Ausgabe April 2023

In den Abgründen des Westens

Éric Vuillard, Ein ehrenhafter Abgang, Cover: Matthes & Seitz Berlin

Bild: Éric Vuillard, Ein ehrenhafter Abgang, Cover: Matthes & Seitz Berlin

Éric Vuillard erzählt den Stoff von gestern, als ob er ihn heute erlebt hätte. So auch in seinem neuen Werk: In „Ein ehrenhafter Abgang“ widmet sich Vuillard dem Ende der französischen Kolonialherrschaft in Indochina, also den heutigen Ländern Vietnam, Laos und Kambodscha. Eine Reise von drei Gewerbeaufsehern im Jahr 1928 zu einer Michelin-Plantage in die weit entfernte Kolonie eröffnet das Buch. Hinter den Kulissen entdecken die drei Inspektoren nicht nur archaische Ausbeutung, sondern auch moderne Managementmethoden. Effizienz geht vor Humanität: Regelmäßige Misshandlungen werden als Ausnahmen verharmlost, die Regel der Gewinne bleibt. Den Beleidigten und Beladenen bleibt als Weg ins Offene nur Flucht und Selbstmord.

Hier betreten wir eine Hauptstraße im literarischen Land Vuillards. Immer wieder befasst er sich mit dem Kolonialismus, so auch in seinem Buch „Kongo“. Dort nimmt der Schriftsteller und Regisseur die Berliner Kongo-Konferenz im Jahr 1884 – auf der die großen Mächte der Epoche regelten, wie sie Afrika künftig aufteilen würden, ohne dabei in Kriege untereinander verstrickt zu werden – zum Sprungbrett zu einer Reise ins Conradsche Herz der Finsternis. Seinen historischen Bildersaal steigert er dabei oft ins Groteske. Auch in seinem neuen Werk kommt der Sarkasmus nicht zu kurz.

»Blätter«-Ausgabe 4/2023

Sie haben etwa 15% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 85% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1.00€)
Digitalausgabe kaufen (11.00€)
Druckausgabe kaufen (11.00€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Maskulin und libertär

von Stefan Matern, Sascha Ruppert-Karakas

Echte Männer sind rechts“ – das auf Social Media viral gegangene Video des AfD-Politikers Maximilian Krah ist mehr als nur ein lapidares Bekenntnis zu traditionellen Familien- und Geschlechterrollen. Es ist vielmehr der strategische Versuch, junge Menschen niedrigschwellig an AfD-Positionen heranzuführen. Im provokanten Politainmentstil bespielt die Partei auf den digitalen Plattformen unpolitisch anmutende Themen rund um die Probleme und persönlichen Unsicherheiten junger Männer.