Ausgabe Oktober 1993

Balkan: Anerkennung der neuen Realitäten?

I

Hinsichtlich der Kriege im ehemaligen Jugoslawien und schon gar der Zukunft des Balkans stellen sich derzeit mehr Fragen, als Antworten bzw. verläßliche Prognosen gegeben werden können. Ein überwältigender militärischer Sieg der einen oder anderen Kriegspartei ist relativ unwahrscheinlich, und deshalb ist nicht zu erwarten, daß sich aus den militärischen Auseinandersetzungen eine klare Hegemonialstruktur, die für den gesamten Balkan von Bedeutung sein könnte, herausbilden wird. Wahrscheinlicher ist eine militärische Pattsituation zwischen Serben und Kroaten, die sich möglicherweise in eine politische Gleichgewichtslage übersetzen wird. Vielleicht wird der Konflikt einfach noch lange dahinschwelen: Er würde dann in der Tendenz jenem Konflikttypus sich annähern, der in der wissenschaftlichen Literatur als "protracted conflict" bezeichnet wird, also als langanhaltender und in absehbarer Zeit nicht zu lösender Konflikt. Im Hinblick auf die letzte Variante wird vielfach auf Ermüdungserscheinungen und die schließliche Erschöpfung der Kriegsparteien gehofft. Der Verlust an Kampfmotivation, sich anbahnende ökonomische Desaster sowie der Zusammenbruch der "Heimatfronten" werden als hilfreich für eine beschleunigte Erosion des Kriegsgeschehens genannt. Die Zeitperspektive bleibt dabei meist offen.

Oktober 1993

Sie haben etwa 10% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 90% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe Januar 2026

In der Januar-Ausgabe skizziert der Journalist David Brooks, wie die so dringend nötige Massenbewegung gegen den Trumpismus entstehen könnte. Der Politikwissenschaftler Philipp Lepenies erörtert, ob die Demokratie in den USA in ihrem 250. Jubiläumsjahr noch gesichert ist – und wie sie in Deutschland geschützt werden kann. Der Politikwissenschaftler Sven Altenburger beleuchtet die aktuelle Debatte um die Wehrpflicht – und deren bürgerlich-demokratische Grundlagen. Der Sinologe Lucas Brang analysiert Pekings neue Friedensdiplomatie und erörtert, welche Antwort Europa darauf finden sollte. Die Journalistinnen Susanne Götze und Annika Joeres erläutern, warum die Abhängigkeit von Öl und Gas Europas Sicherheit gefährdet und wie wir ihr entkommen. Der Medienwissenschaftler Roberto Simanowski erklärt, wie wir im Umgang mit Künstlicher Intelligenz unsere Fähigkeit zum kritischen Denken bewahren können. Und die Soziologin Judith Kohlenberger plädiert für eine »Politik der Empathie« – als ein Schlüssel zur Bekämpfung autoritärer, illiberaler Tendenzen in unserer Gesellschaft.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Ukraine: Zwischen Korruption und Diktatfrieden

von Yelizaveta Landenberger

Anfang Dezember herrschte rege Pendeldiplomatie, während die Bombardierung ukrainischer Städte und die russischen Vorstöße an der Front unvermindert weitergingen. Völlig unklar ist, ob der im November bekannt gewordene US-»Friedensplan« auch nur zu einem Waffenstillstand führen kann.

Vom Einsturz zum Aufbruch: Die Protestbewegung in Serbien

von Krsto Lazarević

Rund 110 000 Menschen füllen am 1. November die Fläche vor dem Hauptbahnhof in Novi Sad, um der Opfer zu gedenken, die ein Jahr zuvor unter dem einstürzenden Vordach starben. Für die seit Monaten Protestierenden steht der Einsturz nicht für ein bauliches, sondern für ein politisches und gesellschaftliches Versagen: ein sichtbares Symbol für Korruption und ein zunehmend autokratisches System.

Der Kampf um Grönland: Versöhnung als Geopolitik

von Ebbe Volquardsen

Die Stadt Karlsruhe könnte schon bald vor einem Dilemma stehen. Im Januar 2025 zeichnete sie ihren langjährigen Stadtvertreter Tom Høyem (FDP) mit der Ehrenmedaille aus. In den 1980er Jahren war der gebürtige Däne, mittlerweile auch deutscher Staatsbürger, Dänemarks letzter Minister für Grönland – ein Amt aus der Kolonialzeit.