Es ist nur ein gutes halbes Jahr her, da waren sich die politischen Kommentatoren einig, daß die Partei Bündnis 90/Die Grünen als "dritte politische Kraft" (Heribert Prantl) den Platz der FDP im parlamentarischen Gefüge einnehmen würde und sich damit die politischen Gewichte in Deutschland zu einer "Mehrheit links von der Mitte" (Willy Brandt) hin verschieben würden. Angesichts der Ergebnisse dreier Landtagswahlen am 24. März 1996, die insgesamt immerhin gut einem Drittel aller Wahlberechtigten die Möglichkeit zu einem Urnengang gegeben haben, muß die politische Situation neu bewertet werden. Gegen jede Erwartung hat sich die Lage der Liberalen in allen drei Bundesländern stabilisiert: In Rheinland-Pfalz wird die Koalition mit den Sozialdemokraten unwillig, aber gemäß dem Wahlversprechen fortgesetzt werden, in Baden-Württemberg löst eine christlich-liberale Koalition die Große Koalition ab und Schleswig-Holsteins Liberale leisten sich selbstbewußt den Luxus, über eine Regierungskoalition mit der SPD nicht einmal reden zu wollen. Diese Veränderungen wirken sich natürlich auch auf die Lage der Bonner FDP aus: Während vor nicht allzulanger Zeit die Gerüchteküche vom baldigen Ende der Koalition und damit der KohlHerrschaft wissen wollte, wären derartige Spekulationen heute dem allgemeinen Gelächter preisgegeben.
In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist.