Ausgabe Juli 2025

Der Preis des Widerstands

Wie Trump die Opposition zum Schweigen bringt

Protestierende in LA. In Kalifornien wurde gegen die harte Migrationspolitik der US-Regierung heftig protestiert. Trump hat die dortige Nationalgarde eingesetzt, 10.6.2025 (IMAGO / Pacific Press Agency)

Bild: Protestierende in LA. In Kalifornien wurde gegen die harte Migrationspolitik der US-Regierung heftig protestiert. Trump hat die dortige Nationalgarde eingesetzt, 10.6.2025 (IMAGO / Pacific Press Agency)

Autoritarismus ist heute schwerer zu erkennen als früher. Die meisten Autokraten des 21. Jahrhunderts werden gewählt. Anstatt wie Castro oder Pinochet die Opposition gewaltsam zu unterdrücken, verwandeln die heutigen Autokraten öffentliche Institutionen in politische Waffen, indem sie Strafverfolgungs-, Steuer- und Regulierungsbehörden einsetzen, um Gegner zu bestrafen sowie die Medien und die Zivilgesellschaft ins Abseits zu drängen. Wir nennen dies kompetitiven Autoritarismus[1] – ein System, in dem die Parteien bei Wahlen miteinander konkurrieren, aber der Amtsinhaber seine Macht systematisch missbraucht, um die Wettbewerbsbedingungen zuungunsten der Opposition zu verzerren. Auf diese Weise regieren Autokraten im heutigen Ungarn, Indien, Serbien und in der Türkei, und so regierte Hugo Chávez in Venezuela.

Das Abgleiten in den kompetitiven Autoritarismus löst nicht immer Alarm aus. Da Regierungen ihre Rivalen mit nominell legalen Mitteln wie Verleumdungsklagen, Steuerprüfungen und politisch gezielten Ermittlungen angreifen, merken die Bürger oft nur langsam, dass sie einer autoritären Herrschaft erliegen. Mehr als ein Jahrzehnt nach Chávez‘ Amtsantritt glaubten die meisten Venezolaner immer noch, dass sie in einer Demokratie lebten.

Wie können wir also feststellen, ob Amerika die Grenze zum Autoritarismus überschritten hat? Wir schlagen einen einfachen Maßstab vor: die Kosten für den Widerstand gegen die Regierung. 

In Demokratien werden die Staatsbürger nicht dafür bestraft, dass sie sich friedlich gegen die Machthaber stellen. Sie müssen sich nicht davor fürchten, kritische Meinungen zu veröffentlichen, Kandidaten der Opposition zu unterstützen oder friedlich zu protestieren, weil sie wissen, dass sie keine Repressalien von der Regierung zu erwarten haben. Der Gedanke der legitimen Opposition – dass alle Bürger das Recht haben, die Regierung zu kritisieren, Widerstand zu organisieren und zu versuchen, sie durch Wahlen abzusetzen –, ist sogar ein Grundprinzip der Demokratie. Im autoritären System hingegen hat Opposition ihren Preis. Bürger und Organisationen, die mit der Regierung in Konflikt geraten, werden zur Zielscheibe einer Reihe von Strafmaßnahmen: Gegen Politiker kann wegen Lappalien oder mit aus der Luft gegriffenen Anschuldigungen strafrechtlich vorgegangen werden, Medien können mit schikanösen Verleumdungsklagen oder nachteiligen Verwaltungsentscheidungen getroffen werden, Unternehmen können mit Steuerprüfungen überzogen oder es können ihnen wichtige Verträge oder Lizenzen verweigert werden, Universitäten und andere zivilgesellschaftliche Einrichtungen können wichtige Finanzmittel oder die Steuerbefreiung verlieren, und Journalisten, Aktivisten und andere Kritiker können von Regierungsanhängern belästigt, bedroht oder körperlich angegriffen werden.

Wenn die Menschen es sich zweimal überlegen müssen, ob sie die Regierung kritisieren oder sich ihr widersetzen, weil sie glaubhaft von Repressalien bedroht sind, leben sie nicht mehr in einer vollständigen Demokratie. Nach diesem Maßstab haben die USA die Grenze zum kompetitiven Autoritarismus überschritten. Die Regierung von Donald Trump hat Behörden zu politischen Waffen umfunktioniert, und die Flut von Maßnahmen gegen Kritiker hat die Kosten zu opponieren für viele US-Bürger in die Höhe getrieben.

Im Visier der Regierung

Die Trump-Administration hat gegen eine auffallend große Zahl von Personen und Organisationen, die sie als ihre Gegner betrachtet, Strafmaßnahmen ergriffen oder solche glaubhaft angedroht. So hat sie beispielsweise selektiv Strafverfolgungsbehörden gegen Kritiker eingesetzt. Präsident Trump wies das Justizministerium an, gegen Christopher Krebs (der als Leiter der Agentur für Cyber- und Infrastruktursicherheit öffentlich Trumps falschen Behauptungen über Wahlbetrug im Jahr 2020 widersprach) und Miles Taylor (der als Beamter des Heimatschutzministeriums 2018 anonym in der „New York Times“ einen Gastkommentar schrieb, in dem er den Präsidenten kritisierte) zu ermitteln. Die Behörden gehen auch gegen Letitia James strafrechtlich vor, die Generalstaatsanwältin von New York, die 2022 eine Klage gegen Trump eingereicht hatte.

Die Regierung hat große Anwaltskanzleien ins Visier genommen, um Vergeltung zu üben. Sie untersagte den Bundesbehörden, „Perkins Coie“, „Paul, Weiss“ und andere führende Anwaltskanzleien zu beauftragen, die sie als der Demokratischen Partei nahestehend einstuft. Sie drohte auch damit, Verträge von Behörden mit Klienten dieser Kanzleien zu kündigen, und entzog deren Mitarbeitern vorerst die Sicherheitsfreigabe, sodass diese an vielen Fällen, in die auch die Bundesbehörden einbezogen sind, nicht mehr arbeiten können. Auch Spender für die Demokratische Partei und andere fortschrittliche Organisationen müssen mit politischer Vergeltung rechnen. Im April wies Trump die Generalstaatsanwältin an, die Fundraising-Praktiken von ActBlue, der wichtigsten Spendenplattform der Demokratischen Partei, zu untersuchen, offenbar mit der Absicht, die Fundraising-Infrastruktur seiner politischen Konkurrenz zu schwächen. Große demokratische Spender fürchten nun Vergeltungsmaßnahmen in Form von Steuer- und anderen Ermittlungen. Einige haben zusätzlichen Rechtsbeistand eingestellt, um sich auf Steuerprüfungen, Untersuchungen des Kongresses oder Klagen vorzubereiten. Andere haben Vermögenswerte ins Ausland verlagert. Wie viele andere autokratische Regierungen hat auch die Trump-Administration die Medien ins Visier genommen. Trump hat ABC News, CBS News, Meta, Simon & Schuster und „The Des Moines Register“ verklagt. Die Klagen scheinen eine schwache Rechtsgrundlage zu haben, aber da Medienunternehmen wie ABC und CBS im Besitz von Konglomeraten sind, die auch andere Interessen haben, die von Entscheidungen der Bundesregierung betroffen sind, könnte ein längerer Rechtsstreit gegen einen amtierenden Präsidenten teuer werden.

Gleichzeitig hat die Regierung die Telekommunikationsbehörde (Federal Communications Commission) politisiert und sie gegen unabhängige Medien eingesetzt. Sie leitete eine Untersuchung zur Mittelbeschaffung der nicht kommerziellen Sender PBS (Public Broadcasting Service) und NPR (National Public Radio) ein, möglicherweise als Vorspiel zu Finanzkürzungen. Außerdem hat sie Beschwerden gegen ABC, CBS und NBC wegen Trump-feindlicher Tendenzen wieder aufgenommen, während sie sich dafür entschieden hat, eine Beschwerde gegen Fox News wegen der Verbreitung von Lügen über die Wahl 2020 nicht wieder aufzunehmen. Es ist bemerkenswert, dass diese Angriffe auf Gegner und die Medien mit noch größerer Geschwindigkeit und Wucht erfolgten als vergleichbare Maßnahmen, die gewählte Autokraten in Ungarn, Indien, der Türkei oder Venezuela in ihren ersten Amtsjahren ergriffen.

Nach internationalem Drehbuch

Auch in seinem Angriff auf Universitäten folgt Trump dem Vorbild anderer Autokraten. Das Bildungsministerium hat Untersuchungen gegen mindestens 52 Universitäten eingeleitet, weil sie Programme zur Förderung von Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion eingerichtet hatten. Gegen 60 Universitäten ermittelt es wegen Antisemitismus und droht dabei mit empfindlichen Strafen. Die Verwaltung hält hunderte Millionen Dollar an genehmigten Fördermitteln für führende Hochschulen wie Brown, Columbia, Princeton und die University of Pennsylvania rechtswidrig zurück. Sie hat staatliche Zuschüsse in Höhe von 2,2 Mrd. Dollar für Harvard eingefroren, die Steuerbehörde gebeten, der Universität die Steuerbefreiung zu streichen, und gedroht, ihre Genehmigung zur Aufnahme ausländischer Studierender zu widerrufen. Jonathan Friedman, geschäftsführender Direktor für Programme zur Förderung der freien Meinungsäußerung bei PEN America, drückt es so aus: „Es fühlt sich so an, als ob jede Universität jeden Tag in irgendeiner Weise eine Linie überschreiten könnte und ihr dann die gesamte Finanzierung entzogen wird.“

Schließlich werden republikanische Politiker mit Gewalt bedroht, wenn sie sich gegen Trump stellen. Die Angst vor Gewalt durch seine Anhänger hat Berichten zufolge einige republikanische Abgeordnete davon abgehalten, für seine Amtsenthebung und Verurteilung nach dem Sturm auf das Kapitol vom 6. Januar 2021 zu stimmen. Republikanische Senatoren wurden auch während der Bestätigungsanhörungen Anfang 2025 bedroht. Senator Thom Tillis, Republikaner aus North Carolina, berichtete, das FBI habe ihn vor „glaubwürdigen Todesdrohungen“ gewarnt, als er erwog, gegen die Nominierung von Pete Hegseth als Verteidigungsminister zu stimmen.

Von Angst gelähmt

Für viele US-Bürger und Organisationen sind die Kosten der Opposition also deutlich gestiegen. Obwohl diese Kosten nicht so hoch sind wie in Diktaturen wie Russland – wo Kritiker routinemäßig inhaftiert, ins Exil getrieben oder getötet werden –, sind die USA mit atemberaubender Geschwindigkeit in eine Welt hinabgestiegen, in der Regierungsgegner strafrechtliche Ermittlungen, Gerichtsverfahren, Steuerprüfungen und andere Strafmaßnahmen fürchten und selbst republikanische Politiker, wie ein ehemaliger Beamter der Trump-Administration es ausdrückte, eine Heidenangst „vor Morddrohungen“ haben.

Dies ist nicht das erste Mal, dass Kritiker der US-Regierung schikaniert, bedroht oder bestraft werden: Dissidenten wurden während der „Red Scares“ 1919 und 1920 sowie in der McCarthy-Ära ins Visier genommen. Das FBI schikanierte jahrzehntelang Bürgerrechtler und linksgerichtete Aktivisten, und die Nixon-Administration versuchte, das Finanzamt IRS und andere Behörden einzusetzen, um ihre Rivalen anzugreifen. Diese Maßnahmen waren eindeutig undemokratisch, aber sie waren in ihrem Umfang begrenzter als die heutigen. Und Nixons Bemühungen, die Bundesbehörden zu politisieren, trugen zu seinem Rücktritt bei. In der Folge wurden eine Reihe von Reformen verabschiedet, die dabei halfen, nach 1974 solchen Machtmissbrauch zu verhindern.

Das halbe Jahrhundert nach Watergate war das demokratischste in der Geschichte der USA. Trump hat dieser Ära nicht nur ein abruptes Ende gesetzt, sondern seine Regierung ist auch die erste – zumindest seit der Verfolgung der Jeffersonianer-Demokraten durch die Adams-Administration in den 1790er-Jahren –, die systematisch sowohl die parteipolitische Mainstream-Opposition als auch einen breiten Sektor der Zivilgesellschaft ins Visier nimmt.

Die autoritäre Offensive der Regierung hat eine deutliche Wirkung gezeigt. Sie hat das Verhalten der Amerikaner verändert und sie dazu gezwungen, zweimal darüber nachzudenken, ob sie sich in der Opposition engagieren, die verfassungsmäßig geschützt sein sollte. Infolgedessen verstummen viele Politiker und gesellschaftliche Organisationen, die als Kontrolleure und Gegengewichte zur Exekutive dienen sollten, oder ziehen sich hinter die Seitenlinie zurück. So hat die Angst vor Vergeltungsmaßnahmen die Spenden an Demokraten und fortschrittliche zivilgesellschaftliche Organisationen zurückgehen lassen und mehrere von diesen gezwungen, ihre Aktivitäten zu reduzieren und Mitarbeiter zu entlassen. 

Nach Trumps Angriffen auf führende Anwaltskanzleien haben Gegner der Regierung Schwierigkeiten, einen Rechtsbeistand zu finden, da sich zahlungskräftige und angesehene Kanzleien, die sich einst bereitwillig auf juristische Auseinandersetzungen mit der Regierung eingelassen haben, zurückhalten, um dem Zorn des Präsidenten zu entgehen. Die Columbia University hat sich den erpresserischen Forderungen der Regierung nach stärkeren Einschränkungen der studentischen Meinungsäußerung gebeugt. Wie Trump bemerkte: „Sie sehen, was wir mit den Hochschulen machen, und sie beugen sich alle und sagen: ‚Sir, vielen Dank‘“.

Die Selbstzensur greift um sich

Es gibt beunruhigende Anzeichen für eine Selbstzensur der Medien. Die Muttergesellschaft von CBS, Paramount, die sich um die Genehmigung der Trump-Administration für eine Fusion mit Skydance Media bemüht, hat vor kurzem eine zusätzliche Aufsicht über das Programm von „60 Minutes“ eingeführt. Dieser Schritt führte zum Rücktritt des langjährigen Produzenten der Sendung, Bill Owens, der die journalistische Unabhängigkeit gefährdet sah.Und vor allem haben die republikanischen Abgeordneten ihre Rolle als Kontrollinstanz der Exekutive aufgegeben. Wie Senatorin Lisa Murkowski, Republikanerin aus Alaska, es ausdrückt: „Wir haben alle Angst. Das ist eine ziemlich starke Aussage. Aber wir befinden uns in einer Zeit und an einem Ort, an dem ich sicherlich noch nie gewesen bin. Und ich sage Ihnen, dass ich selbst mich oft davor fürchte, meine Stimme zu erheben, denn die Vergeltung ist real. Und das ist nicht richtig.“

Die Menschen in den USA leben unter einem neuen Regime. Die Frage ist nun, ob wir es zulassen werden, dass es Wurzeln schlägt. Bislang blieb die Reaktion der US-Gesellschaft auf diese autoritäre Offensive hinter den Erwartungen zurück – und zwar in alarmierender Weise. Die Verantwortlichen in der Gesellschaft stehen vor einem schwierigen kollektiven Problem. Die große Mehrheit der US-amerikanischen Politiker, Geschäftsführer, Anwälte, Zeitungsredakteure und Universitätspräsidenten zieht es vor, in einer Demokratie zu leben, und möchte diesen Missbrauch beenden. Aber als Einzelpersonen, die mit den Drohungen der Regierung konfrontiert sind, haben sie Anreize, die Trump-Administration zu beschwichtigen, anstatt sich ihr entgegenzustellen.

Führungskräfte der Zivilgesellschaft versuchen, ihre Organisationen vor staatlichen Angriffen zu schützen, Unternehmensmanager müssen ihre Aktionäre und künftigen Geschäftsmöglichkeiten schützen, Medienbesitzer müssen kostspielige Verleumdungsklagen und nachteilige behördliche Entscheidungen vermeiden, und Universitätspräsidenten versuchen, verheerende Mittelkürzungen zu verhindern. Für jede einzelne Führungsperson kann der Preis dafür, standhaft zu bleiben, daher oft unerträglich hoch erscheinen. Obwohl sie anerkennen, dass es für alle besser wäre, wenn jemand die Führung übernehmen und sich Donald Trump widersetzen würde, sind nur wenige bereit, den Preis selbst zu zahlen. Diese Logik hat dazu geführt, dass einige der einflussreichsten Persönlichkeiten der USA, darunter Politiker, Milliardäre, Vorstandsvorsitzende und Universitätspräsidenten, an der Seitenlinie bleiben und darauf hoffen, dass jemand anderes die Initiative ergreift.

Wenn die Opposition sich tot stellt, gewinnt die Regierung

Strategien zur Selbsterhaltung haben zu viele führende Vertreter der Zivilgesellschaft dazu gebracht, sich in Schweigen zu hüllen oder sich autoritären Schikanen zu beugen. Kleine Akte des Einlenkens und Akzeptierens, die als notwendige Verteidigungsmaßnahmen dargestellt werden, erscheinen als der einzig vernünftige Weg. Aber das ist die fatale Logik der Beschwichtigung: der Glaube, dass ein stilles Nachgeben in kleinen, scheinbar vorübergehenden Schritten den langfristigen Schaden abschwächen wird. Normalerweise ist das nicht der Fall. Und individuelle Selbsterhaltungstaten haben ernste kollektive Kosten: Erstens wird diese Duldsamkeit die Regierung wahrscheinlich ermutigen, ihre Angriffe zu intensivieren und auszuweiten. Autokraten setzen sich selten allein durch Gewalt an der Macht fest. Ihre Herrschaft wird durch das Entgegenkommen und die Untätigkeit derer, die sich hätten wehren können, erst ermöglicht. Appeasement ist, wie Churchill warnte, als würde man ein Krokodil füttern und hoffen, als Letzter gefressen zu werden.

Das Einlenken der Einzelnen schwächt, zweitens, auch die demokratischen Verteidigungsmechanismen der US-amerikanischen Demokratie insgesamt. Auch wenn der Rückzug eines einzelnen Spenders oder einer Anwaltskanzlei vielleicht nicht so viel ausmacht, könnte ein kollektiver Rückzug dazu führen, dass Gegner der Trump-Regierung ohne angemessene Finanzierung oder rechtlichen Schutz dastehen. Die kumulative Wirkung jeder nicht veröffentlichten Zeitungsmeldung, jeder nicht gehaltenen Rede oder Predigt und jeder nicht abgehaltenen Pressekonferenz auf die öffentliche Meinung kann erheblich sein. Wenn die Opposition sich tot stellt, gewinnt in der Regel die Regierung. Die Duldsamkeit der prominentesten Anführer unserer Zivilgesellschaft sendet eine zutiefst demoralisierende Botschaft: Sie sagt den US-Amerikanern, dass die Demokratie es nicht wert sei, verteidigt zu werden – oder dass Widerstand zwecklos sei. Wenn die privilegiertesten Personen und Organisationen der USA nicht willens oder in der Lage sind, die Demokratie zu verteidigen, was sollen dann die normalen Bürger tun?

Die Kosten der Opposition sind kein unüberwindliches Hindernis. Und wichtig ist, dass der Abstieg in den Autoritarismus umkehrbar ist. Die prodemokratischen Kräfte haben sich in den vergangenen Jahren in Brasilien, Polen, der Slowakei, Südkorea und anderswo erfolgreich gegen den Rückfall gewehrt oder ihn rückgängig gemacht. Die Gerichte der Vereinigten Staaten bleiben unabhängig und werden mit ziemlicher Sicherheit einige der missbräuchlichsten Maßnahmen der Regierung blockieren. Aber Richter, die selbst Ziel von gewalttätigen Drohungen, Schikanen der Regierung und sogar Verhaftungen sind, können die Demokratie alleine nicht retten. Ein breiter gesellschaftlicher Widerstand ist unerlässlich.

Die Kosten des Widerstands teilen

Die US-amerikanische Zivilgesellschaft verfügt über die finanziellen und organisatorischen Mittel, um sich Trumps autoritärer Offensive zu widersetzen. Es gibt mehrere hundert Milliardäre, Dutzende von Anwaltskanzleien, die mindestens eine Milliarde Dollar pro Jahr verdienen, mehr als 1700 private Universitäten und Hochschulen, eine riesige Infrastruktur von Kirchen, Gewerkschaften, privaten Stiftungen und gemeinnützigen Organisationen sowie eine gut organisierte und finanzstarke Oppositionspartei.

Aber die Zivilgesellschaft muss gemeinsam handeln. Führungskräfte, Anwaltskanzleien, Universitäten, Medien und Politiker der Demokraten wie auch der traditionellen Republikaner haben das gemeinsame Interesse, unsere verfassungsmäßige demokratische Ordnung zu erhalten. Wenn Organisationen zusammenarbeiten und sich zur kollektiven Verteidigung demokratischer Prinzipien verpflichten, teilen sie sich die Kosten des Widerstands. Die Regierung kann nicht alle auf einmal angreifen. Wenn die Kosten des Widerstands geteilt werden, werden sie für den Einzelnen leichter zu tragen sein. Bisher kam der energischste Widerstand nicht von führenden Politikern, sondern von ganz normalen Bürgern, die bei „Town Hall“-Veranstaltungen von Kongressabgeordneten erschienen oder an „Hands Off“-Kundgebungen im ganzen Land teilnahmen. Unsere Politiker müssen ihrem Beispiel folgen. Eine kollektive Verteidigung der Demokratie hat am ehesten dann Erfolg, wenn prominente, finanzstarke Einzelpersonen und Organisationen mitmachen – also diejenigen, die am besten in der Lage sind, Schläge der Regierung abzufangen.

Es gibt Anzeichen eines Erwachens. Harvard hat sich geweigert, den Forderungen der Regierung nachzugeben, die die akademische Freiheit untergraben würden. Microsoft hat eine Anwaltskanzlei fallenlassen, die mit der Regierung einen Vergleich ausgehandelt hat, und eine beauftragt, die sich der Regierung widersetzt. Und eine neue Anwaltskanzlei mit Sitz in Washington D.C. hat angekündigt, dass sie diejenigen vertreten will, die zu Unrecht ins Fadenkreuz der Regierung geraten. Wenn sich die einflussreichsten Mitglieder der Zivilgesellschaft wehren, verschafft dies anderen politischen Rückhalt. Außerdem motiviert es die einfachen Bürger, sich dem Kampf anzuschließen. Ja, das Abgleiten der Vereinigten Staaten in den Autoritarismus ist umkehrbar. Aber fest steht auch eines: Noch nie hat jemand eine Autokratie von der Seitenlinie aus besiegt.

Deutsche Erstveröffentlichung eines Artikels, der unter dem Titel „How Will We Know When We Have Lost Our Democracy?“ am 8. Mai in der „New York Times“ erschienen ist. Übersetzung: Ferdinand Muggenthaler. From The New York Times, May 8 © 2025 The New York Times. All rights reserved. Used by permission and protected by the Copyright Laws of the United States. The printing, copying, redistribution, or retransmission of this Content without express written permission is prohibited.

[1] Vgl. Steven Levitsky und Lucan A. Way, Der Staat als Waffe: Trumps kompetitiver Autoritarismus, in: „Blätter“, 3/2025, S. 47-58.

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