Bild: Kameruns Präsident Paul Biya, 28.7.2023 (IMAGO / SNA)
„Das Beste kommt noch“, heißt es in der Pressemitteilung von Kameruns Präsident Paul Biya, mit der dieser im Juli seine erneute Kandidatur zu den Wahlen am kommenden 12. Oktober ankündigte. Nach 43 Jahren an der Macht will Biya – mit 92 Jahren der älteste Präsident der Welt – für weitere sieben Jahre das zentralafrikanische Land regieren. Generationen von Kamerunerinnen und Kamerunern kennen ihr Land nur unter seiner Regentschaft.
„Wir sind am Arsch“, titelte die regierungskritische Zeitung „Le Messager“ am Tag nach der Bekanntgabe der Kandidatur. Denn in einem Land, das unter wirtschaftlicher Stagnation, Terror und Repression leidet, wirkt der Satz nach mehr als vier Jahrzehnten Biya-Herrschaft fast zynisch. Die zarten Protestversuche, die es als Reaktion auf die Ankündigung gab, wurden mit Tränengas im Keim erstickt. Ansonsten blieb es ruhig. Selbst als im August der bekannteste und aussichtsreichste Oppositionskandidat, Maurice Kamto von der Partei Manidem, unter dubiosen Umständen von der Wahl ausgeschlossen wurde, blieben die Reaktionen aus. Vielleicht wirkte der Aufruf von Manidem, friedlich zu bleiben, beschwichtigend. Doch viel eher ist die Ruhe wohl einer „vererbten Apathie“ geschuldet, wie es ein Gesprächspartner im Interview ausdrückte.[1] Jahrzehnte autokratischer Herrschaft haben den Glauben der Kamerunerinnen und Kameruner an demokratische Mitwirkung schwinden lassen. Statt Empörung dominiert bei vielen Desillusionierung. Politik gilt als Feld, in dem die Mächtigen machen, was sie wollen.
Als kurz darauf gleich drei Politiker aus den Reihen der Regierungspartei Rassemblement Démocratique du Peuple Camerounais (RDPC) ankündigten, gegen Paul Biya zu kandidieren, glich dies daher einem politischen Erdbeben. Schon Monate vor Biyas Ankündigung hatte der Jurist, Stadtrat und RDPC-Politiker Léon Theiller Onana dessen Legitimität immer wieder infrage gestellt. Als Biya schließlich seine Ambitionen öffentlich machte, reichte Onana postwendend ebenfalls seine Kandidatur ein. Biya habe keinen RDPC-Parteitag einberufen und sei somit als Kandidat nicht legitimiert, argumentierte er – ein Novum in der Geschichte der Regierungspartei.
Dass die nationale Wahlbehörde Elecam Onana schlussendlich die Kandidatur verweigerte, überrascht in einem autoritären Regime wie Kamerun nicht. Doch neben Onana und Biya reichten weitere 79 Personen ihre Kandidatur bei der Wahlbehörde ein – zugelassen wurden am Ende zwölf. Die Flut an Bewerbungen zeigt, dass Biyas sonst so unangefochtene Position wankt – bei den Wahlen 2018 hatte es gerade einmal 28 Bewerbungen gegeben.
Wankt der Langzeitherrscher?
So legten auch Arbeitsminister Bakary Tchirouma und der Tourismusminister Bello Bouba Maigari ihre Ämter nieder, um ihren Hut in den Ring zu werfen. Beide sind Vorsitzende von Parteien, die traditionell mit Biyas RDPC verbündet waren. In der Vergangenheit stellten sie sich im Wahlkampf hinter den Präsidenten – und verschafften ihm so in ihren Heimatregionen verlässlich Rückhalt. Dank dieser Mobilisierung erzielte die RDPC dort regelmäßig um die 40 Prozent der Stimmen.
Die Politiker begründeten ihre Abwendung von der RDPC nun mit der fehlenden Leitung des Präsidenten. Tatsächlich hat dieser das letzte Mal 2018 eine Ministerratssitzung einberufen. Der letzte ordentliche Parteitag der RDPC fand im September 2011 statt. Seither sind Jahre des politischen und wirtschaftlichen Stillstands vergangen. Und Biya glänzt im politischen Alltagsgeschehen allenfalls durch Abwesenheit.
Der Bruch des Bündnisses im Norden zeigt, wie groß die Unzufriedenheit mittlerweile selbst in Kreisen ist, die Biya jahrzehntelang loyal unterstützt haben. Und dennoch gehen viele Beobachter davon aus, dass der Präsident im Oktober wiedergewählt wird – weniger aus Begeisterung für seine Politik, sondern vielmehr, weil das über Jahre entstandene Netz gegenseitiger Abhängigkeiten so dicht ist, dass an den entscheidenden Stellen kein Interesse an echter Veränderung besteht. Hinzu kommt, dass die Opposition zerstritten ist. Während Biya sich als sichere Wahl inszeniert, kämpft die Opposition noch immer damit, einen gemeinsamen Kandidaten zu präsentieren.
Statt politischer Nähe sind es vor allem interne Rivalitäten, persönliche Eitelkeiten, Fragen nach Geld und dem größten Netzwerk, die entscheidend sind für den Versuch, eine Alternative zu Biya aufzustellen. Dass dafür nicht mehr viel Zeit bleibt, spielt dem Langzeitregenten in die Hände. Denn während dessen Partei das Land in aller Ruhe auf eine achte Amtszeit des Präsidenten vorbereitet, ist die Opposition immer noch mit internen Verhandlungen beschäftigt.
Biyas Propaganda zeichnet seit Jahren das Bild, als gäbe es für Kamerun keine Alternative zu ihm. Die Botschaft verfängt zum Teil noch immer – auch wenn die Unzufriedenheit vieler Kamerunerinnen und Kameruner groß ist. Marode Straßen, eine fragile Sicherheitslage, mangelnde Schulbildung und eine hohe Jugendarbeitslosigkeit prägen das Land.
Obwohl die drei nördlichen Regionen Adamaoua, Norden und Hoher Norden zu den ärmsten Kameruns zählen, heimste Biya hier bisher regelmäßig den Löwenanteil seiner Stimmen ein. Allerdings bröckelt mittlerweile auch in diesen sonst sicheren Stimmenhochburgen die Loyalität zum Präsidenten, zu stiefmütterlich hat dieser sie behandelt. Gut möglich, dass Biya in diesem Jahr eines seiner schlechtesten Ergebnisse einfährt, doch gesichert ist das keineswegs. Rund 15 Millionen der insgesamt 30 Millionen Einwohner sind stimmberechtigt. Doch nur acht Millionen sind registriert und im Besitz einer Wahlkarte. Wie viele davon am Wahltag tatsächlich den Weg zur Urne finden, ist offen.
Über eine Million Vertriebene
Während die Regierung um den Eindruck von Stabilität bemüht ist, erlebt Kamerun eine massive Vertreibungskrise – laut dem Norwegian Refugee Council eine der am stärksten vernachlässigten weltweit.
Drei Konflikte treiben diese seit über einem Jahrzehnt an: die anhaltende Instabilität an der Grenze zur Zentralafrikanischen Republik, der blutige Konflikt zwischen dem französischsprachigen Zentralstaat und englischsprachigen Regionen im Nordwesten und Südwesten sowie die Gewalt der islamistischen Gruppe Boko Haram im Norden. Tausende Menschen kamen dadurch bereits ums Leben, über eine Million wurden innerhalb des Landes vertrieben. Vor allem im Grenzgebiet zu Nigeria terrorisiert die islamistische Miliz Dörfer, verhindert Handel und erschwert der Bevölkerung den Alltag. Nachdem die Übergriffe von Boko Haram eine Zeit lang abgeebbt waren, hat sich die Zahl der Lösegeld-Entführungen 2024 im Vergleich zum Vorjahr laut dem Konfliktbeobachtungsinstitut Acled mehr als verdoppelt.
Immer wieder ist die Bevölkerung in den nördlichen Regionen Angriffen ausgesetzt – teils durch die islamistische Terrorgruppe, teils durch Banditen. Die Methoden unterscheiden sich dabei kaum voneinander: Felder werden geplündert, Vieh gestohlen und Menschen entführt, um sie gegen hohe Lösegeldsummen freikaufen zu lassen. Für Boko Haram geht es dabei längst nicht mehr nur um Ideologie oder Einfluss, sondern vor allem um die Finanzierung der eigenen Aktivitäten.
Die chronische Armut der Bauern
Trotz dieser großen Herausforderungen bildet die Region das landwirtschaftliche Kraftzentrum Kameruns. Rund 115 000 Kilogramm Baumwolle wurden hier in der Saison 2024/25 nach Angaben der kamerunischen Baumwollgesellschaft Sodecoton produziert – der Großteil von Kameruns Baumwollproduktion. Das Land gehört damit zu den afrikanischen Staaten mit den höchsten Ernteerträgen.
Doch zu Wohlstand hat das dem Land nicht verholfen. Das durchschnittliche Einkommen einer bäuerlichen Familie liegt bei kaum der Hälfte dessen, was für ein menschenwürdiges Leben notwendig wäre. Zu diesem Schluss kam kürzlich eine Studie der kamerunischen Baumwollgesellschaft Sodecoton, der Afriland First Bank und des kamerunischen Rechercheinstituts Iresco.[2] 424 US-Dollar monatlich wären nötig, um einer neunköpfigen Familie im Norden Kameruns ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Tatsächlich aber liegt das durchschnittliche Haushaltseinkommen bei nur etwa der Hälfte, in manchen Fällen sogar gerade einmal bei einem Viertel dessen.
Um die Situation der Baumwollbauern zu verbessern, arbeitet Sodecoton seit Jahren mit der deutschen Initiative „Cotton made in Africa“ (CmiA) zusammen. Mit dem CmiA-Standard geht die Verpflichtung auf bestimmte soziale, ökologische und ökonomische Standards einher. Auch eine faire Entlohnung gehört zu den Prinzipien. Um das zu erreichen, zahlen Marken wie Aldi Süd, Ikea oder Tchibo Lizenzgebühren für zertifizierte Baumwolle. Diese beträgt zurzeit allerdings weniger als ein Cent pro Kleidungsstück. Es ist ein Fortschritt, wenn auch nur ein kleiner, denn eigentlich wären laut der Studie mindestens fünf Cent pro Kleidungsstück nötig, um vor Ort tatsächlich etwas zu bewegen. Doch dazu fehlt bislang der politische Druck auf die großen Abnehmer. Dass überhaupt eine Erhebung dazu stattgefunden hat, ist aber immerhin ein Anfang.
Die chronische Armut im Land – laut Schätzungen leben etwa 40 Prozent der Kamerunerinnen und Kameruner in Armut, rund 3,4 Millionen Menschen sind nach UN-Angaben auf humanitäre Hilfe angewiesen – hat allerdings auch noch andere Gründe. Neben der Unsicherheit und der mangelnden staatlichen Unterstützung sind auch die klimatischen Bedingungen herausfordernd. Der Norden Kameruns liegt am Rande der Sahelzone, eine der am stärksten von der globalen Erwärmung betroffenen Regionen.[3] Unregelmäßige Regenzeiten, lange Trockenperioden und Bodenerosion erschweren den Anbau. Die Baumwolle ist zwar sonnenhungrig und robust, dennoch ist auch sie vom Regen abhängig. Fällt er zu spät oder zu unregelmäßig, gehen ganze Aussaaten verloren. Hinzu kommen neue Schädlinge wie die Jassiden, eine ursprünglich aus Südostasien stammende Heuschreckenart, die sich seit einigen Jahren in Westafrika ausbreitet und massive Schäden anrichtet. Sie bedroht nicht nur Baumwolle, sondern auch Nahrungsmittel wie Okra oder Auberginen. Für die Bauern des Nordens ist das ein Desaster. Gleichzeitig konkurrieren die kleinen Betriebe der Region mit hochmechanisierten Großfarmen in Brasilien, den USA, Australien oder China.
Während durch die große Konkurrenz die Preise für Baumwolle auf dem Weltmarkt sinken, verteuern sich die Produktionskosten etwa für Saatgut, Dünger und Pestizide kontinuierlich. In Zeiten von Überproduktion aber drückt das den Preis, während die Wertschöpfung größtenteils außerhalb der Anbaugebiete stattfindet. Für die Bauern bedeutet das, dass sich ihr Einsatz immer seltener in steigenden Einnahmen niederschlägt.
Systemisches Staatsversagen
Hinzu kommt, dass sich Präsident Biyas über vier Jahrzehnte währende autoritäre Herrschaft auch auf den Agrarsektor auswirkt. Biyas diktatorisches Regime zeichnet sich vor allem durch eines aus – Stillstand. Politische Reformen verlaufen im Sand, Entscheidungen ziehen sich über Jahre hin, und die staatliche Verwaltung blockiert notwendige Anpassungen. Auch neue Verfahren zur Schädlingsbekämpfung bleiben in bürokratischen Hürden stecken, berichten Bauern aus dem Norden.
Es ist ein Vakuum, in dem lokale Gruppen Aufgaben übernehmen, die sonst eigentlich in der staatlichen Verantwortung lägen. Bauern gründen Kooperativen, um gemeinsam Saatgut oder Maschinen zu kaufen. Frauenverbände bauen Spargemeinschaften auf, die Kredite ersetzen, und Eltern übernehmen Lehrerhonorare, weil der Staat zu wenig Personal in die ländlichen Regionen entsendet. Während diese Initiativen einerseits von einer bemerkenswerten Widerstandskraft der Menschen zeugen, sind sie zugleich Indikatoren eines systemischen Staatsversagens. Da der Staat nicht liefert, werden die Dinge eben selbst in die Hand genommen.
Am Ende ist die Resilienz der Menschen der größte Motor und zugleich ein Hoffnungsschimmer für das Land. Sie machen weiter, organisieren sich, sichern Felder gegen Erosion oder bauen eigene Finanzstrukturen auf. An diesen von unten gewachsenen Initiativen werden auch die Wahlen im Oktober nichts ändern. Doch die Kraft der Bauern, Frauenverbände und lokalen Initiativen hat Grenzen. Die Studie von Sodecoton, Afriland First Bank und Iresco zeigt erstmals anhand von Zahlen, wie groß die Investitionslücke ist. Es bedürfe 15 Mio. Euro, um die Produktivität und den Zugang der Bauern zu Finanzdienstleistungen zu verbessern und eine Diversifizierung ihrer Produktion zu erreichen. Das zu wissen, ist ein Anfang, aber noch keine Antwort auf die strukturelle Schieflage.
Langfristig bedarf es einer Neujustierung auch auf globaler Ebene: verbindliche Mindestpreise, mehr Mitsprache für die Produzentenländer bei der Preisbildung und die Förderung nachhaltiger Anbaumethoden. Erst wenn diese strukturellen Fragen angegangen werden, kann die Widerstandskraft der Baumwollbauern über das bloße Überleben hinaus in Zukunftsaussichten münden – und langfristig auch dem Rest des Landes zu mehr Wohlstand verhelfen. Solange aber Biya an der Macht ist, bleibt für die Bauern vorerst alles beim Alten – „das Beste“ kommt für die Kamerunerinnen und Kameruner wohl allenfalls danach.
[1] Im Gespräch mit der Autorin am 6.8.2025.
[2] Iresco, Sodecoton und Afriland First Bank, Study to determine the decent income of a reference family of cotton producers in Cameroon in comparison with their real incomes based in the anker method, iresco-cm.org, April 2025.
[3] Vgl. Bettina Rühl, Eine Grüne Mauer in der Wüste? Wie die Sahelstaaten auf die Klimakrise reagieren, in: „Blätter“, 2/2025, S. 118-124.