Ausgabe Dezember 2016

VW & Co.: Lasst die Aktionäre haften!

Gleich drei deutsche Wirtschaftsschwergewichte stehen im Moment massiv unter Druck: Volkswagen muss in den USA 15 Mrd. US-Dollar zahlen und erwartet dort noch mehr an Strafen und Vergleichszahlungen (von den Klagen gegen seine Tochterfirma Audi ganz zu schweigen). Die Deutsche Bank ist in gut 7800 Prozesse verwickelt; allein in den USA hat sie wegen unzulässigen Finanzgebarens mit einer Forderung im zweistelligen Milliardenbereich zu kämpfen. Und die deutschen Atomenergieversorger werden ihre gewaltigen buchhalterischen Rückstellungen zur Atomlagerung plus einem Aufschlag an den Staat zu transferieren haben.

In allen drei Fällen ist das leider nicht nur die Angelegenheit der betroffenen Unternehmen, sondern ist auch die Allgemeinheit erheblich tangiert: Volkswagen wehrt sich mit Händen und Füßen dagegen, auch die europäischen Autofahrer für ihre Schäden zu kompensieren, obwohl hier die gleiche Manipulation wie in den USA stattfand. Bei der Deutschen Bank wurde wegen schwachen Eigenkapitals schon von Geheimplänen für Staatsgarantien gemunkelt, ganz gegen das erst 2015 frisch renovierte europäische Bankenrecht, das zuerst eine Haftung von Gläubigern, Großeinlegern und Aktionären vorsieht. Und die Atomenergieversorger dürfen sich laut Gesetzesvorschlag auf Basis der Trittin-Kommission ein für alle Mal von weiteren Haftungen für die Endlagerung freikaufen, was vermutlich nichts anderes als eine erhebliche Subvention zu Lasten der Steuerzahler in der Zukunft bedeutet. Diese Mithaftung der Allgemeinheit, sei es als Konsument, sei es als Steuerzahler, wird immer mit der überragenden Bedeutung dieser Unternehmen begründet, die man nicht einfach bankrottgehen lassen könne – wegen der Arbeitsplätze, der allgemeinen Versorgung mit Energie oder Finanzdienstleistungen, auch wegen anstehender Zukunftsinvestitionen.

Gewiss, wenn happige Strafen oder Haftungszahlungen aus dem aktuellen Gewinn oder den Rücklagen von früheren Erträgen finanziert werden, ist ein Unternehmen schnell in der Verlustzone. Dann werden die Beschäftigten gleich mit zur Kasse gebeten und wird an Zukunftsinvestitionen geknapst. Im schlimmsten Fall steht die Existenz der Firma und damit das Schicksal vieler Beschäftigter und ganzer Regionen auf dem Spiel. Sollte man deshalb also nicht doch lieber auf Strafen verzichten?

Definitiv nein. Strafen und Haftungszahlungen sollten einfach an anderer Stelle anfallen, nämlich bei den Firmeneigentümern. Jede Wirtschaftsstudentin lernt früh, dass das Unternehmen nicht das Gleiche wie seine Eigentümer ist. Wenn man Strafen und ähnliche Zahlungsverpflichtungen künftig nicht mehr der Firma auferlegt, sondern den Eigentümern, die doch offensichtlich ihre Aufsichtspflicht verletzt haben, dann treffen die angesprochenen Befürchtungen nicht mehr zu.

Alle aufgeführten Beispiele, von VW über die Deutsche Bank bis zu den AKW-Betreibern, sind Kapitalgesellschaften, wie größere Unternehmen in aller Regel. Das macht die Sache technisch sehr einfach. Der Vorschlag lautet dann nämlich wie folgt: Strafen und Haftungszahlungen sollen künftig immer – zumindest dann, wenn sie eine relevante Höhe erreichen – durch die Neuausgabe von Aktien finanziert werden, die den Geschädigten in natura übergeben werden.

Das hört sich kompliziert an, ist es aber nicht. Nehmen wir das Beispiel VW, einen wahren Firmenkoloss mit weltweit 610 000 Mitarbeitern. Sein Marktwert betrug laut dem Datenportal Statista im März 2015 124 Mrd. US-Dollar. Nehmen wir außerdem an, VW-Dieselfahrzeugbesitzern werden jetzt, in den USA, aber auch in anderen Ländern der Welt, Entschädigungen im Wert von insgesamt 30 Mrd. Dollar zugesprochen.

VW müsste nach meinem Vorschlag dafür zwingend Aktien in diesem Umfang emittieren, die an die Geschädigten übergeben werden. Weil auf diese Weise neue Eigentümer hinzutreten, die alle Rechte, auch die auf einen Gewinnanteil haben, geht dies eindeutig zu Lasten der Alteigentümer, aber nicht des Unternehmens. Der Kurs der VW-Aktie würde deshalb sinken, rechnerisch um etwa ein Fünftel. Im Ökonomenjargon spricht man daher von einer Kapitalverwässerung.

Zur Abwicklung könnte man einen Geschädigten-Fonds gründen, an den die neuen Aktien übergeben werden und der die Auszahlung an die Betroffenen übernimmt. Die Ausgabe der Aktien könnte sukzessive geschehen, also zeitlich gestreckt werden, um allzu abrupte Kursbewegungen zu verhindern. Zwischenzeitliche Dividendeneinkünfte werden dabei von der Gesamtsumme abgezogen. Denn es ist ja nicht so, dass Volkswagen nicht profitabel wäre. In den ersten neun Monaten selbst dieses für VW nun wahrlich nicht einfachen Jahres wurde noch ein Gewinn von 8,65 Mrd. Euro vor Zinsen und Steuern eingefahren.

Die hier vorgeschlagene Lösung hat viele Vorteile: Sie belässt ein Unternehmen wie Volkswagen in einer Situation, in der die finanzielle Ausstattung sowohl dafür ausreicht, den Beschäftigten weiter ordentliche Löhne zu zahlen, als auch dafür, in umweltfreundlichere Zukunftstechnologien zu investieren. Gleichzeitig entlastet sie den Staat. Denn Strafen aus dem Gewinn sind steuerabzugsfähig, während eine Kapitalverwässerung nur von den Aktionären höchstpersönlich getragen wird. Und sie macht schließlich diesen eindeutig klar, dass es ihre Verantwortung ist, welche Manager sie berufen und welche Firmenkultur diese pflegen. In dieser Hinsicht ist auch das Land Niedersachsen als Großaktionär von Volkswagen genauso wenig freizusprechen wie die zahlreichen Kommunen, die Aktien von Atomenergieversorgern besitzen, sich jahrzehntelang an satten Dividenden erfreut haben und jetzt einfach nicht wahrhaben wollen, dass sie damit als Miteigentümer eigentlich Verpflichtungen eingegangen sind, für den entstandenen Müll bis in alle Ewigkeiten zu sorgen.

Auch Kleinaktionäre verdienen kein Mitleid: Wer selbst nachdem Josef Ackermann eine Eigenkapitalrendite von 25 Prozent versprach, noch nicht begriffen hatte, dass die Deutsche Bank ein Zockerunternehmen mit hohem Risikofaktor ist und seine Aktien weiter behielt, müsste jetzt halt – mitgezockt heißt mitgehaftet – einen Superwertverlust durch Kapitalverwässerung hinnehmen. Denn der Marktwert der Deutschen Bank beträgt derzeit nur noch gut 16 Mrd. Euro. Die Neuemission von Aktien zur Abgeltung von Forderungen von beispielsweise 8 Mrd. Euro würde diesen ohnehin niedrigen Wert noch einmal halbieren. Eine bessere Abschreckung gegen zukünftige Zockerei ist kaum denkbar.

Am allerschönsten wäre es, wenn man dieses Verfahren auch international durchsetzen könnte. Ein Abkommen zwischen EU, USA und Kanada, wonach Strafen und Entschädigungen künftig wechselseitig mit solchen Fondslösungen aus Aktienemissionen bezahlt werden – das wäre wirklich den Schweiß der EU-Kommission wert.

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