Ausgabe März 2024

Rohstoffe in der Tiefsee: Bewahren statt Ausbeuten

Das Bohrschiff Hidden Gem wird im Seehafen von Rotterdam umgebaut. Es soll für den Tiefseebergbau ausgerüstet werden und Rohstoffe für die Herstellung von z.B. Batterien gewinnen (IMAGO / Jochen Tack)

Bild: Das Bohrschiff Hidden Gem wird im Seehafen von Rotterdam umgebaut. Es soll für den Tiefseebergbau ausgerüstet werden und Rohstoffe für die Herstellung von z.B. Batterien gewinnen (IMAGO / Jochen Tack)

Tiefseebergbau war lange nur ein Thema für wenige Fachleute. Doch inzwischen sind die Begehrlichkeiten geweckt. Mehrere tausend Meter unter der Meeresoberfläche lagern drei Typen von mineralischen Formationen: Manganknollen, Kobaltkrusten und Massivsulfide – und alle drei enthalten Rohstoffe, die unter anderem zur Herstellung von Batterien für Elektroautos aktuell stark nachgefragt werden. Bisher jedoch wurden sie nur erkundet und nicht kommerziell abgebaut. Aber das könnte sich sehr schnell ändern.

Dabei ist der Bergbau auf dem Tiefseeboden vor allem wegen seiner unabsehbaren Auswirkungen auf die Umwelt und der Frage der gerechten Verteilung seiner wirtschaftlichen Erträge hoch umstritten. Entsprechend konfliktgeladen sind die aktuellen Verhandlungen über ein internationales Bergbaurecht zwischen den Mitgliedstaaten der Internationalen Meeresbodenbehörde (IMB), die die Tiefseebodenschätze verwaltet. Die Internationale Organisation wurde durch das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (SRÜ) von 1982 geschaffen und umfasst heute 169 Mitglieder (168 Staaten und die EU). Während einige von ihnen auf eine schnelle Ausbeutung drängen, fordern andere ein Moratorium.

In den 1970er Jahren stritten die das SRÜ verhandelnden Regierungsdelegationen darüber, wer das Recht haben sollte, die Bodenschätze der Tiefsee zu heben. 1970 hatte eine Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen den Tiefseeboden jenseits staatlicher Hoheitsgewalt zum gemeinsamen Menschheitserbe erklärt. Darauf hatten die Staaten des Globalen Südens gedrängt. Die Vereinbarung sollte einen Wettlauf um die Aneignung der Bodenschätze vermeiden und sicherstellen, dass die gesamte Menschheit vom Tiefseebergbau profitieren würde. Die Erwartung damals war, mittels des Abbaus der Bodenschätze Armut und Hunger beseitigen zu können.

In den Verhandlungen der weiteren Vorschriften über den Tiefseebergbau forderten die in der „Gruppe der 77“ zusammengeschlossenen ärmeren Staaten zunächst, ein internationales Bergbauunternehmen mit ausschließlichen Ausbeutungsrechten zu gründen. Eine Reihe von Industriestaaten, darunter Deutschland und die Vereinigten Staaten, pochten dagegen darauf, dass auch ihre privatwirtschaftlichen Unternehmen berechtigt sein sollten, Förderlizenzen zu beantragen.

Die Staaten einigten sich 1982 auf einen Kompromiss: Das SRÜ sieht sowohl die Gründung eines internationalen Bergbauunternehmens vor (genannt „Enterprise“) als auch die Lizenzierung von Einzelunternehmen. Letztere benötigen für den Lizenzerwerb eine Befürwortung („sponsoring“) durch den Staat, in dem das Unternehmen sitzt oder der es effektiv kontrolliert. Beantragt ein Unternehmen aus einem Industriestaat eine Erkundungslizenz, dann muss es zwei gleichwertige potenzielle Abbaustätten benennen, wovon eine für die Ausbeutung entweder durch das Gemeinschaftsunternehmen Enterprise oder durch ein Unternehmen eines sogenannten Entwicklungslandes „reserviert“ wird.

Infolge dieser Regelung ist das gemeinsame Menschheitserbe Tiefseeboden heute in zahlreiche Fördergebiete aufgeteilt. Mehrere private und staatliche Unternehmen haben das Recht erworben, diese Gebiete für den Mineralienabbau zu erkunden. Sie dürfen Abbaulizenzen beantragen, sobald die Regularien dazu in Kraft getreten sind, die aktuell in der IMB verhandelt werden.

Indem das Seerechtsübereinkommen die Ausbeutung nicht nur durch ein, sondern mehrere Unternehmen ermöglicht, die im Wettbewerb zueinander stehen und auf zahlreichen unterschiedlichen Gebieten auf dem Meeresboden tätig werden können, hat es die ökologischen Risiken erhöht: Für die nach betriebswirtschaftlicher Logik tätigen Unternehmen ist Umweltschutz vor allem ein Kostenfaktor, den es zu verringern gilt. Darüber hinaus schmälert die Regelung die Möglichkeit armer Länder, über das Gemeinschaftsunternehmen direkt am Tiefseebergbau zu partizipieren. Bis heute besteht dieses Unternehmen zudem nur auf dem Papier. Denn das Durchführungsabkommen von 1994, das die marktwirtschaftliche Orientierung des Tiefseebodenrechts stärken sollte, hob die Verpflichtungen der IMB-Mitgliedstaaten zur Finanzierung und zum Technologietransfer an das Gemeinschaftsunternehmen auf.

Das SRÜ verlangt, einen Mechanismus zur gerechten Verteilung der wirtschaftlichen Erträge aus dem Tiefseebergbau zu schaffen. Solange das Gemeinschaftsunternehmen seine Arbeit nicht aufgenommen hat, können allein Förderabgaben, die Unternehmen an die IMB leisten, Quelle zu verteilender Erträge sein. Zwar verhandelt der Rat der IMB aktuell über die Ausgestaltung von Förderabgaben, doch bisher liegt nicht einmal ein Entwurf für einen Verteilungsmechanismus vor. Die Gruppe der afrikanischen Staaten drängt daher verstärkt darauf, das Gemeinschaftsunternehmen zum Laufen zu bringen und einen Verteilungsmechanismus auszuhandeln.

Einen anderen Weg gehen einige kleine Pazifikstaaten. In der Hoffnung, auf diese Weise am Tiefseebergbau zu partizipieren, befürwortete etwa der pazifische Kleinststaat Nauru, deutsche Kolonie bis 1914, vor einigen Jahren (als Sponsorstaat) den Antrag einer Tochter des kanadischen Unternehmens The Metals Company (TMC) auf Erteilung einer Erkundungslizenz.

Ringen um ein internationales Bergrecht

Seit 2017 wird in der IMB intensiv über Regeln für den Abbau verhandelt. Entstehen soll ein internationales Bergrecht für die mineralischen Ressourcen am Meeresboden, das unter anderem räumliche Planungsinstrumente, Umweltverträglichkeitsprüfungen, Genehmigungsverfahren, Öffentlichkeitsbeteiligung, Haftung und die schon erwähnte Verteilung wirtschaftlicher Erträge regeln soll.

Die umweltbezogenen Vorschriften spielen in den Verhandlungen eine zunehmend wichtige Rolle. Zunächst eher als lästiges Beiwerk betrachtet, wird heute die Notwendigkeit strenger Umweltauflagen einhellig anerkannt. Klar ist allerdings, dass auch erhöhte technische Anforderungen und gutes Management nichts daran ändern, dass der Bergbau schädliche Folgen haben wird. Wissenschaftler:innen fürchten Verluste an Biodiversität und Störungen der Klimaregulierungsfunktionen der Ozeane. Sedimentwolken und Abwässer könnten ganze Ökosysteme beeinträchtigen, Geräusch- und Lichtverschmutzung marinen Lebewesen wie Walen und Delfinen schaden.

Seit zwei Jahren tagen die Regierungsdelegationen der Mitgliedstaaten der IMB rund acht Wochen im Jahr am Sitz der Behörde im jamaikanischen Kingston. Mit dabei sind auch Vertreter:innen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Einigen Befürwortern des Tiefseebergbaus gehen die Verhandlungen zu langsam voran. Deshalb beantragte Nauru im Juli 2021, die Ausbeutungsregeln innerhalb von zwei Jahren fertigzustellen. Nachdem im Juli 2023 die Frist abgelaufen ist, droht nun, dass das von Nauru unterstützte Unternehmen TMC eine Abbaulizenz beantragt. Allerdings haben die IMB-Mitgliedstaaten für diesen Fall durch einen findigen Beschluss Vorsorge getroffen. Er verlangt, dass zunächst die genauen Modalitäten des Genehmigungsverfahrens geklärt werden müssen. Ferner haben sie vereinbart, dass sie die Abbauregularien frühestens 2025 verabschieden werden.

Hoffnung auf ein Moratorium

Seit Herbst 2021 wird zugleich über eine grundlegende ökologische Neuausrichtung der IMB debattiert, die durch den Antrag Naurus besonders dringlich geworden ist. Indigene aus dem Pazifik setzen sich schon lange für einen Stopp des Tiefseebergbaus ein. Ein Moratorium fordern heute auch zahlreiche Staaten, unter anderem sogar solche, die ein wirtschaftliches Interesse am Mineralienabbau haben und deren Unternehmen Erkundungslizenzen halten.

Zwei Aufrufe für ein Moratorium des Tiefseebergbaus aus Wissenschaft und Wirtschaft haben diese Entwicklung unterstützt. Im Frühjahr 2021 sprachen sich internationale Unternehmen (BMW, Google, Samsung und Volvo) für ein Moratorium aus,[1] weil sie sich davon Reputationsvorteile versprachen und zum Teil auch eine andere Verwertungslogik in den Blick nahmen (Recycling statt Produktion). Im Juni 2021 veröffentlichten mehr als 400 Wissenschaftler:innen einen Aufruf, in dem sie im Sinne des Vorsorgeprinzips zumindest eine „Pause“ beim Bergbau fordern. Heute wird er von mehr als 800 Wissenschaftler:innen aus 44 Staaten unterstützt.[2]

Was die Regierungen betrifft, so forderten zunächst die pazifischen Inselstaaten Palau, Fiji, Samoa und die Vereinigten Staaten von Mikronesien auf der Ozeankonferenz der Vereinten Nationen 2022 ein Moratorium. Im November desselben Jahres stellten sich mit Frankreich und Deutschland auch zwei Staaten mit Erkundungslizenzen gegen einen Start des Abbaus. In den Folgemonaten schlossen sich weitere Staaten an, darunter Brasilien, Chile, Costa Rica, England, Kanada, Portugal, die Schweiz und Mexiko.

Die von den Regierungen verwendeten Begrifflichkeiten (Moratorium /vorsorgliche Pause) wie auch deren Motivationen unterscheiden sich allerdings. Viele begründen ihre Haltung damit, dass zu wenig Kenntnisse über die Umweltauswirkungen vorlägen, um Tiefseebergbau verantworten zu können. Andere argumentieren, ohne ein angemessenes System zur Verteilung der Erträge solle kein Bergbau stattfinden. Ein weiterer Einwand wird bisher noch unzureichend diskutiert: Ein erheblicher Anteil der weltweiten Treibhausgasemissionen entsteht bei Abbau und Erstverarbeitung von mineralischen Ressourcen.

Ferner führt der Bergbau weltweit schon jetzt zu Biodiversitätsverlusten und anderen schweren ökologischen und sozialen Schäden. Daher ist es dringend notwendig, weiteren Abbau ganz zu vermeiden und die Wirtschaft auf eine Kreislaufwirtschaft umzustellen, wie das auch das Nachhaltigkeitsziel zwölf der Vereinten Nationen (Nachhaltiger Konsum und Produktion) verlangt. Anstatt mit dem Tiefseebergbau eine weitere Quelle für mineralische Ressourcen zu „öffnen“, sollte es beim landseitigen Bergbau bleiben und dieser möglichst weit reduziert und nachhaltig sowie menschenrechtskonform ausgestaltet werden.

Unternehmen wie TMC argumentieren hingegen, die Mineralien vom Meeresboden seien für die Energiewende nötig. Das aber ist umstritten. Wissenschaftliche Erkenntnisse belegen eher, dass die landseitigen Quellen und Mineralien aus Recycling noch lange Zeit ausreichen werden. Außerdem können Knappheiten zu alternativen und innovativen Lösungen und der Stärkung von Suffizienz führen.

Neue Aufgaben für die Meeresbodenbehörde

Der Konflikt innerhalb der IMB – entweder baldiger Beginn des Abbaus, basierend auf einer privatwirtschaftlichen Verwertungslogik, oder ein Moratorium zum Schutz der Umwelt und der Förderung von Alternativen wie verantwortlichem Landbergbau und einer Kreislaufwirtschaft – ist Teil des allgemeineren Konflikts um die dringend notwendige sozial-ökologische Transformation.

Mitentscheidend dafür, wie sich die IMB ausrichten wird, ist die Wahl ihres Generalsekretärs für die Periode 2025 bis 2029. Dem bisherigen Amtsinhaber, dem britischen Juristen Michael Lodge, wird vorgeworfen, die neutrale Rolle eines Generalsekretärs nicht hinreichend geachtet und sich für einen schnellen Beginn des Tiefseebergbaus positioniert zu haben. Deutschland hat dies Anfang 2023 in einem Schreiben ausdrücklich thematisiert. Andere Kandidaten werden bereits diskutiert – wer sich am Ende durchsetzt, ist allerdings noch offen. Fest steht dagegen: Der Einfluss des Generalsekretärs ist groß, weshalb mit der Neuwahl eine Weichenstellung verbunden ist.

Entscheidend wird auch sein, wie sich wichtige geopolitische Akteure positionieren, insbesondere China. Der Zugriff auf strategische Ressourcen könnte für China das zentrale Argument sein, sich einem Moratorium nicht anzuschließen. Chinesische Unternehmen könnten dadurch einen Wettbewerbsvorteil haben, dass sie nicht in gleicher Weise wie privatwirtschaftliche Unternehmen Gewinn erwirtschaften müssen. Die afrikanische Gruppe hat sich bislang nicht eindeutig positioniert. Einige afrikanische Staaten hoffen weiterhin auf Einkünfte aus der Verteilung der Erträge. Manchmal werfen sie den Ländern des Globalen Nordens auch Doppelmoral vor: Diese setzten sich sehr engagiert für den Schutz der Umwelt am Meeresboden ein, thematisierten aber nicht in gleichem Maße die zum Teil desaströsen Folgen des Landbergbaus im Globalen Süden.

Sollte sich die Forderung nach einem Moratorium durchsetzen und keine Abbaulizenzen erteilt werden, dann stellt sich die Frage nach dem zukünftigen Mandat der IMB. Eine Idee ist, dass sich die Behörde vor allem für eine Koordination der Forschung engagieren sollte. Als weitere Aufgabe wird die Zusammenarbeit mit dem neuen Abkommen zum Schutz der Meeresbiodiversität diskutiert. Ein Moratorium könnte eine Chance sein, die vor allem privatwirtschaftliche Verwertungslogik zurückzudrängen und die Grundidee des Seerechtsabkommens einer gerechten und damit auch nachhaltigen Teilhabe wieder in den Mittelpunkt zu stellen.

Die sich in Kingston regelmäßig versammelnden Staatenvertreter:innen, Wissenschaftler:innen und zivilgesellschaftlichen Aktivist:innen sollten daher nicht um Ausbeutungsregeln streiten, sondern überlegen, wie die IMB den Tiefseeboden als gemeinsames Menschheitserbe bewahren kann. Die Debatte über dessen Zukunft muss als wichtiger Teil des Kampfes für die weitere Bewohnbarkeit des Planeten verstanden werden. Sie sollte daher unbedingt auch Suffizienz und Kreislaufwirtschaft in den Blick nehmen.

[1] Call for a Halt on Deep Seabed Mining, stopdeepseabedmining.org.

[2] Marine Expert Statement Calling for a Pause to Deep-Sea Mining, seabedminingsciencestatement.org.

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