Ausgabe Dezember 2021

Erbschaftsteuer: Wie von Oligarchen bestellt

Man sollte annehmen, dass das Grundgesetz über den Interessen einiger weniger Schwerreicher steht. Doch weit gefehlt: Bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer ist seit mehr als 15 Jahren eine verfassungswidrige Regelung in Kraft – trotz zweimaliger Reformversuche. Umso dringlicher aber ist es, dass die kommende Regierung endlich eine verfassungskonforme Lösung herbeiführt und damit zugleich für mehr Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft sorgt.

Personen, die viel erben, zählen in der Geburtenlotterie zu den klaren Gewinnern. Ihr Erbe erhalten sie in der Regel, ohne dafür etwas geleistet zu haben. Eine Besteuerung von Erben und Schenkungen kann daher die unterschiedlichen Chancen von Menschen in Deutschland angleichen. Hohe Erbschaften sollten folglich auch höher besteuert werden als kleinere.

Doch in der Realität zeigt sich ein gänzlich anderes Bild. Die größten Vermögen werden oftmals niedriger besteuert als kleinere, obwohl das gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz unseres Grundgesetzes verstößt. Denn weitreichende Ausnahmen sorgen dafür, dass hochprofitable und milliardenschwere Familienunternehmen nahezu steuerfrei weitergegeben werden können – ganz im Gegensatz zu privaten Erbschaften, auf die – je nach Verwandtschaftsgrad – bis zu 50 Prozent Erbschaftsteuer entfallen. Zum Vergleich: Im Jahr 2019 wurden die 127 größten Schenkungen mit einem Volumen von insgesamt zwölf Mrd. Euro mit weniger als einem Prozent besteuert.

Diese hochgradig ungerechte Belastung bei der Erbschaftsteuer ist keinesfalls ein Zufall, sondern vielmehr politisch gewollt und historisch gewachsen.

Historisch gewachsene Ungleichheit

Die preußische Erbschaftsteuer aus dem Jahr 1873 und das darauf aufbauende Reichserbschaftsteuergesetz von 1906 sahen noch keine Abgaben für Ehegatten und Kinder vor. Erst die Erzbergersche Steuerreform aus dem Jahr 1919 änderte dies: Sie setzte Steuersätze von bis zu 90 Prozent bei großen Vermögen und vermögenden Erben fest. Und auch wenn die Steuersätze und Freibeträge in den darauffolgenden Jahrzehnten mehrmals angepasst wurden, unterlagen auch Betriebsvermögen damals der üblichen Besteuerung.

Das änderte sich erst vor knapp dreißig Jahren, als Bundestag und Bundesrat im Februar 1992 das „Gesetz zur Entlastung der Familien und zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Investitionen und Arbeitsplätze“ verabschiedeten. Das Gesetz entlastete die Betriebsvermögen über einen Trick: Diese wurden fortan nicht mehr zum jeweils aktuellen, sondern stattdessen zum historischen Wert versteuert. Mit dem „Gesetz zur Verbesserung der steuerlichen Bedingungen zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland im Europäischen Binnenmarkt“ kam dann ein gutes Jahr später noch ein Freibetrag in Höhe von 500 000 DM für Betriebsvermögen hinzu. Vier Jahre darauf, 1997, führte das Jahressteuergesetz dann weitere Vergünstigungen ein, so dass nach und nach die rechtliche Ausgangslage dafür geschaffen wurde, dass vererbte Betriebsvermögen in den Folgejahren kaum oder gar nicht mehr besteuert wurden.

Bewusste Verfassungsbrüche

Erst am 7. November 2006 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass das Erbschaftsteuergesetz in dieser Form gleichheits- und damit verfassungswidrig war. Und zwar vor allem aufgrund der vom jeweils aktuellen Wert abweichenden Bewertung der Betriebsvermögen.

Daraufhin reformierten Bundestag und Bundesrat zwei Jahre später, 2008, das Erbschaftsteuergesetz. Nun sollte Betriebsvermögen wieder nach dem aktuellen Wert bemessen werden, allerdings wurde der Freibetrag durch einen unbegrenzten „Verschonungsabschlag“ ersetzt. Dieser sorgte nun dafür, dass Betriebsvermögen komplett steuerfrei blieben, wenn die Summe der ausgezahlten Löhne in den folgenden sieben Jahren weitgehend konstant gehalten wurde.

Wie nicht anders zu erwarten war, entkräftete diese Reform keineswegs die verfassungsrechtlichen Einwände. Im September 2012 stellte der Bundesfinanzhof fest, dass die „Steuervergünstigungen nicht durch ausreichende Sach- und Gemeinwohlgründe gerechtfertigt sind und einen verfassungswidrigen Begünstigungsüberhang aufweisen“. Er berief sich dabei unter anderem auf den Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium der Finanzen. Dieser kommt zu dem Schluss, dass es weder empirische Belege dafür gebe, dass die Erbschaftsteuer den Fortbestand von Unternehmen gefährdet, noch dafür, dass die Begünstigungen Arbeitsplätze sichern.[1] Darauf folgte weitere zwei Jahre nichts, erst am 17. Dezember 2014 schloss sich das Bundesverfassungsgericht dieser Argumentation des Bundesfinanzhofes an und erklärte die Ausnahmen für Betriebsvermögen für verfassungswidrig.

Ende 2016 reformierte die damalige große Koalition daraufhin ein weiteres Mal die Erbschaftsteuer und führte zwar eine Obergrenze von 90 Mio. Euro für steuerliche Begünstigungen ein, schuf aber zugleich mehrere Ausnahmen und Erleichterungen – darunter eine Ausnahme von dieser Obergrenze für Erben oder Beschenkte, die die Steuer nicht aus ihrem verfügbaren Vermögen bezahlen können.

Diese Privilegien für Superreiche sind so offensichtlich verfassungswidrig, dass man von bewussten Verletzungen unseres Grundgesetzes sprechen muss. Denn sie erlauben es den Reichen und Superreichen in diesem Land, immense Vermögen weiterzugeben: So erbten Minderjährige allein in den Jahren 2011 bis 2014 rund 37 Mrd. Euro. Ein Großteil davon – insgesamt 29,4 Mrd. Euro – erhielten dabei 90 Kinder im Alter von unter 14 Jahren. Dies entspricht im Schnitt 327 Mio. Euro pro Kind.[2] Eine groteske Summe, die unbedingt einer gerechten Erbschaftsteuer unterliegen sollte.

Diese Einschätzung unterstrich einmal mehr auch der Bundesfinanzhof, als er am 24. November 2017 die Regelungen bei der Erbschaftsteuer erneut für verfassungswidrig erklärte. Dieses Mal verwies er insbesondere auf eine Entscheidung der Finanzämter, den Besitz von Wohnimmobilien ab einem Bestand von 300 Wohnungen pauschal als Betriebsvermögen zu klassifizieren und damit so gut wie nicht zu besteuern und legte dieser Vorgehensweise enge Grenzen auf.

Das Urteil blieb jedoch folgenlos, da das Bundesfinanzministerium mit einem sogenannten Nichtanwendungserlass reagierte. Dieser wies die Finanzämter an, das Urteil des Finanzhofes zu ignorieren und schrieb die Regelung in der Erbschaftsteuerrichtlinie von 2019 sogar noch einmal fest. Zum wiederholten Mal wurde damit die Rechtsprechung übergangen, diesmal durch das Haus des damaligen Finanzministers Olaf Scholz. Offenbar sah dieser es als wichtiger an, einige besonders Vermögende zu schonen – zum Schaden der Gewaltenteilung, des Grundgesetzes und einer gerechten Besteuerung in diesem Land.

Bis zum heutigen Tag besteht dieser rechtliche Missstand unverändert fort. Und weil die Gerichtsentscheidungen immer erst einige Jahre nach dem Inkrafttreten der gesetzlichen Änderungen erfolgten und die Politik diese nur äußerst zurückhaltend oder gar nicht umsetzte, kosteten diese verfassungswidrigen Ausnahmen die öffentliche Hand allein zwischen 2009 bis 2013 schätzungsweise 25 bis 30 Mrd. Euro. Inzwischen dürften es deutlich mehr als 50 Mrd. Euro sein.[3]

Gewiss kann und muss es in einer Demokratie verschiedene Positionen geben und auch das Grundgesetz kann mit entsprechenden Bundestagsmehrheiten geändert werden. Aber bewusste Verfassungsbrüche, die bereits vom Bundesverfassungsgericht moniert wurden, überschreiten eine rote Linie – zumal die bestehenden Regelungen die Ungleichheit in diesem Land erkennbar verschärfen. Denn die große Mehrheit hierzulande erbt kaum etwas oder nichts. Zugleich haben die hundert reichsten Familiendynastien – teilweise über mehr als sechs Generationen – Vermögen von etwa einer Billion Euro angehäuft. Sie besitzen damit etwa jeden zehnten Euro in unserem Land. Der derzeitige Zustand ist damit selbst dann widersinnig, wenn man dem Glauben an eine „Leistungsgesellschaft“ anhängt.

Die Rolle der Lobbyverbände

Wie aber kam es dazu, dass weite Teile der Politik über Jahrzehnte gegen die Interessen der übergroßen Bevölkerungsmehrheit und gegen das Grundgesetz entschieden haben?

Verantwortlich dafür sind nicht zuletzt überaus einflussreiche Lobbyverbände. Denn die jüngsten Auseinandersetzungen um die Erbschaft- und Schenkungsteuer waren eine der härtesten Lobbyschlachten, die diese Republik je gesehen hat. Millionenbeträge wurden dafür eingesetzt, weil es um Milliarden ging. Besonders zwei Akteure stechen dabei hervor: Die „Stiftung Familienunternehmen“ und der Verband „Die Familienunternehmer“ (früher „Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer“).

Ihre wohlklingenden Namen erwecken den Anschein, als verträten sie traditionelle Familien- und Handwerksbetriebe. Tatsächlich aber betreiben hier die reichsten Unternehmerfamilien mit den Verbänden gezielt Lobbyarbeit – unter anderem mit großseitigen Anzeigen in Zeitungen und besten Kontakten in die Politik. Auf diese Weise erstickten sie jedwede Bestrebungen im Keim, große Vermögen gerechter zu besteuern. Stattdessen malten sie in der Debatte ein Schreckensbild an die Wand: Eine höhere Erbschaftsteuer gefährde die Existenz von Unternehmen und damit die Zukunft von Arbeitsplätzen. 

Obwohl Belege für eine solche drohende Entwicklung fehlen, setzte sich dieses Narrativ weitgehend durch und trieb die Vertreter einer gerechteren Besteuerung in die Defensive: In der Berichterstattung um die Erbschaftsteuer tauchten die Begriffe „Familienunternehmen“ und „Mittelstand“ weitaus häufiger auf als „Reiche“, „Reichtum“ oder gar „Millionäre“. Und immer wieder ging es – willkommen im Zeitalter des Postfaktischen – um vermeintlich bedrohte Arbeitsplätze.

Beeinflussung von Politikern

Auch im Bundestag geriet die Diskussion oftmals in eine Schieflage. Abgeordnete wurden offenbar koordiniert von Unternehmern aus ihrem Wahlkreis angesprochen. Die CDU/CSU-Fraktion benannte gar den Adeligen und Unternehmer Christian Freiherr von Stetten, dessen Familie offenbar über umfangreichen Besitz verfügt, zu ihrem Obmann im Finanzausschuss und zum Berichterstatter für die Erbschaftsteuer. Die Positionen der Fraktion waren dann – wenig überraschend – deckungsgleich mit jenen der Unternehmenserben. Und für die Anhörungen im Finanzausschuss lud die Fraktion fast ausschließlich Wirtschaftsverbände und Unternehmer ein.

Im Bundesrat hätten Länder mit Regierungsbeteiligung von SPD und Grünen die weitreichenden Änderungen der Erbschaftsteuer stoppen können. Doch den Lobbyverbänden ist es auch hier gelungen, Landespolitiker parteiübergreifend zu Verteidigern „ihrer“ Familienunternehmer zu machen. Schon früh hatte sich etwa der einstige baden-württembergische Finanzminister Nils Schmid (SPD) für die Unternehmenserben in seinem Bundesland eingesetzt.[4]

Auch der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann sprach sich wiederholt gegen höhere Erbschaftsteuern aus, da diese die Betriebe gefährdeten.[5] Die „Welt“ bezeichnete den Grünen daraufhin als „Hoffnung der Firmenerben“, derweil die „Familienunternehmer“ ihn stolz auf ihrer Homepage als einen Unterstützer ihres Anliegens zitierten.

Das aber zeigt auch: Lobbyisten sind letztlich nur so stark, wie sie Gehör finden. Am Ende sind es die Politikerinnen und Politiker, die in den Parlamenten ihre Hand heben – oder nicht. Sie allein sind deshalb auch am Ende für ihre Entscheidungen verantwortlich.

Bei der Erbschaftsteuer wird seit Jahrzehnten eine rote Linie überschritten, die eigentlich jede Demokratin und jeder Demokrat respektieren muss. Dessen ungeachtet haben sich die Superreichen gleichsam wie Oligarchen ein ihnen genehmes Erbschaftsteuerrecht quasi erkauft.

Ein solcher Missstand ist eines Rechtsstaates unwürdig, und die sich abzeichnende Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP muss ihn endlich beheben. Verfassungswidrige Gesetze aus der Welt zu schaffen sollte das Anliegen jeder demokratischen Partei sein – ganz gleich, ob sie rot, grün oder gelb eingefärbt ist.

[1] Vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, Die Begünstigung des Unternehmensvermögens in der Erbschaftsteuer, www.bundesfinanzministerium.de, 2.3.2012.

[2] Vgl. Stefan Bach und Thomas Mertz, Vor der Erbschaftsteuerreform: Nutzung der Firmenprivilegien hat Minderjährige zu Multimillionären gemacht, in: „DIW Wochenbericht“, 36/2016, S. 812-820.

[3] Vgl. Stefan Bach, Erbschaftsteuer: Firmenprivilegien begrenzen, Steuerbelastungen strecken, in: „DIW Wochenbericht“, 7/2015, S. 111-121.

[4] Vgl. etwa: Baden-Württemberg verstärkt Kritik an Wolfgang Schäuble, www.tagesspiegel.de, 11.3.2015.

[5] Vgl. Kretschmann ist „strikt“ gegen die Vermögensteuer, www.faz.net, 3.8.2016.

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