Warum der öffentliche Verkehr nicht funktioniert
Bild: Straßenbahnen im Betriebshof in Düsseldorf-Lierenfeld, 27.3.2023 (IMAGO / Kirchner-Media)
Deutschland hat zu viele Autos, die vor allem in den Städten die Beweglichkeit einschränken: Auf rund 54 Millionen Menschen mit Führerschein kommen mehr als 72 Mio. Kraftfahrzeuge. Um in den Ballungsräumen die Lebensqualität zu erhöhen und die Resilienz gegenüber Krisen zu verbessern, muss sich die Zahl der Autos verringern. Mit einer geringen Betriebszeit von rund durchschnittlich unter einer Stunde am Tag und einem Besetzungsgrad von knapp über einer Person benötigt dieses Verkehrsmittel rund 80 Prozent der verfügbaren Verkehrsflächen.
Es ist absehbar, dass Städte diese Privilegien für das Auto, die als Gewohnheit fest im kollektiven Bewusstsein einbetoniert sind, in Zukunft nicht weiter erhalten können. Für andere Verkehrsmittel fehlt im wahrsten Sinne des Wortes der Raum, zudem ist die Versiegelung der öffentlichen Flächen zu hoch, und vor allen Dingen hat der Wirtschaftsverkehr keinen Platz. Darunter leidet die Vitalität der Städte. Allerdings sind auf Bundesebene noch immer alle Privilegien in Kraft, die dem Auto seine Attraktivität verschaffen und seine Vorherrschaft zementieren: Die Straßenverkehrsordnung sichert dem Auto die Vorfahrt, die Straßengesetze der Länder garantieren freies Parken auf öffentlichen Flächen, die Steuergesetzgebung ermöglicht für privat genutzte Dienstwagen hohe Steuervorteile, die Dieselsubventionierung sorgt für günstige Preise, und der Bundesverkehrswegeplan hält weiterhin am Slogan der 1950er Jahre fest: „Was fehlt, sind Straßen.“
Diese seit vielen Jahren existierenden Förderprogramme gelten als völlig normal und werden politisch nicht hinterfragt. Vielmehr erfolgt der Verweis, dass auch der öffentliche Fern- und Nahverkehr neuerdings mehr Geld aus den öffentlichen Kassen bekommt. Doch von der Idee, dass Busse und Bahnen in der klassischen Form eines nach Fahrplan getakteten und liniengeführten Betriebes das Rückgrat einer solchen Verkehrswende sein könnten, muss man sich verabschieden. Denn man erkennt bei der Analyse der öffentlichen Verkehrsangebote rasch, dass Busse und Bahnen nur noch unter bestimmten Bedingungen und auch nur in hochverdichteten Großstädten relevante Mengeneffekte erzielen. Der Städtebau der Nachkriegszeit, der die vorgefundene Stadtstruktur auseinanderbrach, lockerte und funktional trennte, hatte für den öffentlichen Nahverkehr erhebliche Konsequenzen, ging damit doch die Konzentration der Verkehrsströme verloren. Mit der Pluralisierung der orts- und zeitflexiblen Arbeitsformen, die faktisch das Ende des Standardarbeitszeitmodells bedeuten, verlieren Busse und Bahnen noch weiter an Bedeutung. Sehr viele Menschen gleichzeitig von A nach B zu transportieren, wird in einer modernen Gesellschaft mehr zur Ausnahme als zur Regel.
Selbst in Berlin mit dem wohl am besten ausgebauten öffentlichen Angebot der westlichen Welt, deckt dieses ausdifferenzierte und flächendeckend funktionierende Gesamtsystem nur rund 26 Prozent aller Wege ab. In ganz Deutschland stagniert dessen Marktanteil seit Jahren und liegt derzeit bei durchschnittlich 18 Prozent. In Städten mit unter 250 000 Einwohnern fällt der Anteil des öffentlichen Verkehrs drastisch ab und liegt bei etwas über zehn Prozent. In ländlichen Räumen sind es nur fünf Prozent, wobei der Anteil der Passagiere, die keine Fahrerlaubnis für Autos besitzen, bei über 95 Prozent liegt. Der Schatten der Autogesellschaft bleibt immer noch sehr groß.[1]
Hinzu kommt, dass in Deutschland der Nahverkehr unter dem politischen Programm der „Daseinsvorsorge“ läuft. Der Begriff stammt von Ernst Forsthoff aus dem Jahr 1938 und impliziert eine starke staatliche Leistungstiefe. Obwohl die Umstände mittlerweile andere sind, halten sich der Begriff und der damit legitimierte Anspruch des Staates, für den öffentlichen Verkehr Sorge zu tragen, weiterhin. Das bedeutet: Der Staat kümmert sich um eine ausreichende Bedienung mit Bussen und Bahnen und finanziert den Löwenanteil der Kosten. Allerdings ist nicht festgelegt, was „ausreichend“ bedeutet. Es gibt keinen gesetzlichen Anspruch auf eine definierte Leistungsmenge oder Leistungsqualität.[2] Die Menschen sind davon abhängig, was sich Länder und Kommunen den öffentlichen Nahverkehr kosten lassen wollen. Der Bund stellt dabei den größten Teil der Gelder, die über die Länder an die Kommunen ausgezahlt und mit kommunalen Eigenmitteln ergänzt werden.
Diese Organisations- und Finanzierungsstruktur entstand im Rahmen der Bahnreform von 1994. Den Ländern konnte damals die Zustimmung zur Fusion von Deutscher Bundesbahn und Reichsbahn nur abgerungen werden, weil die Landesregierungen damit für den Schienenpersonennahverkehr (SPNV) alleine verantwortlich wurden und der Bund dafür die sogenannten Regionalisierungsmittel bereitstellt. Aktuell sind dies immerhin rund 13 Mrd. Euro pro Jahr. Die Idee war, die Organisation des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) sowie des SPNV zu regionalisieren, um den Ländern und Kommunen ein hohes Maß an Eigenständigkeit zu gewährleisten, weil bei den Ländern eine höhere Kompetenz vermutet wurde als in der zentralen Struktur eines Bahnkonzerns. Die Länder sind seitdem völlig frei, wie sie das Geld ausgeben, eine Wirkungskontrolle gibt es nicht.
Entstanden ist so ein sehr dichtes, aber auch völlig intransparentes Geflecht von Finanzierungs- und Zuständigkeitsstrukturen, denn die Länder reichen das Geld vom Bund ja nicht einfach an die Verkehrsunternehmen weiter, sondern haben in den vergangenen Jahrzehnten eine sehr aufwendige Verwaltung für die Vergabe der Mittel aufgebaut. Dabei sind mehr als 70 Einrichtungen in Form von Zweckverbänden und Verkehrsverbünden entstanden, die für die Verteilung und insbesondere für die sogenannte Bestellung der Verkehrsleistungen zuständig sind. Damit ist gemeint, dass diese Verwaltungseinheiten genau definieren, was, wann, wo zu welchen Bedingungen an Bussen und Zügen in welchen Takten und sogar in welchen Farben und Emblemen fährt. Diese Leistungen werden in aller Regel in einem Wettbewerbsverfahren ausgeschrieben – mit dem Ergebnis, dass die jeweils siegreichen Verkehrsunternehmen an dem einmal definierten Leistungsprofil über die gesamte Laufzeit des Vertrages nichts Wesentliches mehr ändern dürfen, weil sonst der unterlegene Wettbewerber auf dem Klageweg die Neuausschreibung verlangen könnte. Damit sind die Grundzüge des Angebots für die ausgeschriebenen Linien für zehn bis 15 Jahre eingefroren. Das Verkehrsunternehmen[3] wird praktisch daran gehindert, sich etwas Neues auszudenken, um vielleicht mehr Fahrgäste anzulocken.
Eine verpasste Chance: Das Neun-Euro-Ticket
Es braucht nicht viel Fantasie, um festzustellen, dass mit dieser politischen Konstruktion kein dynamisches Gegengewicht zum Auto entstehen kann. Der Wettbewerb um die öffentlichen Mittel für den Betrieb dreht sich nur um die Kosten. Ideen für innovative Angebote hingegen lassen sich in den Ausschreibungen nur schlecht messen und in der Regel auch nicht bewerten. Kosten sind demgegenüber einfach zu vergleichen, am besten dann, wenn die angebotenen Leistungen vom Grundsatz her alle gleich sind. Damit geht diesem System strukturell jegliche Dynamik ab. Die Unternehmen werden zu Lohnkutschern heruntergestuft, nur die Behörden oder behördenähnlichen Einrichtungen legen fest, wie ein attraktives Angebot aussieht. Und dies folgt immer derselben Regel: Männer, die selbst alle Auto fahren, definieren mit Geld, das ihnen nicht gehört, Angebote und Tarife, die keiner versteht – was aber auch nicht auffällt, weil sie kaum einer nutzt. Wie hoch dabei der Kostendeckungsgrad ist, also welchen Anteil die Einnahmen der Kunden an den Gesamtausgaben haben, darüber gibt es keine verlässlichen Zahlen. Branchenintern gilt, dass die Gesamtkosten in etwa zu 70 Prozent öffentlich finanziert werden. Selbst der Bundestag, der die Gelder ja schließlich bewilligt, fährt hier im Blindflug.[4]
Wie überbürokratisiert, statisch und ohne Produktstolz die Branche agiert und weshalb sie daher nur wenig zukunftsfähig ist, zeigt eindrucksvoll die Geschichte des Neun-Euro-Tickets. Der Impuls hierzu kam bezeichnenderweise nicht aus der Branche, sondern aus dem politischen Raum. Im Jahr 2022, nach dem dramatischen Anstieg der Energiepreise aufgrund des Ukrainekriegs, suchte die Ampelkoalition nach Möglichkeiten, die Verbraucher zu entlasten. Nachdem den Autofahrern bereits eine Spritpreisgrenze zugestanden wurde, wollte man auch für ÖPNV-Nutzer einen finanziellen Ausgleich schaffen. Es wurde die Idee geboren, den gesamten öffentlichen Nahverkehr – ÖPNV und SPNV – für drei Monate bundesweit zu einem Einheitspreis von neun Euro anzubieten. Der Bund erklärte sich bereit, die verminderten Fahrgeldeinnahmen der Länder und Kommunen auszugleichen.
Was folgte, war ein beispielloses Experiment, das der Branche, den Kunden und ganz Deutschland völlig neue Perspektiven eröffnete. Der ÖPNV, der jahrzehntelang als schwerfällig und unflexibel galt, wurde von Juni bis August 2022 zu einem überraschenden Erfolgsmodell. Rund 60 Mio. Tickets wurden verkauft, eine Euphoriewelle setzte ein. Menschen, die jahrelang nicht mehr Zug oder Bus gefahren waren, nutzten das Ticket. Familien aus städtischen Randgebieten verließen erstmals die Stadtgrenzen und lernten angrenzende Regionen kennen. Selbst Menschen mit mehreren Autos entschieden sich, den öffentlichen Verkehr zu nutzen. Es gab sogar Käufer, die das Ticket erwarben, ohne ein einziges Mal damit zu fahren. Die Begeisterung war überraschend groß. Zudem hatte es die Branche tatsächlich geschafft, die technischen Voraussetzungen zu schaffen, sodass das Ticket bundesweit von allen Verkehrsunternehmen anerkannt wurde. Die Züge waren voll, insbesondere zu Spitzenzeiten, und doch funktionierte das System, weil die meisten Kunden bereit waren, flexibel darauf zu reagieren. Bei einem Preis von neun Euro waren alle friedlich gestimmt.
Doch statt diese Gelegenheit zu nutzen und zu zeigen, dass man in der Lage ist, den öffentlichen Verkehr dynamisch zu gestalten, präsentierte sich die Branche passiv und klagend. Unternehmensvertreter betonten, dass ein solches Angebot nur vertretbar wäre, wenn erst ausreichend in die Infrastruktur investiert werde. Sie forderten mehr Züge, mehr Busse, ein größeres Schienennetz, mehr Personal und überhaupt mehr Geld. Zugleich gestanden sie ein, dass solche Maßnahmen erst in 15 bis 20 Jahren wirksam sein würden.
Selbst als Verkehrsminister Volker Wissing signalisierte, dass der Erfolg des Tickets dafür genutzt werden könnte, um für eine Verlängerung noch mehr Bundesgeld einzusetzen, verlangte die Branche dauerhaft mehr Geld für den Erhalt des Systems. Dabei hatten sich in den drei Monaten zumindest Anzeichen verdichtet, dass dort, wo ein großes Angebot an Bussen und Bahnen vorhanden ist – wie in Hamburg, Berlin oder München –, die Menschen vom Auto auf den öffentlichen Verkehr umsteigen. Für eine seriöse Messung waren diese drei Monate freilich zu kurz. Im ländlichen Raum dagegen, das hatten die drei Monate tatsächlich sehr klar gezeigt, war ein Umstieg auf Busse nicht geglückt: Wenn kaum etwas fährt, dann hilft auch ein Neun-Euro-Ticket nicht.
Bund und Länder sowie die Branche ließen die drei Monate jedoch einfach auslaufen und haben es bis heute nicht geschafft, die Grundlagenarbeiten zur Verstetigung solcher Angebote zu leisten und beispielsweise die Einnahmenaufteilung neu zu regeln. Widerwillig und ohne Begeisterung konnte man sich dann auf das Deutschlandticket zum Einstiegspreis von 49 Euro einigen, verkündete aber gleichzeitig, dass dieser Preis nicht zu halten sei und man eigentlich ganz andere Prioritäten zu setzen habe.
Erst im Mai 2023 startete mit großer Verspätung das neue Angebot. Der Schwung war weg, zumal auch die 49 Euro weder Fisch noch Fleisch waren. Die schon vorhandenen Stammkunden freuten sich, weil sie statt durchschnittlich 120 Euro nur noch einen Bruchteil davon zu zahlen hatten, dafür aber ein Angebot für ganz Deutschland bekamen. Für die gelegentlichen Kunden, vor allem diejenigen, die über eigene Autos verfügten, waren die 49 Euro schlicht zu teuer oder die Höhe des Preises bot keinen Anreiz, das Auto einmal stehen zu lassen. Im Ergebnis fahren die beglückten Stammkunden jetzt häufiger, während die Autofahrer in ihren Fahrzeugen sitzen bleiben.
Die Rolle des Staates neu denken
Die Branche hat es aber nicht nur verpasst, politische Impulse aufzunehmen, sondern seit dem erstmaligen Verkauf des iPhones im Jahr 2007 ist durch die Digitalisierung eine völlig neue Situation entstanden: Mit dem mobilen Internet werden auch die Spielregeln im Verkehr neu definiert. Vor die physische Welt der Verkehrsmittel mit all ihren unterschiedlichen Zugängen und Tarifen schiebt sich die Welt der Plattformen, die die Regeln dieser alten Welt völlig verändern. Plötzlich sind die Kunden auch im öffentlichen Verkehr nicht mehr kryptischen Benutzungsanweisungen ausgeliefert, sondern sitzen mit dem Smartphone selbst im Driver Seat und organisieren, ganz unabhängig von der Betreiberlogik, ihre eigene Benutzerwelt: Busse und Bahnen werden zum Individualverkehr. Die Reiseplanung erfolgt vollkommen in Eigenregie. Der öffentliche Verkehr kann personalisiert und mit anderen Verkehrsangeboten digital zu einer Dienstleistung verknüpft werden.
Aber die Branche sieht keinen Anlass, die Digitalisierung aktiv für ihre Zwecke zu nutzen. Eine bundesweite App, die alle Infos, Zugänge und Abrechnungsvorgänge bündelt, gibt es bis heute nicht. Mehr als 200 sind es gerade, ständig werden es mehr und jede funktioniert anders. Das von der Deutschen Bahn eingeführte System „Touch & Travel“, das ein einfaches Ein- und Auschecken ermöglichte, beendete der Konzern schon 2016, obwohl es mehrere 100 000 Kunden genutzt hatten und das Angebot über vier Jahre erfolgreich funktionierte. Man habe das Angebot einfach selbst nicht verstanden, hieß es zur Begründung.
Es fehlt der Branche an der Motivation, mit digitalen Medien neue Chancen für den öffentlichen Verkehr zu erschließen und dadurch Kunden zurückzuerobern – und dem Auto eine alltagstaugliche Alternative entgegenzusetzen. Warum auch? Die erbrachten Leistungen werden finanziert, unabhängig davon, wie viele Menschen tatsächlich mitfahren. Leistungsorientierte Bezahlsysteme kennt die Branche nicht, faktisch sind alle Verträge sogenannte Bruttoverträge. Das heißt, die einmal kalkulierte Summe wird überwiesen – egal, wie viele Menschen im Bus oder in der Bahn sitzen.
Das Neun-Euro-Ticket hätte ein Beispiel dafür sein können, wie selbst die aus der Zeit gefallene Ordnung des ÖPNV neu zu beleben, zu emotionalisieren und wie auch mit der Digitalisierung nachhaltig Begeisterung zu wecken sein könnte. Stattdessen wurde es zu einem Beispiel dafür, dass die bestehenden Besteller-Ersteller-Strukturen Neues schlichtweg nicht zulassen.
Dabei hätte man mit diesem „New Deal“ – ein bundesweit einheitlicher Preis für (fast) alle öffentlichen Verkehrsmittel – eine völlig neue Angebotsqualität erzeugen können. Auch mit einem etwas angehobenen Preis wäre die Resonanz weiterhin sehr hoch geblieben, und man hätte für die Preisreduktion als Branche einen höheren Betrag vom Bund fordern müssen, um genau dieses Ticket zu finanzieren. Stattdessen wird die Branche nicht müde, mehr Geld für sich selbst zu fordern, um ihre innovationsuntauglichen Strukturen weiter aufrechterhalten zu können. Selbst wenn einige Verbände mittlerweile das geschaffene Bürokratiemonster als nicht mehr zeitgemäß bewerten, bleibt es bei der existierenden Struktur: mehr als 70 Verbünde und Zweckverbände, die einen überbürokratisierten Ausschreibewettbewerb organisieren, die Löhne des Fahrpersonals niedrig halten und Angebotsstrukturen auf Jahrzehnte hinaus verfestigen. Und dieses Geflecht braucht immer mehr Geld.[5] Auf die Idee, dass zur Gegenfinanzierung eines attraktiven Tickets die Privilegien des Autos gestrichen werden könnten, ist man in der Branche bisher nicht im Traum gekommen. Warum auch? Man fährt ja selbst Auto.
Im Ergebnis zeigt sich am Beispiel des öffentlichen Nahverkehrs, dass Form und Inhalt des staatlichen Tuns neu überdacht werden sollten. Seit den 1930er Jahren haben die verschiedenen deutschen Staaten in der Verkehrspolitik stets auf das Auto gesetzt. Bereits vor gut 90 Jahren galt der Anspruch, dass jeder Haushalt ein eigenes Auto besitzen sollte, und es wurden die rechtlichen Voraussetzungen und finanziellen Unterstützungen geschaffen, damit das Auto das Hauptverkehrsmittel werden sollte.
Wenn sich der Nahverkehr aus diesem Schatten herausbewegen soll, dann reicht es nicht, die bisherigen Strukturen bloß mit mehr Geld zu versehen. Diese haben die Funktion, dass die Entfernungspauschale, das Dienstwagenprivileg, die Dieselsubventionierung und das Verschenken des öffentlichen Raumes für private Autos nicht angegriffen werden.
Es gilt zudem, darüber nachzudenken, ob sich die staatlichen Aufgaben mehr auf die Gewährleistung von leistungsfähigen Angeboten konzentrieren sollten. Mittlerweile bieten die technischen Möglichkeiten über digitale Plattformen neue Optionen, die den Staat nicht als Leistungserbringer, sondern als Kontroll- und Überwachungsorgan brauchen. Es kann nicht länger Aufgabe des Staates sein, eine aufwendige Bürokratie zu alimentieren, die keine kundengerechten Angebote, sondern in erster Linie ein Interesse an sich selbst entwickelt. Aber so kritisch der Zustand des öffentlichen Verkehrs auch ist, als Alibi zur Fortsetzung der ungehemmten Autoförderung tut er allemal gute Dienste.
[1] Robert Follmer u.a., Mit Homeoffice und Deutschlandticket in die Mobilitätszukunft? Ergebnisse aus Beobachtungen per repräsentativer Befragung. Mobilitätsreport 9, Bonn 2024.
[2] Martin Gegner, Mobilität und Daseinsvorsorge zwischen Staat und Markt, in: Weert Canzler u.a. (Hg.), Handbuch Mobilität und Gesellschaft, Wiesbaden 2024.
[3] Beim öffentlichen Personennahverkehr handelt es sich zu zwei Dritteln um kommunale Eigenbetriebe, beim Schienenpersonennahverkehr sind es neben der Deutschen Bahn AG v.a. Tochterunternehmen ausländischer Staatsbahnen oder Unternehmen im Besitz von Private-Equity-Firmen.
[4] BT-Drucksache 19/3395; BT-Drucksache 19/23670; BT-Drucksache 20/672; BT-Drucksache 19/7618; Kleine Anfrage zum Administrativen Kostenaufwand der Länder bei der Verwendung von Regionalisierungsmitteln, fdpbt.de, 25.1.2019.
[5] Andreas Knie, Wo kommen bloß die vielen Autos her, Berlin 2025.