kommen. Die Arbeiterbewegung positioniert sich klar für den Erhalt der Arbeitsplätze im Bergbausektor und ist damit auch kritisch gegenüber der zahlenmäßig weit kleineren Klimagerechtigkeitsbewegung, die einen sozialökologischen Umbau der Wirtschaft fordert. Doch der Mix aus extrem ungleicher Ressourcenverteilung, steigenden Lebenshaltungskosten, der seit Jahrzehnten anhaltenden Massenarbeitslosigkeit unter jüngeren Menschen und dem Eindruck der Selbstbereicherung politischer Eliten macht Südafrika zu einem politischen wie ökologischen Pulverfass.[14]

Kein Ende der fossilen Ära

Fest steht indes: Die gemischten Signale der internationalen Gemeinschaft zeigen, dass global keineswegs die postfossile Ära angebrochen ist. Schwellen- und Entwicklungsländer wie Südafrika werden in dem Wettstreit um natürliche Ressourcen zur Energieerzeugung schnell zum Spielball der globalen Großmächte, was die Planbarkeit einer nachhaltigen Industriepolitik erheblich beeinträchtigt. Südafrika ist bei Großprojekten nicht zuletzt auf finanzielle Zuwendungen durch Regierungen und ihre international agierenden Banken angewiesen. Die Kredite für die Kohlekraftwerke Madupi und Kusile, die von Eskom betrieben werden, stammen beispielsweise von der Weltbank sowie aus China. Und so wird Ramaphosa mit großer Wahrscheinlichkeit auch weiterhin versuchen, der internationalen Gemeinschaft als treuer Handelspartner zu dienen und zugleich im eigenen Land die Proteste der Bergarbeitergewerkschaft NUM sowie der Klimagerechtigkeitsbewegung zu befrieden. Keine guten Aussichten also für den weltweiten Kampf gegen die Erderhitzung.

 

[1] Joan Igamba, Water Crisis In South Africa, www.greenpeace.org, 5.7.2022.

[2] Europäische Kommission, France, Germany, UK, US and EU launch ground-breaking International Just Energy Transition Partner-

ship with South Africa, www.ec.europa.eu, 2.11.2021.

[3] Nelson Banya, South African coal exports to Europe surge, shipments to Asia decline, www.reuters.com, 16.8.2022.

[4] Vgl. Ranjeni Munusamy, Cyril Ramaphosa: The true betrayal, www.dailymaverick.co.za, 27.10.2012.

[5] Vgl. Ben Fine und Zavareh Rustomjee, The political economy of South Africa: From minerals energy complex to industrialisation, London 1996.

[6] Zu den Begriffen Extraktivismus und Neo-Extraktivismus vgl. auch: Ulrich Brand und Kristina Dietz, Dialektik der Ausbeutung. Der neue Rohstoffboom in Lateinamerika, in: „Blätter“ 11/2013, S. 75-84.

[7] Vgl. Maristella Svampa, Die Grenzen der Rohstoffausbeutung, Bielefeld 2020.

[8] Vgl. Jasper Finkeldey, Fighting Global Neo-Extractivism: Fossil-Free Social Movements in South Africa, Abingdon 2022.

[9] Leah Temper u.a., Movements shaping climate futures: A systematic mapping of protests against fossil fuel and low-carbon energy projects, in: „Environmental Research Letters”, 15/2020, S. 1-23.

[10] Last line of defence, www.globalwitness.org, 13.9.2021.

[11] Oil rig headed to drill in South Africa waters, www.businesstech.co.za, 12.8.2022.

[12] Petroleum Agency South Africa, Crude, www.petrosa.co.za; South Africa Oil Consumption, www.ceicdata.com.

[13] Open Letter – Call To Ban Offshore Oil and Gas Exploration, www.thegreenconnection.org.za, 11.8.2022.

[14] Vgl. Melanie Müller, Südafrika unter Ramaphosa: Die letzte Chance des ANC?, in: „Blätter“, 11/2020, S. 113-120.

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