Ausgabe Juni 2024

Dokumentiert: Russlands historische Mission

Dmitri Medwedew (Vorsitzender der Partei Einiges Russland), nimmt an einer Militärparade zum Tag des Sieges auf dem Roten Platz in Moskau, Russland, teil, 9.5.2024 (IMAGO / SNA / Pavel Bednyakov)

Bild: Dmitri Medwedew (Vorsitzender der Partei Einiges Russland), nimmt an einer Militärparade zum Tag des Sieges auf dem Roten Platz in Moskau, Russland, teil, 9.5.2024 (IMAGO / SNA / Pavel Bednyakov)

Auf dem Schweizer Bürgenstock im Kanton Nidwalden tagt zwischen dem 15. und 16. Juni eine hochrangige Friedenskonferenz für die Ukraine mit zahlreichen Regierungsvertretern aus der ganzen Welt, aber ohne Russland. Eine baldige Verhandlungslösung erscheint derzeit allerdings nicht nur angesichts der massiven russischen Offensive auf Charkiw unwahrscheinlich, sondern auch mit Blick auf die russischen Kriegsziele. Sehr offen hat diese jüngst Dmitri Medwedew ausformuliert. Der ehemalige Präsident ist heute stellvertretender Leiter des Sicherheitsrates der Russischen Föderation und Vorsitzender der Präsidentenpartei „Einiges Russland“, auf deren Website der folgende Text am 9. Mai – dem Tag des Sieges über Nazi-Deutschland – zuerst erschienen ist. Medwedew behauptet darin in verschwörungsideologischer Manier eine Kontinuität britisch-amerikanischer Politik, Russland durch die Unterstützung echter oder vorgeblicher Nazis kleinhalten zu wollen. Daraus zieht er eine radikale Konsequenz: Die von ihm so genannten neuen Nazis, sprich: die Regierung in Kiew, und ihre westlichen Verbündeten müssten genauso geschlagen werden wie einst das Dritte Reich – nur dieses Mal noch vernichtender. Für Moskau, das macht Medwedew deutlich, steht der wahre Feind im Westen. Die „Blätter“ dokumentieren seinen Text an dieser Stelle. Die Übersetzung aus dem Russischen stammt von Ruth Altenhofer und Jennie Seitz. – Die Red.

Der historische Irrwitz des 21. Jahrhunderts ist die Rückkehr zu den unmenschlichsten und abscheulichsten Ideologien der Vergangenheit. Vor fast acht Jahrzehnten wurde der Faschismus besiegt. Endgültig und unwiderruflich, wie es damals schien. Seinen Anführern und Unterstützern wurde in Nürnberg der Prozess gemacht. Viele Jahre lang war sogar das Zurschaustellen von Nazisymbolen in den meisten Ländern der Welt gesetzlich verboten, ganz zu schweigen von anderen Symbolen und Ideen des Nationalsozialismus. Das Machtwort sprachen damals die Vereinten Nationen und alle internationalen Organisationen, die im Einklang mit deren Statuten handelten.

In diesem neuen Jahrtausend jedoch sehen wir uns gezwungen, gegen die Reinkarnation des Faschismus zu kämpfen, gegen seine Wiederkehr als Zombie, verkörpert durch den abscheulichen und zynischen Urenkel des Nationalsozialismus – das Kiewer Naziregime. Wir leben in einer Welt, die unsere Feinde in blinder Wut auf den Kopf gestellt und gespalten haben und nun in den Flammen des Dritten Weltkriegs vernichten wollen. Jeder vernünftige Mensch muss angesichts dessen, was der kollektive Westen – die USA, Großbritannien und andere Länder des Westens mitsamt ihren Vasallen und Komplizen – heute anrichtet, Zorn und Empörung empfinden.

Eifrig füttern und bewaffnen unsere ehemaligen Alliierten die neuen Nazis, hetzen sie gegen uns auf mit dem Ziel, Russland von der Landkarte zu tilgen und die ganze Welt zu zwingen, nach Banditengesetzen zu leben und das Völkerrecht zu vergessen. Während sich die letzten baltischen Partisanen in ihren rückständigen europäischen Staaten überschlagen vor Russophobie, führen die westlichen Großmächte einen hybriden Krieg gegen uns, verhängen Blockaden und Sanktionen und geben Milliarden für die Bewaffnung der Neonazis aus. Sie organisieren Provokationen und blutige Terroranschläge, vernichten ganze Städte und Hunderte Zivilisten. Washington und Brüssel agieren heute noch zynischer und konsequenter als Hitler und seine Gefolgsleute in den 1930er und 1940er Jahren. All das wird gerechtfertigt mit heuchlerischen Aufrufen zur „Unterstützung des Schwächeren", zur „Wiederherstellung der Demokratie“ und mit Drohungen, einen umfassenden Krieg gegen Russland zu beginnen. In ihren schlimmsten Albträumen hätten sich das jene nicht auszumalen vermocht, die einander an der Elbe die Hand schüttelten, die mit Fallschirmen in der Normandie landeten oder im von Deutschland und seinen Verbündeten besetzten Europa Widerstand leisteten. Auch nicht die Soldaten, die bei der Befreiung von Auschwitz und Mauthausen Berge von Asche um die Öfen vorfanden, oder die Bewohner friedlicher europäischer Städte, die Jahr für Jahr Blumen niederlegen – am Aljoscha-Denkmal im bulgarischen Plowdiw und an den Obelisken auf dem Budapester Gellertberg und im Berliner Treptower Park.

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass zusammen mit der greisen Regierung der Vereinigten Staaten auch die europäischen Staatsmänner in eine unheilbare Demenz verfallen sind. Aber nein. Im Rückblick können wir mit absoluter Gewissheit feststellen: Das Erinnerungsvermögen unserer ehemaligen Verbündeten ist tadellos, und in der Pflege ihrer Traditionen verdienen sie eine Eins plus. Der Faschismus ist nicht aus dem Nichts aufgetaucht. Einst waren es unsere vermeintlichen Bündnispartner, die seine Entstehung und Etablierung aktiv unterstützten, um bald darauf das Kommando zum Angriff zu geben. Die Angelsachsen schufen bereits an der Jahrhundertwende zwischen dem 19. und dem 20. Jahrhundert einen Nährboden und ein Fundament für den Faschismus. Und dann fütterten sie ihn und zogen ihn auf wie einen Bastard, um rasch ihre Ziele zu erreichen und ihn wegzuwerfen, sobald sie ihn nicht mehr brauchten. Genauso agieren seine heutigen Nachfolger. Die Geschichte wiederholt sich, ergänzt durch den technischen Fortschritt, einen neuen geopolitischen Kontext und andere Merkmale der Gegenwart.

Wir müssen wissen, mit wem wir es heute zu tun haben, gegen wen wir kämpfen – bis zum siegreichen Ende und der endgültigen Zerschlagung. Wir wollen uns an einige historische Fakten erinnern und sie zueinander in Beziehung setzen. Und den Angelsachsen fünf einfache Fragen stellen.

Frage eins: Wer profitierte vom Faschismus?

Nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg wurde Deutschland durch den Versailler Vertrag von 1919 zahlreiche schwerwiegende Beschränkungen auferlegt. Sie betrafen die Größe der deutschen Armee, die Stärke der Rüstungsindustrie und eine breite Palette von Rüstungsgütern. Außerdem musste der Aggressor (obwohl selbst vom Krieg verwüstet) Reparationen an die Sieger zahlen, um den verursachten Schaden auszugleichen. Unter diesen Bedingungen hätte das spätere Dritte Reich ohne Hilfe von außen seine Armee nie wieder aufrüsten können. Revanchistische und andere ultraradikale Gesinnungen, Ideen zur Schaffung einer „neuen Weltordnung" unter der Führung der arischen Rasse allein bringen kein Geld ein, ohne finanzielle Unterstützung bleiben sie leere Worthülsen. Und das Geld für die Verwirklichung ihrer Pläne bekamen die „Arier“ von den Angelsachsen.

Was nützten den „Wohltätern" diese Ausgaben? Die Motive liegen auf der Hand. Vor hundert Jahren zielten alle Bemühungen der westlichen Länder darauf ab, die von Sowjetrussland ausgehende „rote Gefahr“ zu neutralisieren. Und sie glaubten ernsthaft, Deutschland könne das Bollwerk des Westens gegen den Bolschewismus werden. Anlässlich eines Treffens mit Hitler im November 1937 sagte Lord Halifax (der einige Monate später britischer Außenminister wurde), ohne mit seinen Gefühlen hinterm Berg zu halten, der Führer habe nicht nur in Deutschland viel erreicht, er habe durch die Ausmerzung des Kommunismus in seinem Land auch sein Vordringen nach Westeuropa verhindert. Früher spielte im globalen Wettstreit nur der militärisch-politische Faktor eine entscheidende Rolle. Nach 1917 wurden politische Botschaften zu einer ebenso gefährlichen Waffe. Die Idee der weltweiten Vereinigung der Arbeiterklasse, das von den Bolschewiki proklamierte Selbstbestimmungsrecht der Völker – all das fand in anderen Ländern großen Anklang und gewann Scharen von Anhängern. Darin sah man in den europäischen Staaten sowohl für die jeweilige innenpolitische Situation als auch für die bestehende Praxis der Ausbeutung von Gebieten in Übersee eine unmittelbare Gefahr.

Um diese Prozesse aufzuhalten, galt es zunächst, das deutsche Aufmarschgebiet als wirtschaftlichen, politischen, strategischen und ideologischen Brückenkopf zu erobern. Auch nach der Kriegsniederlage behielt Deutschland seine industrielle Stärke und sein menschliches Kapital und somit sein Potenzial, die globalen Machtverhältnisse wesentlich zu beeinflussen.

Die angelsächsischen Eliten machten es sich zur Aufgabe, den Ausbau der Beziehungen zwischen Moskau und Berlin mit allen Mitteln zu verhindern und Deutschland gegen die 1922 gegründete UdSSR aufzuhetzen. Für die USA und Großbritannien mit ihren Plänen zur Weltherrschaft (und keineswegs zu Frieden und Ruhe in Europa und darüber hinaus) war eine Annäherung und Zusammenarbeit zwischen der Weimarer Republik und Sowjetrussland nicht nur ungünstig, sondern existenzgefährdend. Die Angelsachsen hätten dadurch Schlüsselpositionen in ihren Einflusszonen verloren.

Der Vertrag von Rapallo, den Russland und Deutschland 1922 auf der Konferenz von Genua schlossen, und die darauf folgenden Schritte in Richtung einer Partnerschaft auf militärisch-technischem und industriellem Gebiet verstärkten die Möglichkeit, einen Pakt gegen die Angelsachsen zu schließen. Auch in der Berliner Oberschicht gab es damals nicht wenige Befürworter einer gemäßigten Linie gegenüber den Sowjets. So argumentierte etwa der Befehlshaber der Landstreitkräfte der Reichswehr, Generaloberst Hans von Seeckt, in den frühen 1920er Jahren: „Die Entente ist sehr daran interessiert, Deutschland gegen Russland einzusetzen. Wenn Deutschland jedoch einen Krieg gegen Russland beginnt, dann wird das ein aussichtsloser Krieg“. Solche Stimmungen machten die Angelsachsen nervös.

Auch die Stärke der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) unter der Führung von Ernst Thälmann, der zweimal (1925 und 1932) für das Präsidentenamt kandidierte, beunruhigte die Angelsachsen. Dem sozialdemokratischen Lager fehlte eindeutig die Kraft, die Kommunisten in einer zärtlichen Umarmung zu ersticken. Also musste ein politischer Flügel her, der die KPD ohne Rücksicht auf Moral, Recht und öffentliche Meinung auslöschen konnte.

Lange vor dem Höhenflug des verrückt gewordenen Führers stand in den USA und Großbritannien ein Aufgebot von Unterstützern bereit und waren Ideengeber am Werk. Diverse Gruppierungen aggressiver Revanchisten stützten sich auf populäre Theorien von Halford Mackinder, Alfred Thayer Mahan und Nicholas J. Spykman aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts über die Konfrontation zweier makrogeografischer Zonen: der ozeanischen Hemisphäre (der Westen und die Britischen Inseln) und der kontinentalen Hemisphäre, deren Zentrum als „Heartland“ bezeichnet wurde – eine Zone, die auf dem Seeweg unzugänglich und für die Beibehaltung der strategischen Kontrolle über die weltpolitischen Entwicklungen von entscheidender Bedeutung war.

In Hitler setzten die „ozeanischen Zivilisationen“ eine besondere Hoffnung, geradezu die letzte. Er war das Werkzeug, mit dem das sich anbahnende Bündnis zwischen Deutschland und der UdSSR vereitelt und der ideologische Feind im Inneren – die deutschen Kommunisten – vernichtet werden sollte.

Dafür eignete sich der zukünftige Führer hervorragend. Er agierte wider die geopolitische Klassik und die militärische Strategie Deutschlands, die die „ozeanischen Zivilisationen“ als schlimmsten Gegner bezeichneten und im Ersten Weltkrieg die Erfahrung gemacht hatten, dass der „eiserne Kanzler“ Otto von Bismarck mit seinem Rat, niemals gegen Russland zu kämpfen, doch recht gehabt hatte.

Darüber hinaus sahen Großbritannien und Amerika in der Remilitarisierung und der Unterstützung des Faschismus das perfekte Mittel, nicht nur Sowjetrussland einzudämmen, sondern auch die geopolitischen Bestrebungen Frankreichs zu bändigen, das nach dem Frieden von Versailles die alleinige militärische und politische Führung auf dem Kontinent beanspruchte.

Frage zwei: Wer hat Hitler Geld geliehen?

Bei der Förderung der nationalsozialistischen Kräfte in Deutschland gab es zwischen Großbritannien und den Vereinigten Staaten eine Art Arbeitsteilung.

London konzentrierte sich vor allem auf die politische und diplomatische Stärkung des Dritten Reiches. Es tat alles, um die NSDAP, die 1928 nur 100 000 Mitglieder hatte, an die Machtspitze zu befördern. Zum Vergleich: Die der Regierung so unliebsame KPD hatte 1923 etwa 400 000 Mitglieder. Ein wichtiges Ziel der Angelsachsen war es auch, diesen aggressiven politischen Randgruppen das Recht zu verschaffen, ihre militärische Macht auf legaler Grundlage auszubauen. Die Verhandlungen „basierend auf der Anerkennung der Gleichberechtigung Deutschlands in Fragen der Rüstung" (so viel liebedienerische Anbiederung hatte die Nazi-Spitze gar nicht erwartet) begannen 1934, die UdSSR wusste davon übrigens aus den Berichten des sowjetischen Botschafters in London. Eines der Ergebnisse war das deutsch-britische Flottenabkommen von 1935, das die Kriegsmarine in Bezug auf die Tonnage mit der französischen und italienischen Flotte gleichstellte, das heißt die Gleichheit zwischen den Siegermächten und dem unterlegenen Deutschland erstmals auf dem Papier festschrieb.

Britische und amerikanische Banken finanzierten die deutsche Rüstungsindustrie, und die Londoner Diplomatie förderte mit Unterstützung von Frankreich Hitlers Vormarsch Richtung Osten.

Und Washington setzte erfolgreich sein wirksamstes Mittel ein: Geld. Und das stinkt bekanntermaßen nicht. Amerika nutzte die Tatsache aus, dass die deutsche Wirtschaft nach der Kriegsniederlage zwar fragil war, aber über erhebliche Ressourcen verfügte, und betrachtete dieses Land als billiges und äußerst vielversprechendes Pflaster für Investitionen seiner Großunternehmen.

So konnten die Vereinigten Staaten ihre Absatzmärkte erweitern, eine Überproduktionskrise vermeiden und die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise der Jahre 1929-1932 abmildern.

Das war nichts Neues – typisch amerikanisches Business as usual.

Nicht umsonst sagte der ehemalige deutsche Reichswirtschaftsminister und Präsident der Reichsbank, Hjalmar Schacht, bei den Nürnberger Prozessen: „Wenn ihr die Industriellen anklagen wollt, die bei der Aufrüstung Deutschlands geholfen haben, müsst ihr euch selbst anklagen. Dann kommt ihr nicht daran vorbei, die Amerikaner anzuklagen. Die Autofabrik Opel zum Beispiel hat ausschließlich Kriegsgerät hergestellt. Sie gehörte euren General Motors.“

Die Worte des vor Gericht stehenden Ministers überhörte man in den USA lieber.

Allerdings sagen auch Verbrecher manchmal die Wahrheit. Als Folge des Ersten Weltkrieges verschob sich das wirtschaftliche Zentrum der kapitalistischen Länder über den Atlantik. 1928 überstieg die Industrieproduktion der USA die Gesamtproduktion ganz Europas westlich der UdSSR. Darüber hinaus waren die USA dank großer Rüstungsaufträge aus der Entente die Schulden, die sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts gehabt hatten, losgeworden und zum wichtigsten Gläubiger Europas geworden. Allein die Kriegsschulden gegenüber den USA betrugen zehn Milliarden Dollar (unter Berücksichtigung des Geldwerts von 1918 eine gigantische Summe). Gleichzeitig hatte Deutschland, von dem sich die siegreichen Soldaten so hohe Reparationszahlungen erhofft hatten, rein gar nichts zu bieten – 1923 betrug die so genannte große Inflation dort rekordverdächtige 578 512 Prozent.

Die anglo-amerikanischen Finanzkreise wussten die Sackgasse, in der Europa steckte, weil Deutschland seine Rechnungen nicht bezahlen und Frankreich das Problem nicht auf friedlichem Wege lösen konnte, hervorragend zu nutzen. Allmählich reifte Europas Bereitschaft heran, das Angebot der USA anzunehmen. 1924 wurde auf der Londoner Konferenz ein von den USA vorgelegter neuer Plan für Deutschlands Reparationszahlungen beschlossen: der Dawes-Plan, der die Schulden auf die Hälfte, nämlich eine Milliarde Goldmark, reduzierte. Erst 1928 sollte der geforderte Betrag auf 2,5 Mrd. Mark steigen. Nach einem Plan, der in den Tiefen der J. P. Morgan Company ausgearbeitet wurde, bekam Deutschland ein Darlehen von 200 Mio. Dollar (die Hälfte davon ging an die J. P. Morgan Bank).

Es entstand ein sehr originelles und gewieftes System, das man „Weimarer Kreislauf“ nennen könnte: Das Geld aus den Reparationszahlungen verwendeten die europäischen Staaten nämlich in erster Linie dazu, ihre Kredite aus den USA zu tilgen. So kam das Geld (mit Zinsen) wieder zurück nach Amerika. Die Amerikaner schickten diese Summen wiederum nach Deutschland, bereits in Form von Krediten zu einem neuen, höheren Zinssatz.

Der Dawes-Plan sollte die deutsche Wirtschaft in dem Maße wiederherstellen, wie es zur Erfüllung der Reparationsverpflichtungen notwendig war. Seine List bestand darin, dass er nicht nur den deutschen Druck auf die traditionellen Märkte verringerte, auf denen die Alliierten Fuß gefasst hatten, sondern auch auf eine für die Alliierten günstige Lösung der „russischen Frage“ abzielte. Der Zustrom deutscher Waren auf den sowjetischen Markt sollte dafür sorgen, dass die UdSSR wirtschaftlich schwach blieb.

Das antisowjetische Wesen des Dawes-Plans war der Führung der UdSSR von Anfang an klar. So stellte Stalin in seiner Rede am XIV. Parteitag der KPdSU am 18. Dezember 1925 fest: „[...] ein Teil dieses Plans, der besagt, dass Deutschland auf Kosten der russischen Märkte Kopeken für Europa hervorbringen soll, ist ebenfalls eine Rechnung ohne den Wirt. Warum? Weil wir auf keinen Fall ein Agrarland für irgendein anderes Land, einschließlich Deutschland, werden wollen. Wir werden Maschinen und andere Produktionsmittel selbst herstellen.“

Laut dem amerikanischen Historiker Guido Giacomo Preparata, der sich auf Berechnungen des englischen Ökonomen Derek Aldcroft aus den 1970er Jahren stützte, erhielt Deutschland allein in den Jahren 1924-1929 von den USA 150 Kredite (die Hälfte davon mit kurzer Laufzeit) im Wert von fast 26 Mrd. US-Dollar. Nur 10,3 Mrd. Dollar wurden für Reparationsleistungen verwendet; der Rest der Gelder sickerte in die deutsche Wirtschaft. Einer der Ausführenden des Dawes-Plans, der deutsche Bankier Hjalmar Schacht, stellte 1929 fest: „Deutschland erhielt innerhalb von fünf Jahren so viele ausländische Kredite wie Amerika in den 40 Jahren vor dem Ersten Weltkrieg.“

Infolgedessen war Deutschland abhängig von Krediten. Wie David Stern, der Leiter des Pressebüros der sowjetischen Botschaft in Berlin, 1929 ganz richtig analysierte, wurde „der Weg zur Verknüpfung des Reparationsproblems mit den Interessen des internationalen Kapitals skizziert; der Weg, der Deutschland dazu brachte, seine Tore für ausländische Kapitalflüsse in seine Volkswirtschaft weit zu öffnen.“ Das Land und seine Industrie waren hoch verschuldet. Ohne Hilfe aus Washington wäre es völlig bankrott gewesen. Erinnert uns das nicht an ein aktuelles Beispiel?

Die angelsächsischen Kredite, die vor allem der Wiederherstellung von Deutschlands militärindustriellem Potenzial dienten, zeigten Wirkung. Bereits 1929 lag die deutsche Industrie weltweit an zweiter Stelle. Ihre Kredite zahlten die Deutschen mit Aktien von Industrieunternehmen. So drang massenhaft angloamerikanisches Kapital nach Deutschland und bildete einen bedeutenden Sektor der deutschen Wirtschaft. Insbesondere der berühmte deutsche Chemiekonzern I. G. Farben wurde von der amerikanischen Standard Oil (sprich dem Haus Rockefeller) kontrolliert. Von General Electric (sprich dem Haus Morgan) abhängig waren Siemens und AEG; die amerikanische IT Corporation besaß bis zu 40 Prozent der deutschen Telefonnetze. Die deutsche Metallindustrie war stark von Rockefeller abhängig, und Opel stand unter der Kontrolle von General Motors (sprich dem Haus DuPont). Auch den Bankensektor und die Eisenbahnen ließen die Angelsachsen nicht unberührt, genauso wie ganz allgemein alle lukrativen deutschen Vermögenswerte. Insgesamt investierte Standard Oil 120 Mio. US-Dollar in das Dritte Reich, General Motors brachte 35 Mio. ein und ITT 30 Mio. US-Dollar.

Dabei standen die britischen Kollegen den Amerikanern in nichts nach. Die Bank of England bürgte für Deutschland, das von großen britischen Unternehmen auf Kredit mit Kupfer, Aluminium, Nickel und anderen für die Kriegsindustrie benötigten Rohstoffen versorgt wurde. Die britischen Konzerne Imperial Chemical Industries und Vickers lieferten Rohstoffe und wichtige Materialien für den Bedarf der deutschen Kriegsindustrie. Ende 1934 wurde der Reichsbank ein Kredit von 750 000 Pfund gewährt.

Im Dezember 1934 wurde nach einem Treffen zwischen Henri Deterding, dem Chef des britischen Ölkonzerns Royal Dutch Shell und bekennendem Nazi, und Adolf Hitler ein Abkommen betreffend deutsche Industrielle und anglo-amerikanische Ölmagnaten geschlossen: Letztere sollten Deutschland mit Erdölprodukten in der Höhe seines Jahresverbrauchs von 1934 versorgen. Die Lieferungen erfolgten sowohl offen als auch geheim, vor allem über Kanada. Der Automobilhersteller Rolls-Royce übermittelte der Hitler-Regierung, angeblich aufgrund kommerzieller Interessen, eine Reihe neuer Kestrel-Motoren, die in Kampfflugzeugen eingesetzt wurden. Im April 1934 verkaufte Armstrong Siddeley Flugmotoren an Deutschland, die das Ergebnis jahrelanger Forschungs- und Entwicklungsarbeit britischer Ingenieure waren. Und im Mai 1934 bestellten die Nazis in England 80 leistungsstarke Flugzeugmotoren dieser Firma. Kampfjets, Panzer und Maschinengewehre aus England wurden massenhaft nach Deutschland importiert. Obwohl die Aufrüstung des Reiches bedrohliche Ausmaße annahm und die Nazis drauf und dran waren, die Wiederherstellung der Luftwaffe und die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht offiziell zu verkünden, unterstützte die britische Regierung beim Thema Aufrüstung weiterhin die Formel der „Gleichberechtigung“.

Nach der Machtergreifung durch die Nazis änderte sich an alldem nichts. Im Gegenteil, die Amerikaner versorgten ihre Tochtergesellschaften in Deutschland, also Hitler, weiterhin mit den neuesten Technologien, ohne die es unmöglich gewesen wäre, einen großen Krieg zu führen. Dieser Krieg war für die USA notwendig, um ihre Vorherrschaft in der Welt zu sichern. Dies betraf vor allem die chemische Industrie, den Schwer- und Transportmaschinenbau und andere Schlüsselsektoren der deutschen Wirtschaft. Mitte der 1930er Jahre waren amerikanische Firmen mit mehr als 60 Niederlassungen in Deutschland vertreten. Amerikanisches Kapital kontrollierte etwa 300 deutsche Unternehmen. Sogar in der Verwaltung der Konzentrationslager wurden Technologien von IBM eingesetzt, woran sich die raffinierten IT-Spezialisten aus dem Silicon Valley heute nur ungern erinnern. Deutschland erhielt also in kürzester Zeit alles, um einen „Krieg der Motoren“ führen zu können. So konnte Hitler die deutsche Armee in wenigen Jahren auf das 42-Fache vergrößern und mit den modernsten Waffen ausstatten.

Frage drei: Wer hat die Faschisten ideologisch genährt?

In den 1920er und 1930er Jahren förderten die britischen Behörden bewusst die Verbreitung einer ultraradikalen Ideologie, die angesichts der katastrophalen Folgen des Ersten Weltkriegs populär wurde. In Großbritannien gab es viele pro-faschistische Organisationen. Ihre Vorläufer waren rechtsextreme und nationalistische Gruppen, die der Staat gerne für schmutzige politische Zwecke einsetzte – von der Unterdrückung der revolutionären Bewegung im Umfeld der Arbeiterklasse bis hin zum Kampf gegen die Befürworter der Unabhängigkeit Irlands.

Die schändlichste Seite der britischen Geschichte bleibt jedoch die British Union of Fascists, die 1932 von dem Aristokrat und Millionär Baronet Oswald Mosley gegründet wurde und sich aus verschiedenen kleinen Organisationen zusammensetzte. 1934 gab es in England mindestens 400 aktive Zellen dieser Struktur mit durchschnittlich jeweils 50 Mitgliedern. Sie gaben im ganzen Land Zeitungen heraus, die größte hieß „The Blackshirt“. Ihr Motto war „Britain First“ (eine Hommage an „Deutschland über alles“). In ihrem politischen Reformprogramm erklärten die Faschisten die schrittweise Abschaffung des parlamentarischen Systems, die Errichtung einer Diktatur und die Unterordnung praktisch aller wichtigen Lebensbereiche der britischen Gesellschaft unter den Staat.

Die Union der Faschisten bekam aktive Unterstützung durch den Medienmagnaten Lord Rothermere Jonathan Harmsworth. Am 15. Januar 1934 veröffentlichte er in seiner Zeitung „Daily Mail“ einen Artikel mit dem Titel „Hurrah for the Blackshirts!“, in dem er Mosley zum zukünftigen Führer und seine Schergen zu den Rettern des Landes erklärte. In einem anderen Artikel, der bereits im „Daily Mirror“ erschienen war, hatte er diese faschistische Bande in den höchsten Tönen gepriesen und behauptet, dass nur sie der Bedrohung von links standhalten könne. Selbst als die Mosley-Rothermere-Allianz zerbrach, fuhr die Daily Mail fort, mit typisch britischer Pedanterie Loblieder auf den anglofaschistischen Führer zu singen. Auch der irische Dramatiker Bernard Shaw, einer der leuchtendsten Vertreter der englischen Kultur, war ein Bewunderer Mosleys.

Die Faschisten gewannen die Parlamentswahlen im Vereinigten Königreich zwar nicht, aber sie sicherten sich eine breite Unterstützung. Wie aus einem Dokument des deutschen Auswärtigen Amtes aus der NS-Zeit hervorgeht, waren der britische Königshof, der Hochadel, ein großer Teil des Klerus, der Imperiale Generalstab und andere einflussreiche Kreise in England dem Nationalsozialismus freundlich gesinnt.

Die Taten der Würdenträger standen nicht hinter ihren Worten zurück. Schon vor der Machtübernahme durch die Nazis im Jahr 1933 waren die Kontakte zwischen dem britischen Establishment und den Spitzen der NSDAP äußerst rege. 1932 empfing Hitler Winston Churchill. Im Gegenzug reiste Alfred Rosenberg nach England, und nach ihm, 1933, von Ribbentrop, der 1936-1938 Botschafter in London war. Dessen Treffen mit Stanley Baldwin, dem Anführer der Conservatives und mehrfachen Premierminister, veranstaltete der prominente Conservative-Anhänger Lord Davidson in seinem Anwesen. Er bezeichnete es als „vollen Erfolg“.

Auch mit Hitler waren die Briten schon seit langem bekannt. Die ersten Kontakte gehen auf das Jahr 1922 zurück, als Hitler in München mit Captain Truman Smith, dem stellvertretenden US-Militärattaché in Deutschland, zusammentraf. Bezeichnenderweise legte Smith daraufhin eine erfolgreiche Karriere im amerikanischen Geheimdienst hin und kehrte 1935-1939 als Militärattaché nach Berlin zurück. Offenbar hinterließ Hitler einen bleibenden Eindruck bei Smith, der einen lobenden Bericht nach Washington schickte.

Ungefähr um dieselbe Zeit begann das Geld für Hitler zu fließen. Die NSDAP erlebte ein Wahlwunder. Während sie bei den Parlamentswahlen von 1928 nur 2,3 Prozent der Stimmen einfahren konnte, erreichte sie im September 1930 dank großer Finanzspritzen bereits 18,3 Prozent und zog als zweitstärkste Kraft in den Reichstag ein.

Im Januar 1932 fand ein Treffen zwischen dem zukünftigen Führer und dem Reichskanzler – Adolf Hitler und Franz von Papen – und dem Gouverneur der Bank of England, Montague Norman, statt. Bei diesem Treffen wurde eine geheime Vereinbarung zur Finanzierung der NSDAP über Banken in Schweden und der Schweiz getroffen. Nicht umsonst war das größte deutsche Kreuzfahrtschiff, das 1945 von dem legendären sowjetischen U-Boot-Kommandanten Marinesko versenkt wurde, nach dem eingefleischten Nazi Wilhelm Gustloff benannt – dem in der Schweiz lebenden Finanzverbindungsmann der Nazis mit den größten Ländern der Welt.

Es gibt zahlreiche weitere Beispiele. Im Sommer 1938 erklärte der spätere „entschiedene Gegner des Nationalsozialismus“ Winston Churchill ohne Skrupel, er sei „nicht gegen die Hegemonie Deutschlands und wünsche wie die meisten Engländer, dass Deutschland seinen Platz als eine der zwei oder drei Weltmächte einnimmt“. Wahrscheinlich ließe sich das Verhalten der britischen Politiker damit rechtfertigen, dass sie das wahre Wesen des erstarkenden Hitler-Deutschland noch nicht verstanden, dass die nichts von den monströsen Plänen des Rassenterrors ahnten, dass sie das alles nicht gewollt hatten... Doch Fakt ist: Sie taten alles, um es geschehen zu lassen.

Das Sahnehäubchen auf dieser faulen Torte ist die nur schlecht kaschierte nazifreundliche Haltung des britischen Königs Edward VIII., der nach seiner Abdankung 1937 den Titel eines Herzogs von Windsor erhielt. Unter ihm besetzten die Nazis im Sommer 1936 das entmilitarisierte Rheinland, was Großbritannien (auf Zuspiel des Monarchen) unterstützte. Der König war der Ansicht, dass das Rheinland historisch gesehen zu Deutschland gehörte. Und er wusste, dass mit Hitler notfalls ein Sonderpakt geschlossen werden konnte, in dem dieser die Verantwortung für die Bevölkerung des Rheinlandes übernehmen würde. Im Oktober 1937 reisten er und die Queen (die ebenfalls für ihre Sympathien für das Dritte Reich bekannt war) nach Nazideutschland, um dort Hitler zu treffen. Und nicht nur das: Nach Informationen, die von den Briten selbst veröffentlicht wurden, planten die Nazis im Falle eines deutschen Sieges im Zweiten Weltkrieg, den abgedankten Edward VIII. als Marionettenherrscher wieder auf den Thron zu setzen.

Das Verhalten der britischen Oberschicht hatte durchaus einen Hintergrund. Die Ideen des Nationalsozialismus sind nämlich nicht germanischen oder arischen Ursprungs und die Rolle der Angelsachsen bei ihrer Entstehung und ihrem Sieg in Deutschland enorm. In England war die Identifikation mit dem von Gott auserwählten Volk im Mittelalter und in der frühen Neuzeit weit verbreitet. So betrachtete der Anführer der englischen Revolution, Oliver Cromwell, im 17. Jahrhundert nicht etwa die gesamte christliche Welt, sondern nur die Engländer als das Volk Gottes und Großbritannien als das neue Israel. Premierminister Benjamin Disraeli – bezeichnenderweise ein Jude – trug wesentlich zur Etablierung extremer Formen des soziopolitischen Nationalismus im öffentlichen Massenbewusstsein der Engländer im 19. Jahrhundert bei. Unermüdlich verteidigte er den Vorrang der angeborenen Rechte der Engländer vor den allgemeinen Menschenrechten und bewunderte den britischen Imperialismus und Kolonialismus. Er war auch der erste europäische Politiker, der verkündete, dass „Rasse alles ist; und das einzige, was Rasse schafft, ist Blut“.

Ein weiterer Vordenker war der Schriftsteller und Philosoph Arthur N. Chamberlain, der eine Synthese der antisemitischen Schulen des Pan-Germanismus mit den vorherrschenden Rassentheorien postulierte. Seine pseudowissenschaftliche Theorie von der Überlegenheit einiger menschlicher Rassen über andere, die im skandalösen Buch „The Foundations of the Nineteenth Century“ ihren Niederschlag fand, hatte großen Einfluss auf die wichtigsten Schriften der Naziführer, darunter die von Hitler und Rosenberg. Goebbels bezeichnete Chamberlain sogar als „geistigen Vater“.

Die Rassentheorie des Dritten Reiches hätte ohne die abscheuliche und irreführende, im 19. und frühen 20. Jahrhundert in Großbritannien jedoch sehr populäre Lehre von der Optimierung des Menschen durch Zwangsselektion – die Eugenik – nicht umgesetzt werden können. Ihr Anführer, Darwins Cousin Francis Galton, gründete die Britische Eugenik-Gesellschaft (die übrigens immer noch existiert und erst 1989 auf öffentlichen Druck hin ihren unsäglichen Namen in Galton-Institut änderte). In ihren Thesen wandten sie biologische Konzepte zur natürlichen Auslese und zum Überlebens von Individuen an, die am besten für Soziologie, Wirtschaft und Politik geeignet waren. Dies veranlasste die Nazis später dazu, die Grundsätze der Rassenhygiene in die Praxis umzusetzen, Menschenversuche durchzuführen und ganze Volksgruppen wie Slawen, Juden, Zigeuner und andere auszurotten. Einen starken Einfluss auf den deutschen Nationalsozialismus übte der britische Eugenik-Professor Charles Pearson aus, der die Meinung vertrat, der Rassenkonflikt sei der Motor des menschlichen Fortschritts.

Ganz ähnliche Ansichten vertrat auch der Literaturnobelpreisträger von 1907, Rudyard Kipling, der für den britischen Geheimdienst tätig war. Seiner Meinung nach konnte England die Macht über die überseeischen Gebiete dank der „besonderen Gunst Gottes“ an sich reißen, und die Bezahlung für seine Gunst war das vergossene englische Blut. In einem seiner berühmtesten Gedichte, „The White Man's Burden“, thematisierte Kipling die Bedeutung der imperialistischen Mission in den Kolonien und beschrieb die Ureinwohner als unterentwickelt und der Vormundschaft durch zivilisiertere und fortschrittlichere Nationen, also die Europäer, bedürftig.

Frage vier: Wer »deckte« die Kriminellen?

Zum Verständnis der undurchsichtigen Finanzsysteme der Zwischenkriegszeit ist ein historischer Exkurs nötig. Zur Umsetzung des 1929 beschlossenen Young-Plans (eine modifizierte Version des bereits erwähnten Dawes-Plans) wurde 1930 in Basel die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) gegründet. Die Zusammenarbeit zwischen den Direktoren aus den Staaten der Anti-Hitler-Koalition (Frankreich, Großbritannien und die USA) und denen des faschistischen Blocks (Deutschland und Italien) wurde auch während des Zweiten Weltkriegs fortgesetzt. Bei diesen „Kontakten“ ging es nicht nur um die Zahlung deutscher Reparationen für den Ersten Weltkrieg. Deutschland war daran interessiert, mittels neutraler Länder unter anderem strategische Waren zu erwerben, verfügte jedoch nicht über genügend Devisen. Die BIZ tauschte daher das Gold, das die Nazis in den Konzentrationslagern den ermordeten Gefangenen abgenommen hatten, gegen frei konvertierbare Währung ein, mit der daraufhin Transaktionen in Schweden und anderen neutralen Ländern durchgeführt wurden.

Ein weiteres Detail, das an Zynismus kaum zu übertreffen ist: Nicht einer dieser Pläne (Dawes, Young etc.) wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs verurteilt. Ganz im Gegenteil. Der Friedensnobelpreis, den Charles Dawes 1925 erhalten hatte, wurde von niemandem in Frage gestellt. Owen Young, Gründer der Radio Corporation of America, wurde 2019 gar von der einflussreichen American Consumer Technology Association, die mehr als 2000 US-Tech-Giganten unter sich vereint, in die Hall of Fame aufgenommen. Das spricht Bände.

Bezeichnenderweise kehrte der Anführer der Schwarzhemden, Oswald Mosley, nach dem Zweiten Weltkrieg in die Politik zurück und gründete 1947 die Union Movement, der sich über 50 kleinere rechtsextreme Organisationen und Gruppierungen anschlossen. Sein Ziel war es, die westeuropäischen Länder zu vereinen, um den aggressiven Bestrebungen der UdSSR in Europa entgegenzuwirken, wobei er faktisch Hitlers Ideen übernahm und sich für die „Wiedergeburt des Dritten Reiches als Viertes Reich“ einsetzte. Seine Idee wurde tatsächlich in die Praxis umgesetzt – es genügt, sich daran zu erinnern, dass die Europäische Union von vielen allen Ernstes als „Viertes Reich“ bezeichnet wird. Die politische Agenda der Anhänger der Union Movement umfasste die Aufrüstung Großbritanniens auf das Niveau von USA und UdSSR sowie die Bildung einer gesamteuropäischen Regierung zur Lösung internationaler Probleme, Fragen der Verteidigung, der Wirtschaftspolitik, der Finanzen und der nationalen Entwicklung. Mosley erkannte die Urteile der Nürnberger Prozesse nicht an und gilt als einer der ersten britischen Holocaust-Leugner. Auch dafür wurde er nie zur Rechenschaft gezogen. Er veröffentlichte sogar eine Autobiografie mit dem provokanten Titel „My Life“ (der Brite verehrte den Führer bis zu seinem Tod 1980), die sich bestens verkaufte.

Auch das Schicksal eines anderen englischen Schurken nahm ein gutes Ende: Arnold Leese gründete 1929 die Imperial Fascist League, die mit der British Union of Fascists konkurrierte. Leese war ein noch größerer Verehrer der Rassentheorie und ein noch überzeugterer Antisemit als Mosley. Aber die britischen Behörden sahen keinen Grund, ihn wegen Extremismus zu verfolgen: Er war einer der letzten Anführer der faschistischen Bewegung, die bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in Großbritannien interniert wurden. 1943 wurde Leese aus gesundheitlichen Gründen entlassen und gab seine eigene Zeitschrift „Gothic Ripples“ heraus, in der er seine menschenverachtenden Ansichten fröhlich weiterverbreitete.

Aus historischer Perspektive folgte der Zweite Weltkrieg einer „Ringkomposition“ – „von Palast zu Palast“. Den Kampfhandlungen, die am 1. September 1939 begannen, ging ein erbittertes diplomatisches Ringen in den europäischen Palästen und Residenzen voraus. Bei den geheimen Treffen und Verhandlungen in Berchtesgaden, im Führerbau, in Bad Godesberg und in Paris verfolgte jede Seite ihre Ziele: Nazideutschland sehnte sich nach Rache für die demütigende Ordnung des Versailler Vertrags, die ihm aufgezwungen worden war. Die Siegermächte des Ersten Weltkriegs – Großbritannien und Frankreich – beabsichtigten ihrerseits, das „Gespenst des Kommunismus“ mit Hilfe des erstarkenden Deutschlands loszuwerden, und zwar indem sie bestenfalls die deutschen Expansionsbestrebungen nach Osten lenkten, mindestens aber, indem sie auf Kosten von Drittländern mit Aggressoren paktierten. Jedem, der angesichts des Freibriefs für die Raubzüge der Nazis Bedenken anmeldete, einschließlich der Tschechoslowakei und Polen, wurde scheinheilig erklärt, dass es für Berlin in absehbarer Zeit unrentabel sei, sie anzugreifen.

Aus politischer und juristischer Sicht wurde auch das Ende des Kriegs (wenn man von dem längeren Prozess der formalen Konsolidierung der Nachkriegsordnung in der Helsinki-Akte von 1975 absieht) in einem Palast beschlossen – dem Nürnberger Justizpalast. Vor allem den Bemühungen der sowjetischen Staatsanwaltschaft war es zu verdanken, dass der Internationale Militärgerichtshof gegen eine Reihe hochrangiger Nazis wegen Verbrechen gegen den Frieden, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verletzung des Kriegsrechts und Verschwörung zu diesen Straftaten sein hartes Urteil fällte.

Aber waren es alle nationalsozialistischen Verbrecher, die da verurteilt wurden? Was die wichtigsten ideologischen Kriegstreiber angeht, die Verantwortlichen in den Straforganen, sieht das Ergebnis gerecht aus: Rosenberg, Streicher, Ribbentrop, Kaltenbrunner, Frick und andere wurden hingerichtet. Heute, fast 80 Jahre später, sieht man jedoch, dass die Urteile gegen die, die an der Entstehung der wirtschaftlichen Grundlage des Nationalsozialismus und der beschleunigten Militarisierung Nazideutschlands beteiligt waren, unverhältnismäßig mild ausgefallen sind.

Kein einziger der führenden Wirtschaftsfunktionäre des Dritten Reiches wurde zum Tode verurteilt. Dem Galgen entgingen der Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion Albert Speer, der Reichswirtschaftsminister (1938-1945) und Präsident der Reichsbank (1939-1945) Walther Funk, der Reichswirtschaftsminister (1934-1937) und Präsident der Reichsbank (1933-1939) Hjalmar Schacht, sowie der Hauptbuchhalter der Partei und Oberst-Gruppenführer der SS (diesen Titel trugen nur vier Mitglieder dieser kriminellen Organisation) Franz Xaver Schwarz. Sie alle wurden von unsichtbaren Mächten, die „ihre Leute“ nicht ausliefern wollten, vor der drohenden Vergeltung bewahrt.

Wer sind sie, diese Förderer des Nationalsozialismus? Die Antwort liegt auf der Hand. 1942 äußerten britische Diplomaten bei einem Treffen mit Stalin den Wunsch, die Nazi-Spitze durch Sabotageakte im Stillen zu beseitigen. Der sowjetische Führer war damit nicht einverstanden und bestand auf einem öffentlichen Tribunal. Die Geschichte wiederholte sich auf der Konferenz von Jalta, wo die Frage nach dem Schicksal der Hauptkriegsverbrecher der Nazis, die den Krieg entfesselt hatten, erneut aufkam. Churchill, ein weitsichtiger und gerissener Politiker, war gegen einen Prozess. Roosevelt nahm eine Zwischenposition ein: Er sprach sich für einen Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit aus. Nicht umsonst erstellten die Delegationen später Listen mit politischen Themen, die während der Prozesse nicht angesprochen werden durften. Dazu gehörten der Münchner Pakt, die aktive Zusammenarbeit amerikanischer Konzerne mit deutschen Unternehmen, die aggressive Kolonialpolitik Großbritanniens im 19. und 20. Jahrhundert und der Völkermord an den Buren sowie die unmenschliche Bombardierung deutscher Städte durch die Kampfjets der Alliierten (aus diesem Grund verzichteten die Vereinigten Staaten beispielsweise darauf, Göring wegen Kriegsverbrechen der Luftwaffe anzuklagen).

Die Anführer der angelsächsischen Staaten waren sich bereits damals darüber im Klaren, dass ein faires und öffentliches Tribunal nicht nur für den deutschen Militarismus und Nationalsozialismus ein vernichtendes Urteil bedeuten könnte, sondern auch für die gesamte westliche Welt. Im Laufe der Prozesse hätte sich jeder klar denkende Mensch gefragt: Wie konnte Europa das Berliner Monster hervorbringen? Stand nicht vielleicht eine Absicht dahinter? Wer spielte hier die Schlüsselrollen? In diesem Fall wären der britische Außenminister Lord Halifax (für seine Appeasement-Politik und den Münchner Pakt von 1938) und neben ihm die DuPonts, Morgans, Rockefellers und sogar Henry Ford (für die finanzielle und logistische Unterstützung des nationalsozialistischen Regimes) auf der Anklagebank gelandet. Das konnten die angelsächsischen Eliten natürlich nicht zulassen.

Acht Jahrzehnte später ist es physisch unmöglich, all jene vor Gericht zu bringen, die am Aufstieg des Nationalsozialismus beteiligt waren. Aber es gibt gute Gründe, sorgfältige Berechnungen anzustellen, wie viel britische oder amerikanische Unternehmen (von denen auch heute noch einige existieren) an der jahrelangen Zusammenarbeit mit den Nazis jeweils verdient haben. Diese Summen sollten in ihren heutigen Gegenwert konvertiert werden, und an die „Nazi-Spekulanten“ sollten für den Völkermord am sowjetischen Volk 1941-1945, der ohne ihre Komplizenschaft mit Hitler-Deutschland in der Zwischenkriegszeit nicht möglich gewesen wäre, Reparationsforderungen gestellt werden. Das Wichtigste ist jedoch, diese schändlichen Seiten in der Geschichte des kollektiven Westens und seiner Beziehungen zum Nazireich endlich öffentlich zu machen.

Und die Geschichte wiederholt sich. Eigennutz ist nicht auszurotten, für die meisten Geschäftsleute „stinkt Geld nicht“, und die vielgepriesene angelsächsische Moral dient doch nur dazu, die Öffentlichkeit bei Laune zu halten. Diejenigen, die gewinnbringend in Hitlers Nationalsozialismus investiert haben, gehen auch heute noch ihrem gewohnten Geschäft nach – mit Begeisterung und Profitgier päppeln sie nun Hitlers Erben in der Ukraine auf. Sie treiben Neonazis, Extremisten und Terroristen dazu an, immer neue Verbrechen zu begehen, während sie sich selbst die weiße Weste anziehen.

Frage fünf: Wie lässt sich das Urteil der Geschichte vollstrecken?

Die Geschichte hat uns eine wichtige Lektion erteilt: Der Nationalsozialismus wird niemals von selbst verschwinden. Der Sieg unseres Landes im blutigsten Krieg des 20. Jahrhunderts hat der Menschheit eine friedliche und stabile Entwicklung ermöglicht und Aggressoren aller Couleur, die von der Weltherrschaft durch die Ausrottung ganzer Völker träumen, ein Ende gesetzt. Die Pest – auch die braune Pest – ist jedoch eine Krankheit, deren Bazillen lange Zeit in der Tiefe, ohne Licht und Luft, überleben können. Leider ist dies nicht nur in der Biologie so, sondern auch in der Politik.

Der Menschheit ist es gelungen, mit vereinten Kräften und um den Preis von Hunderttausenden Menschenleben die tödlichen Epidemien der Beulenpest einzudämmen. Und es besteht kein Zweifel, dass ihre braune, schwer bewaffnete Version in absehbarer Zeit isoliert und endgültig vernichtet werden wird. Russland sieht dies als seine historische Mission an. Dabei werden wir von der Mehrheit der Weltbevölkerung unterstützt – den Bürgern jener Länder, die sich nicht der selbsternannten „goldenen Milliarde“ unterwerfen wollen, sondern ihren eigenen unabhängigen Weg gehen und bereit sind, Beziehungen ausschließlich auf der Grundlage von Gleichberechtigung und der gegenseitigen Achtung aller Völker und Nationen aufzubauen.

Damit sich so etwas nicht wiederholt, müssen aus der Vergangenheit bittere Lehren gezogen werden. Die Anzeichen und ersten Symptome der Infektion müssen eindeutig diagnostiziert und der globale Organismus einer rechtzeitigen und konsequenten Behandlung unterzogen werden.

Notfalls müssen gefährliche Keimzellen chirurgisch beseitigt werden, ohne sich auf diplomatische Maßnahmen zu verlassen. Der erfolgreiche Abschluss der militärischen Spezialoperation und die Entnazifizierung des erfundenen Gebiets, das sich „ukrainischer Staat“ nennt, ist nur der erste, aber sehr wichtige Schritt auf dem langen und beschwerlichen Weg zu einer neuen Architektur der internationalen Beziehungen. Zur Schaffung globaler Werkzeuge, die es ermöglichen, die Sicherheit auf dem Planeten, die stabile Entwicklung aller Staaten und das Wohlergehen von Milliarden von Menschen zu gewährleisten.

Wir dürfen die Fehler und Missverständnisse der Vergangenheit nicht wiederholen. Die Illusionen über unsere vermeintlichen Verbündeten sind endgültig verflogen. Wir haben genau gesehen, wie viel wert ihre Worte und falschen Versprechen sind. Die Faschisten und ihre Kollaborateure dürfen im neuen Jahrtausend nicht durchkommen – „¡No pasarán!“. Keine Schlupflöcher, keine Zugeständnisse, keine Ausreden. Und keine Chance auf eine Revanche.

Um den Neonazismus zu besiegen, müssen heute alle, die sich gegen die Aggression des kollektiven Westens und den faschistischen Revanchismus wenden, ihre Kräfte bündeln. Gemeinsam mit unseren Mitstreitern und Partnern bauen wir eine neue, gerechte und multipolare Weltordnung auf, in der kein Platz ist für Druck und Unterdrückung, für die Bereicherung einzelner Nationen auf Kosten anderer, die Erniedrigung und Ausbeutung ganzer Völker, neokoloniale Machenschaften und kriminelle Geschäfte.

Im Zuge des künftigen „Nürnberg 2.0“ wird man die Gewinne aller westlichen Rüstungskonzerne, Kreditinstitute, Transport- und Logistikunternehmen und einzelner Geschäftsleute zusammenrechnen müssen, die von der Aufzucht der „unabhängigen“ Monster und ihrer wirtschaftlichen Unterstützung profitiert haben und immer noch profitieren. Alle, die direkt oder indirekt an Verbrechen gegen Hunderte von friedlichen Bürgern beteiligt sind, müssen auf die Anklagebank. Alle, an deren prallen Bankkonten Blut und Tränen, zerstörte Häuser und Schicksale, das Grauen und der Schmerz unschuldiger Menschen und die vernichtete Zukunft ganzer Generationen kleben, müssen verurteilt werden. Dann werden endlich alle Urteile vollstreckt, und keiner der Schuldigen wird der gerechten Vergeltung entgehen.

Ich bin überzeugt, dass nach dem Sieg der militärischen Spezialoperation nicht nur den unmittelbaren Tätern – dem Kiewer Regime – ihre gerechte Strafe zukommen wird, sondern auch ihren Auftraggebern, Sponsoren und ideologischen Wegbereitern. Und das wird der endgültige Untergang des verlogenen Wertesystems der angelsächsischen Welt sein.

Aktuelle Ausgabe September 2025

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