Vorgelegt von den Fraktionen Bündnis 90/Grüne in der Volkskammer und Die Grünen im Bundestag am 6. Juni 1990 (Wortlaut)
Die gemeinsame Erklärung zum Staatsvertrag wurde von einer paritätisch besetzten Kommission aus Abgeordneten beider Fraktionen erarbeitet und mit dem Votum beider Fraktionen verabschiedet. Es handelt sich um die erste offizielle gemeinsame Erklärung beider Kräfte. D. Red.
Präambel
I. Mit dem Ende des totalitären Herrschaftssystems in den Ländern Mittel- und Osteuropas geht die Teilung Europas und Deutschlands ihrem Ende entgegen. Angesichts unserer Geschichte tragen wir besondere Verantwortung: für unser eigenes Schicksal und das unserer Nachbarn, die die Entwicklung in Deutschland mit Sorge beobachten. Wir bejahen die deutsche Einheit. Gleichzeitig betonen wir: Wenn Deutschland Vertrauen erwerben und nicht Angst verbreiten will, muß es die Oder-Neiße-Grenze anerkennen und sich in ein kooperatives Sicherheitssystem einbinden, das aus dem KSZE-Prozeß erwächst und an die Stelle der alten Militärblöcke tritt. Diese neue europäische Vertragsgemeinschaft nimmt den Nationalstaaten einen Teil ihrer bisherigen Souveränitätsrechte in der Außen- und Sicherheitspolitik. Ein vereintes, entmilitarisiertes Deutschland muß auf den Besitz und den Vertrieb von nuklearen und anderen Vernichtungswaffen verzichten und zur Auflösung der NATO anstatt zu ihrer Stärkung beitragen. Die Politik für ein demokratisches Europa der Regionen und ein verantwortliches und solidarisches Engagement im Interesse der Länder der Dritten Welt gehören untrennbar zusammen.
II. Das Ergebnis der Volkskammer-Wahl am 18. März 1990 hat gezeigt, daß die Mehrheit der DDR-Bevölkerung eine schnelle Währungsunion will. Die Erarbeitung eines Staatsvertrages ist hierfür eine notwendige Voraussetzung. Allerdings wurden die BürgerInnen der DDR im Vorfeld der Wahlen über Ausmaß und Risiken des Experiments im Unklaren gelassen. Den paraphierten Staatsvertrag lehnen wir aus schwerwiegenden verfassungsrechtlichen, politischen und wirtschaftlichen Bedenken und wegen der schweren sozialen Auswirkungen infolge der unverantwortlichen Terminsetzung für die Währungsunion ab:
- Die DDR gibt ihre Souveränität in entscheidenden Teilen ab, ohne daß die staatliche Einigung zeitlich und sachlich geregelt ist. Die BürgerInnen der DDR und ihr Parlament werden einem Rechtssystem ausgesetzt, auf das sie keinerlei Einfluß hatten und haben.
- Der Vertrag bedeutet einen kalten Schock für das Wirtschaftssystem mit Massenarbeitslosigkeit und nicht absehbaren sozialen und innenpolitischen Folgen. Das soziale Netz und wirksame Interessenvertretungen sind unterentwickelt und im Vertrag nicht ausreichend abgesichert.
- Der Vertrag führt zu einem Ausverkauf des Produktivvermögens sowie von Grund und Boden in der DDR.
- Frauen, die auch in der Vergangenheit die Hauptlasten der Fehlentwicklungen zu tragen hatten, werden erneut zu den Verliererinnen gehören. Die Sicherung ihrer Interessen ist kein Thema im Staatsvertrag.
- Die Übernahme bundesdeutscher Umweltgesetzgebung bedeutet für die DDR zwar eine Verbesserung, zugleich aber die Gefahr der Wiederholung in der Bundesrepublik gemachter Fehler. Eine ungehemmte Wachstumspolitik produziert zunehmende ökologische Folgekosten und untergräbt unsere Lebensgrundlagen. Die Mehrheit der DDR-Bevölkerung sieht in Anbetracht der wirtschaftlichen Stärke und des Wohlstands der Bundesrepublik die einzige Alternative in einer möglichst vollständigen Übernahme des bundesdeutschen Wirtschaftssystems. Wir meinen, daß das Versagen "real-sozialistischer" Kommandowirtschaft uns nicht hindern darf, auch die Mängel und Risiken einer unsolidarischen Wachstums- und Wohlstandsgesellschaft zu benennen und nach Alternativen zu suchen.
III. Auf dem Hintergrund unserer grundlegenden Kritik am vorgelegten Staatsvertrag fordern wir:
1. eine Vereinbarung beider deutscher Staaten zur Bildung einer Verfassunggebenden Versammlung und eine Volksabstimmung in der BRD und DDR über den auszuarbeitenden Verfassungsentwurf;
2. die weitgehende Streichung der Schulden der DDR-Betriebe gegenüber der Staatsbank der DDR; die verbleibenden Restschulden sollen differenziert umbewertet und ihre Tilgung sinnvoll terminiert werden.
3. Als Gegengewicht gegen den vereinbarten Souveränitätsverlust der DDR in der Geld- und Währungspolitik erhält die Staatsbank der DDR provisorisch bis zur Bildung der Landeszentralbanken in der DDR fünf stimmberechtigte Sitze im Zentralbankrat der Deutschen Bundesbank.
4. Grund und Boden und volkseigene Wohnungen in der DDR dürfen nicht in den Verkauf zur Strukturanpassung und Haushaltssanierung einbezogen werden.
5. Zur breiten Vermögensstreuung sollen alle BürgerInnen der DDR einklagbare Anteilsrechte am Volkseigentum der DDR erhalten; Belegschaften erhalten durch besondere Anteilsrechte die Möglichkeit, Eigentum an ihren Betrieben zu erwerben und so demokratische Mitbestimmungsmodelle zu verwirklichen.
6. Um akute Gefahren für Leben und Umwelt zu beseitigen, ist der sofortige Ausstieg aus der Atomenergie unumgänglich. Zum Schutz des Klimas ist ein Strukturhilfeprogramm für ein dezentrales, kommunales Energiesystem mit Vorrang für Energieeinsparung und erneuerbare Energiequellen notwendig.
7. Um der absehbaren sozialen Notlage vieler Menschen in der DDR zu begegnen, ist die Einführung einer bedarfsorientierten Grundsicherung und einer dynamisch angepaßten Mindestrente erforderlich.
I. Für eine neue Verfassung
Die Einigung der beiden deutschen Staaten ist die wohl schwerwiegendste und weitreichendste Entscheidung unserer Nachkriegsgeschichte. Dabei geht es längst schon nicht mehr nur um das o b, sondern vor allem um das w i e der Einheit; um die äußere und innere Gestalt des neuen Staates. Die Grünen und Bürgerbewegungen in BRD und DDR sagen deutlich: Die Einheit ist keine bloße wirtschaftliche, sie ist vor allem auch eine demokratische und politische Frage. Sie kann deshalb nicht von oben, über die Köpfe der Menschen hinweg, nur von den Regierungen und wirtschaftlichon Interessengruppen gestaltet werden. Für diese große demokratische Aufgabe brauchen wir Zeit und wir brauchen die parlamentarische und die öffentliche Debatte. Die Bundesregierung aber hat ein Verfahren durchgesetzt, bei dem die Demokratie und damit die Interessen der BürgerInnen völlig unter die Räder kommen.
So benutzt die Bundesregierung den Staatsvertrag über die Schaffung einer Währungs- und Wirtschaftsunion als politisches Druckmittel, um der DDR das Ordnungssystem der Bundesrepublik aufzudrängen. Die Eile, mit der dieses Verfahren betrieben wird, ist nicht allein eine Reaktion auf den besorgniserregenden Zustand der Wirtschaft in der DDR. Sie verfolgt auch den Zweck, vollendete Tatsachen zu schaffen und so eine g e s a m t d e u t s c h e R e f o r m d i s k u s s i o n zu unterbinden, deren Dynamik auch die Bundesrepublik erfassen könnte. Mit dem Staatsvertrag setzen sich die Regierungen an die Stelle des Gesetzgebers.
Die Parlamente werden zu Statisten degradiert, die ohnmächtige Bevölkerung in den Zuschauerraum verbannt. "Wir sind das Volk" war der Ruf, mit dem sich die Bevölkerung der DDR aus der jahrzehntelangen Unterdrückung der Diktatur von SED und Blockparteien befreit hat. Auch jetzt, bei den Schritten zur Einheit und in einem zukünftigen gemeinsamen deutschen Staat muß gelten, daß das Volk in allen wichtigen politischen Fragen das letzte Wort hat. Mit der Ablehnung des Verfassungsentwurfes des Runden Tisches als vorläufiges Grundgesetz haben die Regierungsparteien der DDR ein beabsichtigtes Rechtsvakuum geschaffen und so verhindert, daß sich der Staatsvertrag im Rahmen einer gültigen Verfassung bewegt. Die dem Parlament vorgelegten Verfassungsgrundsätze ordnen DDR Recht den Bestimmungen des Staatsvertrages unter.
Damit tritt der Staatsvertrag an die Stelle einer Verfassung. Mit dem Durchpeitschen des Staatsvertrages versuchen die Regierungen nicht nur, das Volk selbst an der Mitwirkung zu hindern. Auch die parlamentarische Mitwirkung verkommt angesichts von 2500 Seiten Gesetzestext, die in 4 Wochen beraten und beschlossen werden sollen, zur Farce.
Schließlich versuchen die Regierungen auf diesem Wege auch, das Grundgesetz zu umgehen, das in seinem Artikel 146 eine neue Verfassung für den gesamtdeutschen Staat verlangt.
Denn das Grundgesetz wurde gemacht, "um dem staatlichen Leben für eine Übergangszeit eine neue Ordnung zu geben" (Präambel GG). Es wurde bewußt als Provisorium betrachtet. Deshalb heißt es nicht "Verfassung", sondern "Grundgesetz". Darum wurde das Grundgesetz auch nicht, wie in demokratischen Staaten selbstverständlich, in einer Volksabstimmung, sondern nur vom Parlamentarischen Rat und von den Ministerpräsidenten der Länder beschlossen.
Schließlich wäre es einem Teil des "deutschen Volkes" damals nicht möglich gewesen, an einer solchen Abstimmung mitzuwirken.
So lautet denn auch die Schlußbestimmung des Grundgesetzes: "Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist." (Art. 146 GG) Sobald also der Auftrag der Präambel, die Herstellung der "Freiheit und Einheit" erfüllt ist, brauchen wir eine neue Verfassung.
So erklärte Prof. Carlo Schmid, der Vorsitzende des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates, am 6. Mai 1949: "Jeder Teil Deutschlands kann dem Grundgesetz beitreten. Auch der Beitritt aller deutschen Gebiete wird dieses Grundgesetz nicht zu einer gesamtdeutschen Verfassung machen können. Die wird es erst dann geben, wenn das deutsche Volk die Inhalte und Formen seines politischen Lebens in freier Entschließung bestimmt haben wird." Gegenüber diesem Verfassungsgebot ist es geradezu ein Skandal, daß der Staatsvertrag in seiner Präambel zwar eine Festlegung auf den Art. 23 GG (Beitritt der DDR zum Grundgesetz), nicht aber zur gleichen Zeit eine Vereinbarung über die verfassungsrechtlich gebotene Ausarbeitung einer neuen Verfassung enthält. Wir fordern deshalb, daß die beiden vertragsschließenden Staaten die Bildung einer verfassunggebenden Versammlung vereinbaren. Dieser v e r f a s s u n g g e b e n d e n V e r s a m m l u n g obliegt es, unter Beteiligung der BürgerInnen auf der Basis des Bonner Grundgesetzes und unter Berücksichtigung des Verfassungsentwurfes des Runden Tisches der DDR eine neue Verfassung auszuarbeiten, die anschließend d e n B ü r g e r I n n e n i n B R D u n d D D R z u r A b s t i m m u n g v o r z ul e g e n ist. Die Debatte über eine neue Verfassung ist die wichtigste Debatte überhaupt, die ein Volk führen kann. Sie kann und darf ihm nicht vorenthalten werden.
Denn die Verfassung ist der elementarste Ausdruck der politischen Selbstbestimmung und Demokratie. Sie bildet das Fundament des zu errichtenden Hauses. Dieses Fundament kann nur vom Volk selbst gelegt werden. Jede/r sollte die Möglichkeit haben, sich mit Beiträgen, Initiativen usw. an dieser Verfassungsdiskussion zu beteiligen. Gerade aus der Überwindung zentralistischer Herrschaft in der DDR erwächst - ebenso wie aus den Erfahrungen der Bundesrepublik Deutschland - der Auftrag, eine Verfassung auszuarbeiten, die nicht hinter das Grundgesetz zurückfällt, sondern im Gegenteil die föderativen Strukturen und die sozialen Rechte (insbesondere Recht auf Arbeit, Recht auf Wohnung und Aussperrungsverbot) stärkt und konkrete und moderne Bestimmungen zu Volksbegehren und Volksentscheid, zum Schutz der Umwelt, zur Gleichstellung der Frauen und zum Verzicht auf atomare, biologische und chemische Waffen enthält.
Gesamtdeutsche Wahlen, mit deren Termin inzwischen aus parteitaktischen Überlegungen schamlos jongliert wird, können erst der letzte Schritt auf dem Weg zur Einheit sein. Sie setzen die Existenz des gesamten Gebäudes, also des neuen, gemeinsamen, demokratisch verfaßten Staates voraus. Niemand baut ein Haus vom Dach her. Und so müssen auch hier zuerst die Fundamente gelegt werden: Die Verfassung, die Konstituierung der Länder mit Landesverfassungen und Landtagswahlen in der DDR sowie die Ausarbeitung eines neuen, gemeinsamen Wahlrechts. Dieses Wahlrecht muß die besten und demokratischsten Elemente im Wahlrecht der beiden deutschen Staaten vereinen. Würde dagegen nach dem Wahlgesetz der Bundesrepublik Deutschland gewählt, würden die Bürgerbewegungen, die die Revolution in der DDR getragen haben, ausgeschlossen. Das Wahlrecht muß deshalb Bürgerbewegungen stärken und darf nicht, wie in der Bundesrepublik, ausschließlich Parteien das Monopol auf die politische Willensbildung einräumen. Wir wollen die Vereinigung.
Aber wir wollen einen demokratischen Weg zur Einheit. Die Einheit muß von den BürgerInnen selbst gewollt und gestaltet werden.
II. Zur Währungs- und Wirtschaftsunion
Die DDR-BürgerInnen haben sich aufgrund ihrer Erfahrung aus 40 Jahren Plan- und Kommandowirtschaft für die schnelle Einführung der D-Mark entschieden. Unter den gegebenen Umständen bringt dies die vollständige Übernahme der bundesdeutschen Wirtschaftsordnung mit sich.
Doch die Erwartung, eine marktwirtschaftlich organisierte Ökonomie werde Umwelt- und jetzt schon absehbare Beschäftigungsprobleme gleichsam von selbst lösen, wird sich schnell als trügerisch erweisen. Wir fordern statt dessen, die künftige Finanz- und Wirtschaftspolitik der beiden deutschen Staaten so auszurichten, daß alle finanz- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen den Erfordernissen der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung, des ökologischen Umbaus der Wirtschaft und des Abbaus des regionalen Wirtschaftsgefälles in einem vereinigten Deutschland Rechnung tragen. Die Maßnahmen sind so aufeinander abzustimmen, daß sie möglichst gleichzeitig - die ökologischen Grundlagen des Wirtschaftens bewahren und wiederherstellen ("Nachhaltiges Wirtschaften"), - die Erwerbsarbeit für alle, bei gleichen Teilhabemöglichkeiten für Frauen und Männer, gewährleisten, - zur Stabilisierung des Preisniveaus beitragen, - außenwirtschaftliches Gleichgewicht ermöglichen, - und zu einer gleichmäßigen Einkommens- und Vermögensverteilung beitragen. Währungsunion: Für einen bundesdeutschen Solidarbeitrag
Die Wirtschaftsgeschichte der BRD belegt, daß einer stabilen, konvertiblen Währung eine leistungsstarke und wettbewerbsfähige Wirtschaft vorausgehen muß.
Dennoch wird die Währungsunion an den Anfang gestellt, die Vereinigung der beiden deutschen Staaten auf monetärem Wege vorvollzogen.
Damit hat sich das zentrale Interesse der DDR-BürgerInnen von der demokratischen Umgestaltung auf die DM verlagert. Die aus der Mangelgesellschaft entstandenen Sorgen scheinen überwunden.
Doch keines der wirklichen Probleme, weder die Übersiedlerfrage noch das Wirtschaftsgefälle zwischen den beiden deutschen Staaten, ist tatsächlich gelöst.
Entgegen allen nationalen Beteuerungen ist die Bundesregierung bisher nicht bereit, in die deutsche Einheit mehr zu investieren, als sie bereits für die Zweistaatlichkeit Deutschlands aufwenden mußte. Einem einmaligen Finanzzuschuß an die DDR für den Zeitraum 1990 bis 1994 in Höhe von 115 Mrd. DM einschließlich der Anschubfinanzierung für Renten- und Arbeitslosenversicherung mit 5,75 Mrd. DM stehen bisherige jährliche Kosten für die Teilung Deutschlands (Transitpauschale, Berlin- und Zonenrandförderung, Begrüßungsgeld etc.) gegenüber, deren Höhe mit 40 Mrd. DM beziffert wird. Angesichts der drastischen Einsparungsmöglichkeiten im bundesdeutschen Verteidigungshaushalt und der wesentlich größeren Belastung der DDR durch den verlorenen Krieg (höhere Reparationen, Knebelungsverträge mit der Sowjetunion) wirken die finanziellen Beiträge des Bundes merkwürdig gering.
Dagegen ist der Finanzbedarf der DDR ungemein groß. Jahrzehntelang haben die SED und ihre verbündeten Blockparteien auf Kosten der Betriebe, der Bausubstanz, der Infrastruktur und der Umwelt ihre eigenen Kassen sowie den aufwendigen Staatshaushalt gefüllt und ihr Wohnungsbau- und Sozialprogramm realisiert. Viele Betriebe, Anlagen und Gebäude sind dadurch verschlissen, Verkehrsund Kommunikationswesen veraltet, Teile der Umwelt hochgradig geschädigt. Um diese Situation nachhaltig zu verändern und um den Ansatz für ein neues, ökologisch und wirtschaftlich effektiv gestaltetes Deutschland zu verwirklichen, bedarf es eines bundesdeutschen Solidarbeitrages.
Doch obwohl Banken und Großkapital am Vereinigungsprozeß gewinnen werden, tragen sie nicht zur Finanzierung der Einheit bei. Wie gerechtfertigt eine solche Unterstützung ist, zeigt sich allein daran, daß bei der Vereinigung der beiden deutschen Staaten, die DDR Bevölkerung und künftige Generationen die enorme Pro-Kopf-Verschuldung des Bundes mit abtragen müssen, ohne daß sie von den entsprechenden Ausgabeprogrammen in der Vergangenheit einen Nutzen hatten.
Wir fordern:
- Weitgehende Streichung der aus Kommandowirtschaft und Plandiktat resultierenden Verbindlichkeiten von Betrieben gegenüber der Staatsbank der DDR; differenzierte Umbewertung und sinnvoll terminierte Tilgung der verbleibenden Restschulden. Nur durch diese Befreiung von finanziellen Altlasten können ungerechtfertigte Wettbewerbsnachteile der DDR-Unternehmen vermieden und günstigere Chancen beim Übergang in die Marktwirtschaft eingeräumt werden.
- Finanzhilfen zur Umstrukturierung der DDR-Wirtschaft sowie zur Schaffung neuer Arbeitsplätze, zur Umschulung und Qualifizierung von Arbeitnehmern und Unternehmern, zur Erneuerung und Ausbau der Infrastruktur, zur Sanierung der Umwelt und zur Rekonstruktion und zum Neubau von Wohnungen. Diese Strukturhilfen für die DDR-Wirtschaft könnten in einer Größenordnung von 40 Mrd. DM/Jahr finanziert werden, ohne daß andere wichtige Aufgaben vernachlässigt oder den BürgerInnen der Bundesrepublik Lasten aufgezwungen werden.
Zur Finanzierung schlagen wir vor:
- deutliche Verringerung der Rüstungsausgaben
- volle Besteuerung der Zinseinkünfte mittels Kontrollmitteilungen
- Solidarabgabe für Bezieher höherer Einkommen
- Wachstumsbedingte Steuermehreinnahmen des Bundes (ca. 5-6 Mrd. DM pro Jahr) und ein Teil des Bundesbankgewinns
- Kosteneinsparungen durch die Überwindung der deutschen Teilung.
Obwohl die DDR ihre Währungssouveränität aufgibt, geht sie nicht als gleichberechtigter Partner, sondern mit weniger Kompetenzen als jedes Bundesland in die gemeinsame Währungsunion ein.
Wir fordern:
1. Die Staatsbank der DDR übernimmt bis zur Bildung der Länder in der DDR die Aufgaben einer Landeszentralbank. Sie ist im Zentralbankrat der Deutschen Bundesbank mit fünf stimmberechtigten Mitgliedern vertreten.
2. Für das Direktorium der Deutschen Bundesbank sind zwei Mitglieder aus der DDR zu benennen.
3. Als folgerichtiger Schritt zur deutschen Einheit wird die Deutsche Bundesbank in Deutsche Notenbank umbenannt.
Wer bezahlt die deutsche Einheit? Keine Volksenteignung durch Staatsvertrag!
Die alle bewegende Frage: "Was kostet die deutsche Einheit? " wird an der entscheidenden Stelle im Staatsvertrag Artikel 26 (4) zu Lasten der BürgerInnen der DDR beantwortet. "Das volkseigene Vermögen ist vorrangig für die Strukturanpassung der Wirtschaft und für die Sanierung des Staatshaushalts in der Deutschen Demokratischen Republik zu nutzen." Nach geltendem Recht gehören zum Volkseigentum neben den Betrieben auch die Staatsbank der DDR, das ehemalige Kommunaleigentum, Wohnungen und volkseigener Grund und Boden. Der Staatsvertrag führt zu einer Volksenteignung in bisher nie dagewesenem Ausmaß. Die BürgerInnen der DDR haben ein unverbrüchliches Recht auf das volkseigene Vermögen. Jedoch der Staatsvertrag sieht vor, das einer Treuhandanstalt überwiesene Volkseigentum, dessen Wert auf 1000 Mrd. DM geschätzt wird, vollständig zu "verwerten" (Art. 27 [3]).
Wir fordern statt dessen:
- Grund und Boden und volkseigene Wohnungen in der DDR dürfen nicht in den Verkauf zur Strukturanpassung und Haushaltssanierung einbezogen werden. - Eine klare Abgrenzung, welcher Anteil der volkseigenen Betriebe durch Veräußerung zur Finanzierung der aus der Währungsunion entstehenden Kosten (Arbeitslosenunterstützung, Sozialhilfe, Investitionshilfen und zeitlich begrenzte Subventionen) zur Verfügung stehen soll. Ein Loch im Haushalt, das beliebig durch Kapitalverkauf gestopft werden kann, verhindert eine verantwortliche Haushaltspolitik des Staates.
- Die sofortige Übertragung des kommunalen Eigentums an die Kommunen und Länder wie es bis 1949 auf dem Gebiet der DDR bestand, um eine Haushaltsplanung überhaupt zu ermöglichen. Wir fordern, die zentralistische Zuteilung der Gelder so schnell wie möglich zu beenden. Viele BürgerInnen der DDR haben durch redliche Arbeit trotz geringer Realeinkommen kleine und mittlere Sparguthaben angelegt. Der Wert solcher Spareinlagen einschließlich langfristiger Lebensversicherungen kann allein am Binnenwert der DDR-Währung gemessen werden. Die im Staatsvertrag vorgesehenen Umtauschkurse werden der realen Kaufkraft der DDR-Mark und dem im eigenen Land finanzierbaren Lebensstandard nicht gerecht. Die Regierung de Maizi?re hat geschworen, Recht und Gesetz, der DDR zu wahren.
Obgleich in den Anlagen II, III und IV zum Staatsvertrag umfangreiche Rechtsvorschriften erlassen, aufgehoben oder geändert werden, bleibt das Statut der Sparkassen der DDR vom 23. Oktober 1975 (GBl. I, Nr. 43, S. 703) und somit die Staatsgarantie für die Sicherheit der Spareinlagen in Kraft. Die Regierung hat damit die Pflicht einer Abwertung der Sparguthaben entgegenzuwirken. Der Staat hat kein Recht, zum Ausgleich des Umtauschverlustes "evtl. übrigbleibendes Volkseigentum" gutzuschreiben. Für die Entschädigung der Sparer darf er ausschließlich wirkliches Staatseigentum einsetzen.
Wir fordern:
Zur Begleichung von Staatsschulden sind ausschließlich Vermögen und Wertbestände der SED, der verbündeten Blockparteien CDU, LDPD und NDPD, protegierter gesellschaftlicher Organisationen, der geschaffenen Staats- und Sicherheitsorgane, der eigentlichen Träger des sozialistischen Staates, liquide zu machen. Dabei müssen rechtsstaatliche Prinzipien und Vorgehensweisen streng gewahrt werden. Die Kontrolle der Parteigelder und des Parteieigentums darf nur durch unabhängige parlamentarische Untersuchungskommissionen geschehen. Keinesfalls darf eine Regierungskommission damit faktisch alle politischen Maßnahmen der Opposition kontrollieren. Nach dem Durchbruch der Berliner Mauer am 9. November 1989 kam es zu illegalen Währungsspekulationen und zu abenteuerlichen Kursen.
Deshalb fordern wir:
Ab 9. November 1989 entstandene Guthaben natürlicher oder juristischer Personen oder Stellen, deren Wohnsitz oder Sitz sich außerhalb der DDR befindet, werden in der Weise umgestellt, daß sich keine Gewinne aus Währungsspekulationen ergeben. Keine Monopolisierung! Für breite und demokratische Vermögensstreuung in der DDR!
Die zentralisierte Wirtschaftsstruktur in der DDR erfordert wirksame Maßnahmen, um eine branchenweite Monopolisierung zu verhindern. Unternehmenszusammenschlüsse, Anteilskäufe oder sonstige Kooperationen bundesdeutscher Unternehmen mit DDR-Unternehmen dürfen in der DDR und in der BRD zu keiner Vormachtstellung von Großunternehmen führen. Besonders fatal ist die Entwicklung in den Branchen Energiewirtschaft, Banken, Handel, Versicherungen und Medien. Die Z u s t ä n d i g k e i t d e s B u n d e sk a r t e l l a m t e s für die Tätigkeit bundesdeutscher Unternehmen auf dem Gebiet der DDR muß unter wirksamer Einbeziehung der entsprechenden DDR-Behörden gesichert werden.
Wir vertreten ein Strukturanpassungskonzept zur Realisierung der zentralen Aussagen des Artikels 14 Staatsvertrag, wo "durch die Entfaltung privater Initiative eine breit gefächerte, moderne Wirtschaftsstruktur auch mit möglichst vielen kleinen und mittleren Betrieben" wirklich erreicht werden kann. Dazu ist eine b r e i t e V e r m ö g e n s s t r e u u n g nötig, die auch vielen jungen Menschen in der DDR den Einstieg als Unternehmer ermöglicht. Verbriefte Anteilsrechte am volkseigenen Vermögen sind nicht durch vage Versprechen (Art. 10 [6]) denen zu gewähren, die 40 Jahre lang vom SED-Staat profitiert haben und dadurch über die großen Sparkonten verfügen. Wir fordern, e i nk l a g b a r e A n t e i l s r e c h t e a m V o l k se i g e n t u m a l l e n B ü r g e r I n n e n d e r D D R zu sichern.
Dadurch wären auch junge, hochqualifizierte Arbeitslose kreditwürdig, könnten selbständig aktiv werden und von den in großer Zahl konkursgehenden Betrieben Produktivkapital übernehmen. B e l e g s c h a f t e n müssen über besondere Anteilsrechte die Möglichkeit bekommen, E i g e n t u m a n i h r e n B e t r i e b e n zu erwerben und so demokratische Mitbestimmungsmodelle zu verwirklichen. Wir lehnen es ab, daß die bundesdeutschen Gesetze zur Betriebsverfassung und Unternehmensmitbestimmung trotz der bestehenden Mängel an wirksamen Mitbestimmungsmöglichkeiten für die Belegschaften der DDR verordnet werden. Durch den kostengünstigen Erwerb von Wohnungen durch die jetzigen Nutzer über diese Anteilsrechte konnten im Baugewerbe viele Arbeitsplätze geschaffen werden. Andernfalls ist zu befürchten, daß die öffentliche Hand keine Mittel zur Sanierung der Wohnungen zur Verfügung hat und die Wohnungsnot im Sozialbereich katastrophal steigt. Wir fordern E r b b a u r e c h t e f ü r d i e D D R und keinen Verkauf von volkseigenem Grund und Boden an lukrativen Standorten. Vorkaufsrechte für DDR-BürgerInnen sind zu sichern und Regelungen zur Abschöpfung von Spekulationsgewinnen zu vereinbaren.
III. Zur Umweltunion
Die Umweltsituation in der DDR ist dramatisch. Deshalb müssen jetzt die strukturellen Weichen gestellt werden, um einen ökologischen Umbau in der DDR zu verwirklichen, wie ihn Ministerpräsident de Maizi?re in der Regierungserklärung zum Staatsziel erhoben hat. Um diesen ö k o l o g i s c h e n U m b a u zu verwirklichen, reicht es nicht aus, den Umweltschutz zum besonderen Anliegen der BRD und der DDR zu erklären, wie es im Artikel 16 des Staatsvertrages festgeschrieben ist. Grundlage sollte sein: "Der Schutz der natürlichen Umwelt als Lebensgrundlage gegenwärtiger und künftiger Generationen ist Pflicht des Staates und aller Bürger." Im Staatsvertrag und im Umweltrahmengesetz werden lediglich die unzureichenden Umweltgesetze der BRD übernommen. Wir verkennen nicht, daß dieser nachsorgende Umweltschutz die Umweltsituation in der DDR verbessert, doch solange die Belange des Umweltschutzes nicht integrierend im Wirtschaftsprozeß berücksichtigt werden, bleibt der Umweltschutz Flickschusterei mit erheblichen volkswirtschaftlichen Folgekosten.
Damit der Umweltschutz nicht zum Investitionshemmnis wird, wurden die bundesdeutschen Gesetze für das Gebiet der DDR noch aufgeweicht.
So wird im B u n d e s i m m i s s i o n s s c h u t z g es e t z für Neuanlagen die Ausnahmeklausel eingeführt, wonach Neuinvestitionen trotz vorhandener hoher Immissionsvorbelastung möglich sein sollen.
So können selbst in solchen Gebieten der DDR, in denen die Immissionen bereits zu akuten Gesundheitsgefährdungen führen, Neuerrichtungen mit zusätzlichen Belastungen durchgeführt werden, wenn diese "geringfügig" sind. Der Begriff "geringfügig" wird dabei nicht definiert. Wir fordern für diese hochbelasteten Industriegebiete ein Gesamtkonzept, das auf der Grundlage der ökologischen und sozialen Bedingungen die Eckpunkte für Neuinvestitionen vorgibt. Die Strukturhilfeprogramme für diese Regionen müssen sich nach vorgegebenen Umweltqualitätszielen orientieren.
Das Umweltrahmengesetz zum Artikel 16 des Staatsvertrags schreibt fest, daß Atomkraftwerke, die in der BRD sofort vom Netz genommen werden müßten, in der DDR per Sondergenehmigung noch fünf Jahre in Betrieb bleiben dürfen. Vor dem Hintergrund der enormen Schwefeldioxid-Emmissionen aus den Braunkohlekraftwerken, des enormen Landschaftsverbrauches durch Braunkohleabbau und der damit verbundenen Grundwasserabsenkungen wird die Atomenergie als notwendig dargestellt.
Tschernobyl hat aber gezeigt, daß es sich bei der Atomenergie um eine lebensbedrohende Technik handelt. D a r u m f o r d e r n w i r d e n s o f o r t i g e n A u s s t i e g a u s d e r A t o m e n e r g i e. Durch ein Strukturhilfeprogramm müssen statt dessen energiesparende Maßnahmen durchgeführt, ein dezentrales Energiesystem mit Blockheizkraftwerken und erneuerbaren Energien aufgebaut und das Fernwärmenetz saniert werden. Dadurch können gleichzeitig sinnvolle Arbeitsplätze in den Kommunen eingerichtet werden.
Doch dieser sinnvolle und gangbare Weg ist jetzt schon verbaut. Die drei größten Energiekonzerne der BRD haben das Gebiet der DDR schon unter sich aufgeteilt. Durch ihre Finanzkraft haben die Großkonzerne die Möglichkeit, sofort die allein für ihre Interessen günstige Energiestruktur aufzubauen. Kommunale Energieversorgungsunternehmen werden hierdurch behindert. Gelder der BRD werden für den Weiterbau des Atomkraftwerkes Stendhal sowie von zwei Kohlegroßkraftwerken verwendet, bei denen keine Kraft-Wärme-Kopplung möglich ist.
So verbauen Industrie und Staatsvertrag die Chance einer vernünftigen umweltgerechten Energiepolitik. Problematisch wird sich auch die auf die DDR zurollende W o h l s t a n d s m ü l l a w i n e auswirken. Die in der DDR gewonnenen Erfahrungen bei der Erfassung und Verwertung von Abfällen, die Voraussetzungen eines vernünftigen Abfallwirtschaftskonzeptes sein könnten, werden nicht genutzt. Ähnlich problematisch wird sich der Staatsvertrag auf die Verkehrssituation auswirken.
Er fördert einseitig den Individualverkehr und kennt keine speziellen S t r u k t u r h i l f e n f ü r d a s ö f f e n t l i c h e N a h- u n d F e r nv e r k e h r s s y s t e m. Für den Bereich der Landwirtschaft in der DDR wird als Ziel die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit mit der hochsubventionierten und verfehlten EG-Landwirtschaft vereinbart, was den Verlust jedes zweiten Arbeitsplatzes zur Folge haben wird. Hier müssen besondere Maßnahmen zur F ö r d e r u n g d e r ö k ol o g i s c h e n L a n d w i r t s c h a f t sowohl in Betriebsgemeinschaften wie auch in Einzelbetrieben vorgesehen werden. Die ökologische Landwirtschaft hilft, flächendeckend die Umwelt zu schützen, und erhält landwirtschaftliche Arbeitsplätze. Diese Beispiele zeigen, daß mit diesem Staatsvertrag keine echte Umweltunion angestrebt wird. Die Strukturen, die hier festgelegt werden, machen es unmöglich, die ökologischen und sozialen Probleme an ihrer Wurzel zu fassen und in kluge, neue Konzepte zu bringen, um unserer ökologischen Verantwortung gerecht zu werden.
Wir fordern:
Eine Wirtschaft, die als oberste Ziele die Erhaltung der Umwelt und die soziale Gerechtigkeit hat. IV. Zur Sozialunion
Mit dem Staatsvertrag werden wesentliche Teile des Wirtschaftsund Sozialsystems der Bundesrepublik auf die DDR übertragen. Angesichts des höheren Lebensstandards in der BRD entsteht in der DDR die Erwartung, daß so ein soziales Niveau erreicht wird, das dem der BRD gleichkommt. Davon kann in den nächsten Jahren jedoch keine Rede sein.
Denn die Höhe der Renten, Arbeitslosenunterstützung und Sozialhilfe wird von der Einkommensentwicklung in der DDR abhängen. Die Durchschnittslöhne in der DDR sind nicht einmal halb so hoch wie in der Bundesrepublik. Durch eine andere Besteuerung und höhere Sozialabgaben werden die Nettolöhne real niedriger als 1:1 ausfallen.
Die Zuschüsse von 10 bis 30 DM bei Niedrigeinkommen von 600 DM bis 800 DM ändern daran nichts. Was das heißt, wird erst deutlich, wenn man/frau sich klarmacht, daß die DDR-BürgerInnen in Kürze bundesdeutsche Preise bezahlen müssen. Davon ausgenommen sind - vorübergehend - nur Mieten, Energie- und Verkehrstarife. Die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der DDR-Wirtschaft wird zur Schließung vieler Betriebe und - zumindest vorübergehend - zu M a s s e n e r w e r b s l o s i g k e i t führen. Über deren Ausmaß kann derzeit nur spekuliert werden (Schätzungen rechnen mit 2 bis 4 Millionen). Mit der Übernahme des bundesdeutschen Arbeitsrechts wird auch der Kündigungsschutz abgebaut. Frauen, aber auch Behinderte, Ältere und soziale Problemgruppen werden davon zuerst betroffen sein. Jugendliche, die noch in keinem Arbeitsoder Ausbildungsverhältnis standen, erhalten weder Arbeitslosengeld noch Arbeitslosenhilfe. Viele Menschen, die bis jetzt ihren Lebensunterhalt aus eigener Arbeit bestreiten konnten, werden künftig auf Sozialhilfe angewiesen sein.
Wir fordern daher die E i n f ü h r u n g e i n e r b ed a r f s o r i e n t i e r t e n G r u n d s i c h e r u n g. Während des ersten Jahres nach der Währungsumstellung ist ein Bestandsschutz für alle Sozialleistungen erforderlich, um dem Anstieg der Lebenshaltungskosten entgegenzuwirken: Bei einer Preissteigerung von mehr als 5% sollte eine automatische Anpassung erfolgen. Massenarbeitslosigkeit ist nicht nur ein soziales Problem. Sie wird auch zu politischen Spannungen führen, bei denen vergangene Verhältnisse zu Unrecht idealisiert und antidemokratische Tendenzen verstärkt werden. Wir müssen deshalb alles tun, um Erwerbslosigkeit zu begrenzen und die DDR-BürgerInnen in die Lage zu versetzen, den künftigen Anforderungen des Arbeitsmarktes gewachsen zu sein.
Hierfür sind vielfältige sozial und ökologisch sinnvolle A r b e i t s f ö r d e r u n g s m a ß n a h m e n, U ms c h u l u n g s- s o w i e B i l d u n g s a n g e b o t e zu schaffen, die Frauen und Männern in gleicher Weise zugänglich sein müssen (Quotierung). Durch die vorgesehenen Kürzungen bei der bezahlten Freistellung bei Erkrankung der Kinder werden für Eltern (besonders Frauen) zusätzliche Härten entstehen. Hinzu kommt, daß viele Betriebe ihre Kindereinrichtungen (ebenso wie Kultur-, Sport- und Gesundheitseinrichtungen) schließen werden. Die in Zukunft dafür zuständigen Kommunen sind auf derartige Aufgaben nicht vorbereitet und es ist absehbar, daß ihnen die nötigen Finanzmittel nicht zur Verfügung stehen werden.
Der bisher bestehende A n s p r u c h a u f e i n e n K i n d e r b e t r e u u n g s p l a t z läuft so ins Leere. Das erreichte Maß an ökonomischer Eigenständigkeit der Frauen wird dadurch ebenso wie ein wichtiger Teil des Familieneinkommens gefährdet. Besonders betroffen davon sind Alleinerziehende. Überhaupt trägt der Staatsvertrag den Interessen von Frauen kaum Rechnung. Die Unabhängigkeit und Selbstbestimmung der Frauen wird von ihm nicht geschützt.
Obwohl der Staatsvertrag dazu keine Aussagen enthält, ist zu befürchten, daß im Zuge der Vereinigung der Versuch unternommen wird, den Paragraph 218 StGB auch auf die DDR auszudehnen.
Damit würde das in der DDR bestehende Recht auf selbstbestimmte Schwangerschaft abgeschafft. Während die Grünen in der BRD die Streichung des Paragraph 218 StGB fordern, bestehen die Bürgerbewegungen und die Grünen in der DDR auf dem Recht auf selbstbestimmte Schwangerschaft (Fristenregelung). Die RentnerInnen in der DDR gehörten bisher zu den sozial Schwächsten. Mit der Neuregelung werden sich große Unterschiede bei den Renteneinkommen herausbilden. Die vorgeschriebene Norm von 45 Erwerbsjahren bei durchschnittlichem Einkommen werden viele - insbesondere Frauen - nicht erfüllen.
Anstelle einer angemessenen, d y n a m i s c h a n g e p a ß t e n M i nd e s t r e n t e ist im Staatsvertrag - vorübergehend - ein Ausgleich vorgesehen, der mit seinen 495 DM lediglich dem zukünftigen Sozialhilfeniveau entspricht. Die im Staatsvertrag, Art. 20, Abs. 2 vorgesehene Schließung und Überprüfung von Sonderrenten darf nicht dazu führen, daß Opfern des Faschismus und der rassischen Verfolgung zusätzliche Rentenansprüche entzogen werden.
B e h i n d e r t e sind bei der Übernahme des bundesdeutschen Sozialsystems durch den Wegfall der bisherigen Grundrente und der zusätzlichen Pflegegeldzahlungen besonders hart betroffen. Hinzu kommt die Aufweichung der bisherigen Arbeitsplatzsicherung: das bundesdeutsche Recht hat eine überproportionale Erwerbslosigkeit der Behinderten nicht verhindern können.
K ü n s t l e r u n d K u l t u r s c h a f f e n d e, einschließlich ihrer Institutionen, finden im Staatsvertrag keinerlei Erwähnung. Wir fordern: für eine Steigerung der Lebensqualität im Rahmen des Einigungsprozesses müssen in einer "kulturvollen Gesellschaft" solche Einrichtungen wie Kinos, Theater, Konzertsäle, Akademien und andere durch sozial verträgliche Eintrittspreise breit erreichbar sein.
T a u s e n d e a u s l ä n d i s c h e r M e n s c h e n leben und arbeiten auf der Basis langjähriger Regierungsabkommen in der DDR. Im Staatsvertrag finden ihre Interessen keinerlei Berücksichtigung. Immer mehr Menschen in der DDR werden auf den Bezug von Sozialhilfe angewiesen sein. Mit der Einführung der Sozialhilfe nach bundesrepublikanischem Muster gilt auch in der DDR die Generationensubsidiarität, d.h., daß Eltern für ihre erwachsenen Kinder und erwachsene Kinder für ihre Eltern herangezogen werden. Der Finanzierungsbedarf im Sozialwesen der DDR wird besonders hoch sein. Hierfür sollten auch Besserverdienende ihren Solidarbeitrag leisten.
Durch die Aufhebung der bisher bestehenden allgemeinen Sozialversicherungspflicht wird auf diesen Beitrag verzichtet. 89 Mit der Einführung des gegliederten Systems der Versicherungsträger wird eine unsolidarische Trennung nach Ständen und Risikogruppen geschaffen. Hier wird ein System übernommen, das auch in der Bundesrepublik kritisiert wird. Wer in der DDR Arbeitslosengeld, Sozialhilfe oder Rente bekommt, wird für viele Jahre nur einen Teil dessen erhalten, was in der Bundesrepublik gezahlt wird. Auch wenn man dies akzeptiert, ist festzustellen: Jene, die noch bis vor kurzem die DDR verlassen haben, beziehen Mittel auf dem Niveau der Bundesrepublik. Wer geblieben ist, zahlt drauf. Künftig erhalten ÜbersiedlerInnen Renten oder Arbeitslosenunterstützung nur noch in der Höhe ihres Anspruches in der DDR.
Damit errichtet die Bundesrepublik eine Zuzugssperre für sozial Schwache.