Wie die Welt von Palmöl abhängig wurde

Bild: Ölpalmenplantage und verbliebener Regenwald, Borneo, 29.1.2014 (IMAGO/Ardea)
Manchen Dingen ist ihr Wert immanent (etwa Kaffee, Reis oder Gold), während der Wert anderer darin besteht, dass sie kostspieligere Substanzen ersetzen können (Quartz als Granitersatz, Polyester statt Baumwolle). Wieder andere Güter sind von wandelbarer Form und Funktion. Ganz besonders gilt das für raffiniertes Palmöl, das zum Verzehr sowohl geeignet als auch untauglich sein kann, flüssig oder fest, pikant oder süß, und das in der Industrie ebenso wie im Haushalt zum Einsatz kommt. Im anglophonen Agrarjargon figuriert es aufgrund seiner vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten als „flex crop“. Anfang der 1920er Jahre äußerte ein amerikanischer Chemiker sein Erstaunen darüber, dass pflanzliche Öle sich in „dem Menschen nützliche Substanzen aller Art“ umwandeln lassen. Schon bald werde man ihnen „größere Bedeutung für die Menschheit beimessen als Stahl und Eisen“, sagte der Mann voraus. Sein Diktum war um so prophetischer, als er selbst sich nie mit Duschgel eingerieben oder sein Barthaar mit Rasierschaum traktiert hatte – viele Hautpflegeprodukte schäumen so gut, weil sie Palmöl enthalten. Nie im Leben hatte er sich pflanzliche Kaffeesahne in den Frühstückstee gerührt oder Supermarkt-Cookies gegessen, so wenig wie er je in einem mit Biosprit betriebenen Fahrzeug gereist war oder freitagabends eine Tiefkühlpizza in die Röhre geschoben hatte. Er rühmte industrielle Pflanzenölanwendungen und hatte doch nie Nutella probiert.
Bereits 1914 hatte ein gewisser William Lever beschlossen, sein Palmöl-Imperium zu diversifizieren. Margarine besaß seiner Einschätzung nach viel größere Marktchancen als Seife, weil die Menschen stets geneigt sein würden, für Essen mehr auszugeben als für Körperpflege. In den 1880er Jahren hatten William und sein Bruder James – Kinder eines Lebensmittelhändlers aus Bolton – die „Sunlight“-Seife kreiert, eine der ganz großen Marken im spätviktorianischen England. Den Durchbruch hatte allerdings nicht die Seife selbst geschafft, sondern die Art und Weise, in der sie vermarktet wurde: in bunten Schachteln verpackt statt lose beim Händler pfundweise in riesigen Scheiben abgeschnitten. Damit sie richtig schäumte, bestand „Sunlight“ zu 41,9 Prozent aus Palmkernöl. In den 1890er Jahren verkauften die Gebrüder Lever bereits Woche für Woche 2400 britische Tonnen ihrer „Sunlight“-Seife, hergestellt – wie auch die Marken „Lux Flakes“ und „Vim“ – in ihrer Fabrik in Warrington. Dennoch beneidete Lever immer noch die „Butterine Makers“, wie er sie nannte. Häufig erwiesen sich diese Margarineproduzenten als Konkurrenz bei der Rohstoffbeschaffung, sodass er es schließlich für das Beste hielt, selbst auch Margarine herzustellen. Ein Beamter, der mit Lever zu tun hatte, bemerkte, dieser erscheine zwar auf den ersten Blick als „ziemlich unbedeutender kleiner Kerl“. Schon bald aber sei ihm klar geworden, „noch nie einem so offensichtlich größenwahnsinnigen Menschen begegnet“ zu sein. Während des Ersten Weltkriegs wuchs die von Lever angeführte britische Margarineproduktion von 78 000 auf 238 000 Tonnen jährlich. 1929, vier Jahre nach William Levers Tod, schloss sich die Firma Lever Brothers mit der Margarine Union zusammen. Viele „Flaggschiffe“ des so entstandenen Konsumgütergiganten Unilever, von „Dove“-Seife bis „Pot Noodle“, basieren bis heute auf Palmöl.
Überhaupt ist Palmöl heute das meistgenutzte Fett des Planeten, weit vor anderen Pflanzenölen wie Soja-, Sonnenblumen-, Erdnuss-, Kokosnuss- oder Rapsöl – ganz zu schweigen von tierischen Fetten wie Speck oder Butter. Doch zu Beginn seiner industriellen Nutzung im 19. Jahrhundert war ungewiss, ob Palmöl im Westen als Nahrungsmittel reüssieren würde, während es in Afrika schon lange als solches genutzt wurde. Durchschnittliche Viktorianer kamen mit Palmöl in Lebensmitteln noch am ehesten in Kontakt, wenn sie Konservendosen öffneten. Es wurde nämlich als Beschichtung verwendet, um eine Oxidation des Inhalts durch das zinnhaltige Dosenblech zu verhindern. „Bis in die 1920er Jahre verzehrten in den Industrieländern nur wenige Menschen viel Palmöl“, vermerkt Jonathan Robins in seiner Weltgeschichte der Ölpalme.[2] In den USA wurde es sogar erst 1930 offiziell als Nahrungsmittel anerkannt. Milchbauern hatten sich energisch gegen die neue „Oleomargarine“-Industrie gewehrt.
In den Vereinigten Staaten und Großbritannien galt Palmöl als unappetitlich, weil es – wie Robin schreibt – als Schmierfett ein „hochgradig sicht- und riechbarer“ Begleiter des Eisenbahnfahrens war. Bei jedem Halt ging jemand mit Schmierfettbüchse und Holzmesser an beiden Seiten des Zuges entlang und strich reichlich von einer Mischung aus Palmöl und Talg auf die Räder. Niemand, der dieses Ritual und den Geruch erlebt hatte – außer die Ratten, die sich auf die Wagenschmierreste stürzten –, dürfte allzu erpicht darauf gewesen sein, sich Palmölmargarine aufs Brot zu schmieren. Dennoch avancierte diese alsbald zu einem Grundnahrungsmittel der Briten, weil das Öl in raffiniertem Zustand nach nichts roch und die Margarine buchstäblich geschmacklos war.
Es sind nicht immer die köstlichsten Lebensmittel, die sich auf dem Markt als die kostbarsten erweisen. Wenn die Beschaffenheit stimmt, haben auch fade Stoffe ihren Wert. Geruch- und farblose Nahrungsbestandteile ohne Eigengeschmack können in einem äußerst breiten Produktspektrum vorkommen, ohne aufzufallen. „Niemand“, sagt Robins, „hat je im Supermarkt abgepacktes Palmitin oder Diglycerid (beides Palmölderivate) gekauft, wohl aber werden diese Substanzen als Bestandteil von Fertigprodukten verzehrt.“
Die erstaunliche Karriere einer Kulturpflanze
Allerdings ist die Vorstellung, Palmöl als solches sei geruch- und farblos, im Grunde abwegig, denn in den Ländern, die das Öl selbst schätzen, rühmt man dessen farbliche und geschmackliche Intensität. So schrieb etwa der venezianische Entdeckungsreisende Cadamosto, als er es im 15. Jahrhundert im Senegal kennenlernte, Palmöl rieche nach Veilchen, schmecke „wie unser Olivenöl“ und „färbe Speisen ähnlich wie Safran“, sei aber reizvoller. Rotes Palmöl ist farb- und geruchsintensiv mit einem Aroma, das irgendwo zwischen Blumen und Wurzelgemüse einzuordnen wäre. Als es in Malaysia auftauchte, fühlten manche europäische Kolonialisten sich allerdings an den Geruch von Bohnerwachs erinnert. Im brasilianischen Bahia kennt man es als Dende-Öl, das dazu dient, alles – von exotischen Fischgerichten bis zu Farofa (einer Beilage aus geröstetem Maniokmehl, die ein wenig an Couscous erinnert) – zu färben und zu würzen. Als ich selbst zum ersten Mal mit Palmöl kochte, um eine Nkrakra-Hühnersuppe nach einem Rezept aus Zoe Adjonyohs Kochbuch („Zoe‘s Ghana Kitchen“) zuzubereiten, fand ich es überraschend aromatisch. In der Pfanne erhitzt, erfüllte das rote Öl die ganze Küche mit einem rauchig-süßen Duft, noch bevor ich irgendein Gewürz hineingetan hatte. Ein bisschen Öl schwappte mir aus dem Dosierlöffel und tropfte auf den Fußboden, wo es einen orangefarbenen Fleck hinterließ.
Aber vielleicht haben Sie noch nie mit Palmöl gekocht. Obwohl in Fertigprodukten allgegenwärtig, ist das Öl selbst – jedenfalls im Vereinigten Königreich – kaum irgendwo käuflich zu erwerben. Wer in einem Online-Supermarkt danach sucht, stößt in der Regel auf Produkte, die sich rühmen,kein Palmöl zu enthalten. Allein beim britischen Online-Shop Ocado gilt das für mehr als 1800 Artikel. Bei afrikanischen oder karibischen Lebensmittelhändlern hingegen ist rotes Palmöl in riesigen Plastikflaschen zu haben, und in Health-Food-Shops wird Palmkernrohöl aus biologischem Anbau in teuren Gefäßen als besonders wertvolles Nahrungsmittel verkauft. In sehr großen Tesco-Filialen gibt es manchmal Zweiliterflaschen mit „Mother Africa Pure Red Palm Oil“ aus Nigeria und bei Sainsbury‘s winzige Fläschchen einer Bio-Marke namens Carotino mit rotem Palmöl, verschnitten mit Rapsöl. Das wär‘s dann aber auch schon.
In den Flussniederungen und Sümpfen Afrikas wuchsen Ölpalmen schon Millionen Jahre, bevor es menschliches Leben gab. Ausgrabungen in der ghanaischen Bosumpra-Höhle haben gezeigt, dass Menschen seit etwa fünftausend Jahren Palmöl in irgendeiner Form konsumieren. In Westafrika wird es von Kleinbauern immer noch genauso erzeugt wie schon vor Jahrhunderten. Um eine Palme abzuernten, klettert man in den Baum und schneidet mit einer Machete riesige Büschel der pflaumengroßen roten Früchte ab. Geerntet wird hauptsächlich von Männern, doch in Nigeria gibt es eine Stadt, in der auch unverheiratete Frauen und Witwen in die Bäume steigen. Die reifen Früchte werden dann unter einer Matte zum „Schwitzen“ gebracht und – bevor sie in die Presse kommen – gekocht, um sie einzuweichen. Es werden zweierlei Ölarten gewonnen: das eine aus dem fleischigen orangefarbenen Fruchtfleisch und ein anderes aus dem Kerninneren, eine mildere, als Palmkernöl bezeichnete Substanz. Aus dem Palmensaft keltert man einen Wein, der einen, wie die Kochkunsthistorikerin Jessica Harris sagt, „umhaut wie der sprichwörtliche Eselstritt und sich zum westafrikanischen Äquivalent von LSD entwickelt“. Afrikaner benutzen Palmöl aber nicht nur zum Kochen, sondern auch zum Einreiben, als Medikament, als Seife und als Lampenöl. In England verwendete man das rote Palmöl im 17. Jahrhundert zur Behandlung von Frostbeulen und Gliederschwellungen.
Der Kerzenindustrie gelang es dann als erster, aus afrikanischem Palmöl etwas geruchloses Weißes zu erzeugen. Zuvor wurden für die britische Kerzenproduktion hauptsächlich drei Substanzen verwendet, die aber alle drei erhebliche Mängel aufwiesen. Für den Alltagsgebrauch viel zu teuer, aber – sowohl was ihr Licht als auch was ihren Duft angeht – bei weitem die schönsten waren Bienenwachskerzen. Talgkerzen kosteten deutlich weniger, neigten aber zu hässlichen Spritzern und erfüllten den Raum mit einem unangenehmen Fleischgeruch. Walratkerzen, die aus einer dem Pottwal entnommenen wachsartigen Substanz bestehen, zeichneten sich zwar durch ihre weit höhere Qualität aus, kosteten aber auch doppelt so viel. In den 1850er Jahren entwickelte Price‘s Patent Candle Company (PPCC) ein Verfahren zur Herstellung von Palmölkerzen, die weiß waren und nicht stanken, selbst wenn sie aus ranzigem Rohöl stammten. Mit der Bezeichnung als „Belmont Sperm“ sollten diese Kerzen an die teureren Walratkerzen erinnern (der Pottwal heißt auf Englisch sperm whale – d. Übers.), obwohl das verwendete Palmöl sogar noch weniger kostete als Talg. Das Geheimnis des geruchlosen Palmöls bestand darin, das Rohöl durch Erhitzen und Säureeinsatz in Komponenten wie Stearinsäure, Palmitinsäure, Oleinsäure und Glyzerin aufzuspalten. Frühere Versuche, Palmöl in eine für die Kerzenproduktion taugliche Substanz zu verwandeln, waren fehlgeschlagen. Zunächst hatte man es unter anderem mit Arsen versucht, was aber Ängste wachrief, diese „Leichenkerzen“ würden die Luft des Raumes, in dem sie brannten, vergiften. 1836 gelang es zwar, Stearinsäure aus Palmöl ohne Arseneinsatz zu gewinnen, aber die entstehenden Kerzen wurden durch das Verfahren verfärbt. Schließlich war es Schwefelsäure, mit deren Hilfe PPCC makellos weiße Palmölkerzen herstellen konnte. 1880 dann ließ die britische Firma Loder sich ein Desodorierungsverfahren für Palmkernöl patentieren, bei dem eine neutrale Substanz entstand, die sich zur Herstellung von Margarine oder von Backwaren verwenden lässt. Bei diesem Verfahren verlor das Öl zwar seine Vitamine, aber eben auch den intensiven Geruch. In der heutigen Welt ist Palmöl so gut wie überall und immer RBD: refined, bleached und deodorised – raffiniert, entfärbt und deodoriert. Erwähnung verdient, dass die Reklame für Price‘s Kerzen sich die Sprache der Sklavereigegner zu eigen machte, womit sie einen Vorgeschmack auf die Art und Weise bot, in der Palmöl später moralische Qualitäten zugeschrieben wurden: als gesunde Alternative zu Transfetten und – in Gestalt „grüner“ Bio-Kraftstoffe – als ethischer Ersatz für fossile Energiequellen. Auf Palmölbasis wurden auch Reinigungsmittel entwickelt und als „pflanzlich“, „umweltfreundlich“ und „natürlich“ beworben.
Koloniale Ausbeutung auf den Palmölplantagen
Die Vermarktung der PPCC-Kerzen geriet, Robins zufolge, zu einer der berühmtesten Werbekampagnen im viktorianischen England: „Die Firma machte sich umstandslos die Rhetorik von ‚legitimem‘ Handel- und Sklavenbefreiung zu eigen, um ihre neuen Palmitinsäure-Kerzen zu propagieren. ‚Every candle of ‘em that‘s burnt helps to put out a slave‘, hieß es – mit jeder dieser Kerzen lässt sich ein Sklave/eine Sklavin auslösen. Britische Händler behaupteten, dass amerikanische Walrat- und Hart-Kerzen – letztere unter Verletzung von PPCC-Patenten – im illegalen Sklavenhandel eine Hauptrolle spielten, denn zwischen 1807 und 1865 wurden womöglich hundertfünfzig Millionen Kerzen im Austausch gegen afrikanische Gefangene verkauft. Ein nicht sonderlich subtiles Reklamebild zeigte einen Kerzenmacher in Arbeitskleidung, umgeben von Formen, der einem Afrikaner eine phrygische Mütze (die Kopfbedeckung französischer Revolutionäre von 1789 als Freiheitssymbol – d. Übers.) reicht. Gleichzeitig verbrennt der Wohltäter den Strick, der den Afrikaner gefesselt hält, per Palmitinkerze.“
Die Vorstellung, dass es zur Schaffung freier Arbeitsverhältnisse in Afrika beitragen könnte, wenn Europäer Palmöl kaufen, war blanker Hohn. Das Leben eines Palmschneiders war niemals leicht oder ungefährlich gewesen – jedes einzelne Büschel kann über hundert Pfund schwer sein, und die Früchte hängen in großer Höhe –, aber unter der europäischen Kolonialherrschaft wurde die Arbeit um ein Vielfaches härter und unerfreulicher.
Die brutalen ausbeuterischen Methoden, mit denen Lever sich Zugang zu den Ölpalmen von Belgisch-Kongo verschaffte, setzten Maßstäbe für die moderne Palmölwirtschaft. 1911 unterschrieb er einen Vertrag über eine Anbaufläche von 720 Millionen Hektar. Erstaunlicherweise trägt Unilever noch immer den Namen dieses Mannes, der einen seiner Direktoren brieflich wissen ließ, es sei „eine allseits bekannte Tatsache, dass der Verstand des Afrikaners die Fähigkeit, neue Eindrücke aufzunehmen, verliert, wenn er das Erwachsenenalter erreicht“. Seine Palmölniederlassung nannte er Leverville und die dortigen Ölpalmhaine waren für ihn „der großartigste Anblick“, der sich ihm „je irgendwo auf der Welt“ geboten habe. Doch das Leben der Kongolesen, die dort für ihn arbeiteten, war alles andere als großartig. Wie andere ausländische Palmölmagnaten verwandelte auch Lever die naturwüchsigen Palmhaine Afrikas alsbald in sterile Plantagen, zu deren Verwaltung er eine neue Firma gründete: die Huileries Congo Belge, HCB. Ein gewisser Sidney Edkins konstatierte, als er 1911 zum Arbeiten in Leverville eintraf, dass in der Gegend „kaum ein Dorf zu sehen“ war, weil die Zwangsarbeit „die vorhandene Bevölkerung beiderseits der Piste auf fünfzig Meilen Abstand praktisch eliminiert“ hatte. 1915 räumte ein HCB-Vertreter ein, dass die arbeitende Bevölkerung Levervilles hauptsächlich aus Sklaven bestehe, denen man ein Arbeitsbuch, eine Machete und eine Decke aushändigte, um sie sogleich ohne weitere Umstände zur Arbeit zu schicken. Es hieß, nur wenige Männer wären bereit, dort freiwillig zu arbeiten, besonders wegen der brutalen Behandlung durch die Firmenchefs, die ungeachtet der Jahreszeit auf die Einhaltung strenger Vorgaben pochten. Unter den Beschäftigten waren viele Jugendliche und Kinder, die schwere Lastkarren schoben oder die Palmfrüchte in Boote verluden.
Am Ende scheiterten die kolonialen Experimente mit Palmöl jedoch. Das lag, wie Robins erklärt, teils am afrikanischen Widerstand gegen die europäische Kontrolle, und teils daran, dass die Afrikaner sich viel besser auf die Bedürfnisse der Pflanze verstanden als die Europäer. Manche der vermeintlich effizienteren Methoden, die die europäischen Erzeuger einführten, waren zu unbeliebt, andere schlichtweg kontraproduktiv. Untersuchungen ergaben, dass die Palmplantagen der HCB keine höheren Erträge lieferten als die von Afrikanern bewirtschafteten natürlichen Palmhaine. Die HCB-Praktiken ignorierten, dass es eines Fruchtwechsels und Bracheperioden bedurfte, um den Boden fruchtbar zu halten. „Europas Wirtschaftlichkeitsobsession“, schreibt Robins, „bedeutete, dass jeder Hektar unablässig genutzt werden musste, um die Erträge möglichst hochzutreiben; Afrikaner hingegen passten sich zur Maximierung ihres Arbeitsertrags den Gegebenheiten des Bodens an.“ Die Europäer wussten es nicht zu schätzen, dass die Palmölproduktion in Afrika längst alltäglich war. Als in den 1920er Jahren mechanische Ölpressen nach Nigeria kamen, organisierten Frauen, die Öl stets von Hand gepresst hatten, Widerstandsaktionen. Sie versuchten, die Betreiber der Pressmaschinen daran zu hindern, auf den heimischen Märkten Palmfrüchte zu kaufen. Robins vermerkt, dass „Männer maschinell eine Gallone Öl in anderthalb Stunden pressen konnten, während eine Frau, um in Handarbeit eine Gallone zu erzeugen, dreieinhalb Stunden brauchte“. Doch der Vergleich hinkt insofern, als Frauen die Ölerzeugung mit ihren „Haushaltsroutinen“ verbinden konnten. Ein weiterer Streit zwischen Europäern und Afrikanern drehte sich um die Palmweinproduktion. Britische Beamte versuchten zu verbieten, dass Palmen zu diesem Zweck gefällt wurden, doch das zeigte wenig Wirkung, weil Palmwein vor Ort höhere Preise erzielte. Vor allem aber scheiterten europäische Versuche, mit dem Export von afrikanischem Palmöl reich zu werden, daran, dass sie immer in Konkurrenz zum einheimischen Verbrauch standen: Ende der 1930er Jahre wurden 65 Prozent des in Nigeria produzierten Palmöls von Nigerianern verbraucht.
Zu einem Welterfolg entwickelte Palmöl sich erst, als die industrielle Produktion nach Asien verlegt wurde, wo es keine Tradition hatte, weder im Hinblick auf die Ölerzeugung noch auf den Verbrauch. Beim Anbau in Asien wurde die erstmals von deutschen Botanikern in Kamerun identifizierte Tenera-Ölpalmsorte dominant. Ihre Früchte ergaben deutlich mehr Öl – mit einem Gewichtsanteil von 50 Prozent, verglichen mit 15 Prozent bei den in Afrika bevorzugten Dura-Ölpalmen.
Die Vernichtung des südasiatischen Regenwaldes
In den 1920er Jahren verbreiteten sich Ölpalmplantagen auf der malaysischen Halbinsel und auf Sumatra, aber das kolossale Wachstum der Branche begann erst in den 1970ern, zunächst in Malaysia und dann in Indonesien. 1970 wurden in Indonesien hunderttausend Hektar Land für die Palmölproduktion umgewidmet. 2015 waren daraus zehn Millionen geworden. Einer der Schlüsselfaktoren für diese Entwicklung ist, dass die Weltbank eine halbe Milliarde Dollar investierte – von denen hauptsächlich Präsident Suharto und seine Kumpane profitierten. Für die Weltbank schlug die Palmölproduktion in Indonesien zwei Fliegen mit einer Klappe: Diesen Produktionszweig zu fördern erschien als die perfekte Methode zur Armutsbekämpfung und zur Ernährung der dortigen Bevölkerung bei gleichzeitiger Ankurbelung der Wirtschaft des Landes durch Exporteinnahmen. Einem Report der Weltbank zufolge machten zwei Ressourcen Indonesien zum idealen Palmölerzeuger: „Javanische Arbeitskräfte und nicht bewirtschaftetes Land auf den anderen Inseln.“ Der Euphemismus „nicht bewirtschaftetes Land“ meint Indonesiens unberührten Regenwald, der mittlerweile zu mehr als der Hälfte den Plantagen weichen musste. Bis in die 1970er Jahre hinein verwendeten die Indonesier selbst nur wenig Palmöl, doch vierzig Jahre später, im Jahr 2010 machte es 94 Prozent des im Lande verkauften Speiseöls aus.
Im Laufe der letzten fünfzig Jahre steuerten Pflanzenöle mehr Kalorien zur Welternährung bei als jedes andere Nahrungsmittel – und Palmöl mehr als jedes andere Öl. Um die 70 Prozent des Palmöls wandern in die Produktion hochverarbeiteter Lebensmittel (ultra-processed foods, UPFs) durch den Unilever-Konzern und seine Konkurrenten. Der menschliche Körper ist auf Fett angewiesen, und die Zunge (oder das Hirn oder der Magen – oder wo auch immer Sie Ihre intensivsten Geschmackserlebnisse lokalisieren) lechzt geradezu danach. Fett transportiert Geschmacksreize wie nichts sonst. Palmöl diente und dient dazu, Milliarden von Menschen mit hochverarbeiteter Kost zu versorgen, reichhaltiger und in mancher Hinsicht reizvoller als das, was ihre Großeltern aßen. Die Kehrseite ist, dass raffiniertes Palmöl ernährungsmäßig außer Fett wenig zu bieten hat. Robins betrachtet Palmöl als den Teil der „grünen Revolution“, über den man nicht spricht. Wenn wir von der Welternährung reden, denken wir meist an Getreide, aber wie Robins feststellt, ist „seit 1960 für die Ölproduktion dreimal so viel neue Anbaufläche geschaffen worden wie für Getreide“. Zwar füllen Körner die hungrigen Mägen der Welt, doch oft ist es Palmöl, das die Körner genießbar macht.
Was aber ist Palmöl, nüchtern betrachtet? Es handelt sich um ein halbgesättigtes und bei Raumtemperatur halbfestes Fett. Es taugt zum Braten wie Speck, zum Backen wie Butter, es schmilzt wie Schokolade und lässt sich schlagen wie Sahne – und das alles zu einem Bruchteil der jeweiligen Kosten. Zudem kann es die Haltbarkeit von Produkten wie Fabrikbrot und Gebäck verlängern. Sein wichtigster Wettbewerbsvorteil besteht allerdings darin, dass Palmöl lange Zeit bedeutend billiger und die Ölpalme entschieden produktiver war als jede andere Ölpflanze. Ölpalmplantagen erwirtschaften erheblich mehr Fett pro Hektar als andere. Wollte man etwa mit Kokosnusspalmen ebenso viel Fett erzeugen, benötigte man zehnmal so viel Anbaufläche. Als Jocelyn Zuckerman ihr Buch „Planet Palm“[3] schrieb, kostete Palmöl 694 US-Dollar pro (metrische) Tonne, verglichen mit 832 Dollar für Sonnenblumenöl, 890 Dollar für Rapsöl und 1876 Dollar für Erdnussöl. 1974 wurde Palmöl erstmals billiger als sein Hauptrivale Sojabohnenöl – dessen Ernte in den Vereinigten Staaten und Brasilien damals schlecht ausfiel –, und es konnte seinen Vorsprung seither ausbauen.
Infolge der Konzentration Indonesiens auf Palmöl wuchs die Weltproduktion dieses Öls zwischen 1980 und 2015 von fünf Mio. Tonnen auf 62 Mio. an. Zuckerman geht davon aus, dass die Hälfte der in amerikanischen Supermärkten gehandelten Produkte in irgendeiner Form Palmöl enthalten, darunter Reinigungs- und Waschmittel sowie Hygieneartikel oder Kosmetika jeder Art, von der Zahnpasta bis zum Lippenstift. Für gewöhnlich wird mit der Verwendung von Palmöl nicht geworben – außer im Fall jener Seife, die erstmals 1898, als die Vorstellung einer aus dem Öl von Palmen gemachten Seife noch einen gewissen Glanz ausstrahlte, mit dem Namen „Palmolive“ für sich warb. In Kosmetika erscheint Palmöl meist in Gestalt von Derivaten mit Präfixen wie palm-, stear-, laur- oder glyc-. Jenseits der Supermärkte geht das Produktionswachstum großenteils auf die Zunahme von Biokraftstoff zurück. Wie in früheren Fällen des Rückgriffs auf Palmöl könnte auch dieser sich – nach verheißungsvollem Start als förderungswürdiger Ersatzstoff – am Ende als ebenso schädlich erweisen wie das Produkt, das er ersetzt. Als in den 1990er Jahren die Rede vom „peak oil“ aufkam, investierten viele Staaten energisch in Agrokraftstoffe auf Palmölbasis. Man versprach sich davon eine CO2-neutrale oder sogar CO2-bindende Energiequelle. Nicht einkalkuliert wurde dabei, welch enorme CO2-Mengen freigesetzt werden, wenn man Torfland zerstört, um neue Plantagen anzulegen.
Zuckerman und Robins gehen in ihren Büchern – beide bewundernswerte Leistungen – auf unterschiedliche Weise vor. Robins befasst sich intensiver mit Ökonomie und Geschichte des Palmöls sowie der schieren Stofflichkeit dieser „öligen Substanz“. Er schildert, wie sie Seife schaumig und Gebäck locker-flockig macht, ohne dass Verbraucher sie überhaupt wahrnehmen. Robins, dessen Buch so aufregend ist, dass ich noch Wochen nach seiner Lektüre kaum über irgendetwas anderes reden konnte, dokumentiert die „bemerkenswerte Wende“, die dazu führte, dass eine aus Afrika stammende Nutzpflanze mittlerweile hauptsächlich in Südostasien produziert wird, sodass Afrika heute „zehnmal mehr Palmöl ein- als ausführt“. Zuckermans Bericht ist emotionaler. Sie erzählt, wie es auf einer malaysischen Ölpalmenplantage tatsächlich zugeht: die Kinderarbeit, die Pestizidvergiftung, die Erwartung, dass Beschäftigte einen 14-Stunden-Tag lang Palmfrüchte vom Boden auflesen, ohne Stiefel oder Handschuhe und fast ohne Bezahlung, dabei ständig von Misshandlung und Gewalt bedroht.
Zuckerman dokumentiert die Methoden, mit denen die Palmöl-Lobby Desinformation über ihr Produkt betreibt und jeden Versuch, diesen Produktionszweig zu regulieren, dadurch bekämpft, dass sie ihre Kritiker als „Öko-Kolonialisten“ abstempelt. Sie zitiert einen südafrikanischen Gesundheitsexperten, der die Methoden der Palmölindustrie für „wesentlich schlimmer als alles, was ich je im Tabaksektor erlebt habe“ hält. Als Richard Walker, Geschäftsführer der britischen Supermarktkette „Iceland“, seine Absicht verkündete, bei Eigenmarken seiner Firma auf die Verwendung von Palmöl vom Jahresende 2018 an vollständig zu verzichten, reagierte die Branche mit einer Schmutzkampagne. Eine Anzeigenserie verunglimpfte Walker als einen Reichen, der die armen Bauern Malaysias bestrafe. Dabei zählen die Männer, die die dortige Palmölindustrie beherrschen, zu den reichsten ganz Südostasiens. So hat etwa Robert Kuok, Großaktionär der Palmölfirma Wilmar International, ein Nettovermögen von elf Mrd. Dollar, was ihn zum reichsten Mann von Malaysia macht. Als Zuckerman sich um ein Interview mit dem malaysischen Gesundheitsminister bemühte, wurde sie von dessen Pressechef abgeschmettert: „Er kann nicht über Palmöl sprechen. Er kann über alles sprechen, aber nicht darüber.“
Ein danteskes Inferno
Das Auftreten von Palmölfirmen in Indonesien hat dort ein geradezu danteskes Inferno geschaffen, wie aus der drastischen Schilderung eines britischen Primatologen namens Ian Singleton hervorgeht, den Zuckerman wörtlich zitiert: „Da gibt es ein Torfmoorgebiet, Urwald, jede Menge Biodiversität. Es wimmelt von Fischen und es gibt reichlich Wasser. Und dann haben wir ein paar Communitys in der Gegend, die dort traditionell Fischfang betreiben und so den Großteil ihres Proteinbedarfs decken. Die gesamte Wasserversorgung so einer Community stammt aus diesem Feuchtgebiet. Und dann gibt es ein paar Leute, die tatsächlich meinen, ihnen gehöre dort Land, weil ihre Urgroßeltern es einmal urbar gemacht haben. Aber sie haben keinerlei Unterlagen. Also kommt dann eine Firma aus Djakarta oder sonstwo her und vertreibt die Bevölkerung ganz einfach. ‚Verpiss dich.‘ ‚He, das ist mein Land.‘ ‚Unterlagen?‘ ‚Sorry, Kumpel.‘ Also werden sie vertrieben. Und dann offeriert die Firma so beschissene Löhne, dass niemand von diesen Leuten für sie arbeiten will. Sie mögen die Firma sowieso nicht – sie wurden ja gerade vertrieben. Also beschafft die Firma billigere Arbeitskräfte von Offshore-Inseln. Und die kommen und leben in beschissenen Verhältnissen. Dann lässt die Firma den ganzen Wald roden. Also wird dort alles Leben vernichtet, Ameisen und Termiten und Pilzarten eingeschlossen. Man setzt die ganze verdammte Geschichte in Brand. Dann gräbt man Entwässerungskanäle, denn um Ölpalmen anzubauen, braucht man mindestens einen Quadratmeter trockenes Torfland pro Pflanze. Dann sinken die Wasserstände, die Fischerei verschwindet. Da gibt es dann all die Leute, die hier ihren Lebensunterhalt und ihre Wasserversorgung und ihre Proteinquelle hatten, und die stehen dann alle plötzlich ohne da. Und sie sind von Plantagen umzingelt. Also könnten sie, selbst wenn sie Geld hätten, keinerlei Gemüse oder Obst anbauen [...]. Und dann ist da irgendeine Firma – oder irgendein Typ in Djakarta, der wahrscheinlich noch nie in der Gegend war –, und dessen Bankguthaben wächst und wächst und wächst, fünfundzwanzig oder dreißig Jahre lang.“ Allein in Indonesien wurden zwischen 2000 und 2012 sechs Mio. Hektar Regenwald zugunsten des Anbaus von Ölpalmen vernichtet, und das ist erst der Anfang. Vorsichtigen Schätzungen zufolge wird die Palmölnachfrage sich bis 2050 mindestens verdoppeln. Manche gehen sogar von einer Vervierfachung aus. Der Sumatra-Orang-Utan ist vom Aussterben bedroht, weil sein Habitat zugunsten neuer Plantagen zerstört wurde.
Das Märchen vom nachhaltigen Palmöl
Die Zunahme von Diabetes und Adipositas in Indien und Mexiko, um nur diese Länder zu nennen, korreliert mit der enormen Steigerung des Anteils gesättigter Palmöle an der Ernährung, sei es in Gestalt industriell verarbeiteter Lebensmittel, sei es dadurch, dass Menschen, die sich andere Fette nicht leisten können, mit dem billigsten Speiseöl kochen und backen. In Ländern wie den USA oder Großbritannien, wo man sich der umwelt- und gesundheitsschädlichen Aspekte des Palmöls zunehmend bewusst wird, verzichten die Lebensmittel-Multis in vielen ihrer Produkte darauf, aber in Asien und Südamerika nutzen sie es sogar vermehrt. Knusprige Cheetos von PepsiCo sind ein leckerer Snack. Die US-Version wird in Sonnenblumen-, Mais- und Canolaöl gebacken, die in Indien verkauften Cheetos hingegen in Palmöl. Sie enthalten über fünf Gramm gesättigte Fettsäure pro Portion.
Doch die weltweite Verbreitung des Palmöls hat sich jetzt erstmals seit dem 19. Jahrhundert verlangsamt. Am 22. April verhängte Indonesiens Präsident Joko Widodo ein Exportverbot über das Öl. Die Maßnahme richtete sich gegen den sprunghaften Anstieg der Lebensmittelpreise in Indonesien im Gefolge des Ukraine-Krieges, wird aber dazu führen, dass die Preise auch überall sonst steigen. Palmöl ist wie Weizen ein Grundnahrungsmittel – steigt sein Preis, so verteuern sich auch viele andere Produkte. Angesichts der Verknappung von Sonnenblumenöl – dessen größter Exporteur die Ukraine ist – hat der Speiseölmarkt sich noch stärker als sonst auf indonesisches Palmöl verlassen. Im März begannen einige europäische Länder, Mengenbeschränkungen beim Verkauf von Bratöl zu verordnen. Dabei war der Preis für Speiseöl aufgrund von Dürreschäden in Südamerika, das einen Großteil des weltweiten Sojaölbedarfs deckt, gegenüber dem Vorjahr schon zuvor stark gestiegen. Die Landwirtschafts-Website „Argus“ zitierte einen Palmölhändler mit den Worten: „Nur Malaysia hat gewonnen.“ Das Land avancierte zum zweitgrößten Palmölexporteur und bestreitet rund 31 Prozent der Weltversorgung. Der Anteil Indonesiens beträgt 56 Prozent. Allerdings bleibt offen, ob Malaysias Vorteil von Dauer ist, denn in den Jahren 2020/21 sanken die Palmölerträge dort um drei Prozent, weil die Pandemie zu akutem Arbeitskräftemangel geführt hatte.
Zwar hob Indonesien sein Exportverbot schon im Mai wieder auf, aber die Panik, die selbst die kurze Unterbrechung ausgelöst hatte, demonstriert, wie abhängig die Welt heute von Palmöl ist. Sie braucht es als den großen Ersatzgrundstoff, und es ist ganz und gar nicht klar, was an seine Stelle treten könnte. Auch alle anderen billigen Pflanzenöle werfen Probleme der einen oder anderen Art auf. So hat etwa der Sojabohnenanbau in Brasiliens Regenwäldern zu massenhaftem Kahlschlag geführt, denn die Sojaölerzeugung nimmt Gramm für Gramm zehnmal mehr Anbaufläche in Anspruch als die von Palmöl. Allerdings ist, worauf Robins hinweist, „Anbaufläche nicht gleich Anbaufläche. Zehn Hektar, auf denen in der kanadischen Prärie Raps zur Ölproduktion angebaut wird, sind – sowohl im Hinblick auf Biodiversität als auch auf CO2-Ausstoß und soziale Auswirkungen – etwas ganz anderes als ein Hektar Ölpalmen auf Torfmoorland in Borneo.“
Lässt sich Palmöl auf weniger destruktive Weise erzeugen? Ja, das geht, aber wenn heute „nachhaltiges Palmöl“ gerühmt wird, handelt es sich zumeist um greenwashing. 2004 wurde der Runde Tisch für nachhaltiges Palmöl (Roundtable on Sustainable Palm Oil, RSPO) gegründet. Dort ist auch der WWF vertreten, aber „zwölf seiner sechzehn Mitglieder repräsentieren“, wie Zuckerman schreibt, „Palmöl-Erzeuger, -Verarbeiter, -Händler, Banken, Investoren und Lebensmittelkonzerne – was erklären könnte, warum es kaum Fortschritte gibt“. Die Jahrestreffen der Gruppe sind „sensationelle Events“. Man trifft sich in einschlägigen Hotels in Kuala Lumpur oder Bangkok, mit Arbeitsgruppen, reichhaltigen Buffets und Cocktails, aber in den mittlerweile 17 Jahren seiner Existenz hat der RSPO lediglich 19 Prozent der globalen Ölproduktion als nachhaltig zertifiziert – darunter von Unilever, Nestlé, Colgate-Palmolive und anderen verwendete Öle –, dabei sind die Zertifizierungskriterien ziemlich anspruchslos. So sagt die Organisation zwar, Waldrodungen seien verboten, aber ein Betrieb, der unmittelbar vor dem RSPO-Beitritt noch Land gerodet hat, kann dennoch als nachhaltig eingestuft werden. Für Verbraucher ist es fast unmöglich herauszufinden, ob das erworbene Öl nachhaltig ist oder nicht. Und Nestlé konnte noch 2019 nur 62 Prozent seines Palmöls auf einen bestimmten Erzeuger zurückführen. Anders als etwa Kaffee, schreibt Robins, „wo Sorte und Terroir Verkaufsargumente sind, ist dieses industrielle Palmöl ein Produkt ohne Eigenschaften“.
Palmöl als Schmiermittel – von Instant-Nudeln bis zum Shampoo
Sowohl Zuckerman als auch Robins präsentieren Vorschläge, wie der Schaden, den das Öl anrichtet, sich vermindern ließe. Zuckerman beschreibt ein synthetisches Palmöl, das in einem dem Bierbrauen vergleichbaren Fermentationsverfahren erzeugt wird. Diese Substanz sieht offenbar wie „eine Assemblage goldfarbener Klümpchen“ aus, wachsartig und geruchlos. Hergestellt wird sie von Xylome, einer amerikanischen Tech-Firma, die auch eine nachhaltige Alternative zu Biokraftstoffen entwickelt hat, wozu sie Maisstroh benutzt, die pflanzlichen Abfälle, die nach der Maisernte auf dem Feld zurückbleiben. Würde man das gesamte für die Produktion von Haar- und Hautpflegemitteln verwendete Palmöl durch die synthetische Alternative ersetzen, könnte man – wie Nicole Kelleher, eine amerikanische „Schönheits-Unternehmerin“ und Tochter des Xylome-Chefs Tom, errechnet hat –, so viel CO2 einsparen wie durch den Verzicht auf vier Millionen Weltumrundungen per Flugzeug pro Jahr. Zugleich würde man allerdings Einkommens- und Gewinnmöglichkeiten in die USA verlagern und nichts für die Millionen asiatischer Kleinbauern tun, deren Lebensunterhalt vom Palmöl abhängt.
Robins betrachtet Thailand als Modell für eine fairere Entwicklung des Palmölsektors. Das Land ist der drittgrößte Produzent, aber anders als in Indonesien und Malaysia werden hier rund drei Viertel des Öls von Kleinbetrieben erzeugt und die Plantagen sind im Durchschnitt viel kleiner, nämlich weniger als tausend Hektar groß. Zudem hat man für ihre Anlage in den meisten Fällen keine Regenwald- oder Torfflächen zerstört, sondern ehemalige Kautschukplantagen umgewidmet. Eine Bioseifenfirma – „Dr. Bronner‘s Magic Soap“ – hat in Ghana eine eigene Palmölproduktion aufgezogen, um jeden Aspekt des Herstellungsprozesses kontrollieren zu können. Die Firma zahlt dafür Preise, die weit über dem Durchschnitt liegen, und damit möglichst viele Vorgänge in bezahlter Handarbeit erledigt werden können – die meisten Arbeitskräfte sind Frauen –, hat sie auf Mechanisierung teilweise verzichtet. Ob dieses Modell ausgeweitet werden kann, bleibt abzuwarten. „Für Palmöl mehr zu zahlen, widerspricht“, wie Robins schreibt, „der Logik, die dazu geführt hat, dass es in so vielen Produkten steckt: weil es eben so billig ist.“
Billiges Palmöl ist integraler Bestandteil eines spätkapitalistischen Systems, in dem alles mit allem zusammenhängt. Wenn es heißt, RBD-Palmöl ist unverzichtbar, dann meint das: Instant-Nudeln und schaumiges Shampoo in Plastikflaschen und billige Eiskrem werden zu allen Jahreszeiten nachgefragt. Robins hat beobachtet, dass Öko-Aktivisten auf Palmöl feindseliger reagieren als auf andere, ebenfalls umweltschädliche Tropenprodukte wie Kakao und Soja. Diese Feindseligkeit rühre womöglich daher, dass „Palmöl als etwas wahrgenommen wird, das in anderen Dingen steckt und weniger als etwas Eigenständiges“. Zuckermans Untertitel weist in die gleiche Richtung: „How Palm Oil Ended Up in Everything“ – wie es dazu kam, dass Palmöl in allem drinsteckt. Diese Sichtweise legt nahe, dass Palmöl eben buchstäblich alles – „everything“ – vergiftet habe, wir aber durchaus beruhigt sein könnten, wenn es uns gelingt, Palmöl durch irgendetwas anderes, etwas Besseres zu ersetzen. Doch das würde bei weitem nicht ausreichen: Was wirklich anders werden muss, ist nämlich das hochverarbeitete „alles“ selbst.
Deutsche Erstveröffentlichung eines Textes, der unter dem Titel „The Irreplaceable“ in der „London Review of Books“ vom 23.6.2022 erschienen ist. Übersetzung: Karl D. Bredthauer.