Ausgabe August 2010

Angriff auf den Angriffskrieg

Am Abend des 11. Juni 2010 wurde im ugandischen Kampala Geschichte geschrieben. Auf der ersten Überprüfungskonferenz zum Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) erzielten seine Vertragsstaaten hinsichtlich der Ächtung und Bestrafung des Aggressionsverbrechens einen Durchbruch: Ranghohe Militärs und Regierungsmitglieder, die völkerrechtswidrige Angriffskriege führen, können ab 2017 vom Haager Gerichtshof zur Rechenschaft gezogen werden. Dies allerdings nur in Übereinstimmung mit und in Abhängigkeit vom UN-Sicherheitsrat, einem Organ mit machtpolitischen Interessen. Ein Fortschritt mit Schwächen also, aber immerhin ein Fortschritt in einer langen Geschichte der Ächtung von Angriffskriegen.

Der deutsche Überfall auf Polen im Jahre 1939 gilt als Paradebeispiel für einen Angriffskrieg. Dafür wurden die deutschen Aggressoren vor dem Internationalen Militärtribunal in Nürnberg verurteilt. Doch seit den Nürnberger Prozessen wurde niemand mehr wegen dieses Verbrechens zur Verantwortung gezogen. Ob ein Angriffskrieg vorliegt oder nicht, entscheidet bislang gemäß Artikel 39 der UN-Charta allein der Weltsicherheitsrat, der bis zum heutigen Tag noch nie einen Akt der Aggression festgestellt hat.

Sie haben etwa 10% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 90% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1.00€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe Oktober 2025

In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Gaza und die Ära der Straflosigkeit

von Seyla Benhabib

Künftige Historikerinnen und Historiker, die auf den Israel-Gaza-Konflikt zurückblicken, werden möglicherweise erkennen, dass dieser Konflikt an der Schnittstelle dreier Entwicklungen steht, die gemeinsam das Koordinatensystem der nach dem Zweiten Weltkrieg gegründeten internationalen Institutionen völlig verschoben und eine neue Ära eingeläutet haben.

Israel in der dekolonialen Matrix

von Eva Illouz

Manchmal kommt es auf der Weltbühne zu Ereignissen, die unmittelbar einen grundlegenden Bruch markieren. Der 7. Oktober 2023 war ein solches Ereignis. Die Hamas verübte Verbrechen gegen die Menschlichkeit, indem sie fast 1200 Israelis ermordete.

Eine mörderische Sackgasse

von Wolfgang Kraushaar

Wer seit dem 7. Oktober 2023 von Deutschland aus die Nachrichten zum Nahen Osten fortlaufend verfolgt, der steht vor einem quälenden Problem. Die Tag für Tag eintreffenden Informationen, Bilder und Videosequenzen sind so unerträglich geworden, dass man nahezu unausweichlich in eine moralische Zwangslage zu geraten droht.