Ausgabe August 2011

Dialektik der Außenpolitik

Dass der Bundessicherheitsrat die Lieferung von 200 Leopard-II-Panzern nach Saudi-Arabien genehmigt hat, ist völlig zu Unrecht in die Kritik geraten. Denn damit bekennt sich die Bundesregierung, ganz anders als in Sachen Libyen, endlich uneingeschränkt zu ihrer Verpflichtung für den Frieden – das sagen übrigens nicht nur wir, das sagen alle, die an Riad Waffen verkaufen. Und dieses Bekenntnis ist in der Tat nötig, nach all dem Aufruhr, der unsere verlässlichen arabischen Verbündeten gestürzt und den unberechenbaren Musel-Pöbel an die Macht gebracht hat.

Ja, es trifft zu, die Bundesregierung hat die Umstürze verbal begrüßt. Aber doch nur, um der öffentlichen Meinung in Deutschland Genüge zu tun, und erst, nachdem die Revolutionen bereits über die Despoten gesiegt hatten! Es war, so viel Ehrlichkeit muss sein, ein rein taktisches Manöver.

Sagen wir es also geradeheraus: König Abdullah und seine Saudi-Sippe sind der letzte Anker der Stabilität in unserer Öl-Region. Doch damit nicht genug: Riad ist auch ein Bollwerk der Demokratie! Fragen Sie mal den Westerwelle, der war doch unlängst da.
Hierzulande wird viel darüber gegreint, dass in Saudi-Arabien Frauen unter männlicher Vormundschaft stehen, Frauen nicht Autofahren dürfen, ledige Frauen unter 45 Jahren nicht ins Land einreisen können usw. Aber das wird völlig überbewertet, das sind lediglich Randerscheinungen in einer lebendigen traditionellen Theokratie.

Und wie sagte doch Abdullahs Vorgänger, König Fahd, einst über sein Volk: „Die Menschen dieser Region in der Welt sind für das demokratische Verständnis der westlichen Staaten der Welt ungeeignet.“ Er meinte damit: Sie sind die geborenen Untertanen. Seine Untertanen. Weil sie aber zugleich unsere Verbündeten sind, sind sie auch ein Bollwerk der Demokratie – unserer Demokratie! Und die ist bekanntlich wehrhaft. Zu Wasser, zu Lande und in der Luft. Neuerdings auch global, das gebietet die Dialektik unserer Außenpolitik.

Deshalb gilt es nun, in der öffentlichen Debatte all den Gutmenschen und Friedensaposteln entschlossen entgegenzutreten, die immer nur von „Spannungsgebiet“, „Unterdrückung“ und „Menschenrechten“ faseln. Ja, es stimmt, die Saudis mischen im jemenitischen Bürgerkrieg mit. Aber ohne ihren massiven Wahhabismus-Export wäre der doch garantiert längst völlig gottlos! Ja, es stimmt, Saudis versorgen die Taliban mit Waffen. Na und? Mit denen will Obama, wollen doch auch wir gerade was? Genau: Frieden schließen!

Und ja, es stimmt, die Saudis haben im Frühjahr Panzer nach Bahrain geschickt, um die friedliche Demokratiebewegung niederzuschlagen. Aber mal ehrlich: Genau dafür, für die Stabilität in der Region, hat man doch Panzer! Dafür schicken wir doch unsere neuesten Leos! Und die werden von uns für die Saudis, das ist viel zu wenig bekannt, extra zum Zweck der Aufstandsbekämpfung umgerüstet!

Ein Problem aber bleibt: Unsere Bevölkerung versteht das nicht. Deshalb war die Panzer-Lieferung ja auch streng geheim – fast so geheim wie die Baupläne des neuen BND-Hauptquartiers in Berlin. In der Tat, die Dialektik der Außenpolitik bleibt eine komplizierte Sache. Denn manchmal bedeutet Krieg eben Frieden. Und Freiheit Sklaverei. Darum gilt: Unwissenheit ist Stärke!

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In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

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