Verfassungsdiskussionen im viergeteilten Deutschland
Ob die Einheit seit 1990 die Spaltung Deutschlands eher vertieft, Ost- und Westdeutsche einander erst recht entfremdet habe, wird heute häufig gefragt. Wolfgang Benz kehrt in seinem Titel "Einheit durch Spaltung?" die Frage um. Er schildert in dieser und der nächsten Ausgabe der "Blätter" entscheidende Weichenstellungen, die vor 50 Jahren zur Gründung jener Bundesrepublik führten, als deren Staatsräson die feste Einbindung in den Westen galt. Mit der Londoner Sechs-Mächte-Konferenz vom Juni 1948 und den "Frankfurter Dokumenten" vom 1. Juli d. J. eröffneten die westlichen Siegermächte den (West-)Deutschen die Chance in deutscher Souveränität im Rahmen eines Weststaats" (US-Hochkommissar Lucias D. Clay). Auf deutscher Seite scheuten viele die Verantwortung für den politischen Preis, die Abspaltung (von) der sowjetischen Besatzungszone - aber auch den Abschied von traditionellen Denkmustern, von einer spezifischen Mittellage und Mittlerrolle zwischen Ost und West etwa. Seinerzeit versuchte man die - später so gefeierte - Neugründung im Westen terminologisch herunterzuspielen ("Zweckverband" statt Republik, "Grundgesetz" statt Verfassung) und tröstete sich mit der "Magnettheorie": ein erfolgreicher "Kernstaat" im Westen werde den Osten früher oder später an- und aufsaugen.