Wie die Bonner Republik aus der deutschen Erinnerungskultur verdrängt wird

Bild: »Wir schützen jüdisches Leben«-Aufkleber am Konrad-Adenauer-Denkmal am Adenauerplatz in Berlin, 23.12.2023 (IMAGO / Stefan Zeitz)
Der Berliner Adenauerplatz steht auf dem Prüfstand. Der Grund der „potentiellen Umbenennung“: In einem „Dossier zu Straßen- und Platznamen mit antisemitischen Bezügen“, erstellt 2021 im Auftrag des Landes Berlin, fällt gleich an erster Stelle, alphabetisch bedingt und dennoch mit enormer Signalwirkung, der Name des ersten Bundeskanzlers der Bonner Republik.[1] Konrad Adenauer, von den Nationalsozialisten als Kölner Oberbürgermeister bereits 1933 abgesetzt, soll sich später, während seiner 14-jährigen Kanzlerschaft, mehr oder weniger nachweisbar dreimal antisemitisch geäußert haben. Der Herausgeber der Studie plädiert zwar letztlich nicht für eine Umbenennung des Adenauerplatzes – was einem Ausradieren des ersten Bundeskanzlers aus der Erinnerungskultur im Berliner Stadtraum gleichkommen würde –, wohl aber für „weitere Forschung und digitale Kontextualisierung“.[2]
Nicht nur im Falle Adenauers zeigt sich, dass die Aktivisten der Straßenumbenennungen mit ihren an sich lauteren Absichten, die demokratische Erinnerungskultur gegen Antisemitismus zu stärken, eine Geschichtsversessenheit an den Tag legen, die mit Geschichtsvergessenheit auf das Engste korrespondiert. Thomas Mann, dem wir Deutschen hinsichtlich der Auseinandersetzung mit Schuld und Verantwortung für die NS-Verbrechen unendlich viel zu verdanken haben, ergeht es in dieser Kontextvereinfachung nicht besser als Goethe und Fontane – oder eben Adenauer.