Ausgabe Juli 2015

Die Barbaren sind immer die Anderen

Als am 24. März der Airbus 4U9525 der Lufthansa-Tochter Germanwings in Südfrankreich absichtlich zum Absturz gebracht wurde, war danach in den Medien umgehend reißerisch vom „größten Massenmörder in der deutschen Geschichte des 21. Jahrhunderts“ die Rede. Welcher Begriff bei der Beschreibung der Tat, trotz der 149 unschuldigen Opfer, allerdings nie fiel, war das Wort „barbarisch“. Ganz anders stellte sich die Lage nach den jüngsten Attentaten in Paris dar, die umgehend als barbarisch bezeichnet wurden. Ganz offensichtlich ist uns der depressive Copilot aus der Eifel wesentlich näher als die islamistischen Mörder der Karikaturisten von „Charlie Hebdo“.

Wenn also heute etwas als barbarisch bezeichnet wird, dann noch immer das Andere, das Fremde. Die Anschläge auf die Satire-Zeitschrift führten zu einer regelrechten Aktivierung der Rhetorik der Barbarei. Bundeskanzlerin Angela Merkel, aber auch diverse Außenminister sprachen fast schon gewohnheitsmäßig von „barbarischen Anschlägen“. Die Wirkung liegt auf der Hand: Die Rede von der Barbarei setzt den Träger der Barbarei oder einer barbarischen Handlung vermittels moralischer Empörung rhetorisch auf die Anklagebank und fällt das Urteil gleich selbst. Barbarische Taten sind verabscheuungswürdig, sie verstoßen gegen grundlegendste Regeln der Humanität.

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