Ausgabe Mai 1995

Lateinamerikanische Visionen

Erinnerung an Augusto Cesar Sandino und Jose Marti

Am frühen Nachmittag des 14. Juli 1895 klopfte Gregorio Sandino, ein junger nicaraguanischer Bauer, in Niquinhomo, nicht weit von Masaya, am Büro des Standesbeamten Lisandro Zambrano an, um die Geburt eines Sohnes anzuzeigen. Vielleicht hatte der stolze Vater diesen wichtigen Schritt unter der Last der Feldarbeit versäumt und immer aufs neue hinausgeschoben. Jedenfalls lag die Geburt, die Zambrano jetzt feierlich beurkundete, schon erstaunlich weit zurück. Am 18. Mai 1895 hatte das Kind Augusto Nicol s, "ohne besondere Kennzeichen", das Licht der Welt erblickt.

Ein "legitimer Sohn Nicaraguas"

Die besonderen Merkmale des Augusto César Sandino, wie er sich dann nannte, prägten sich im Laufe eines kurzen, ereignisreichen Lebens aus: seine für lateinamerikanische Verhältnisse bemerkenswerte Unbestechlichkeit, seine von Macho- und Caudillo-Gehabe freie politische Geradlinigkeit, sein sozialer Gerechtigkeitssinn und sein leidenschaftlicher Patriotismus, der ihn freilich nie in chauvinstische Attitüden verfallen ließ. Im unfreiwilligen "Exil" im revolutionär aufgewühlten Mexiko machte der junge Sandino wie in einem "Soziallabor" Bekanntschaft mit den existentiellen Arbeitskämpfen, den Gegensätzen zwischen Arm und Reich.

Mai 1995

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