Ausgabe Dezember 1990

Religionskrieg in Indien

Als Vishwanath Pratap Singh vor einem Jahr Ministerpräsident Indiens wurde, war er mit vielen Vorschußlorbeeren versehen. Singh galt als unbestechlich, moralisch integer und trug den Ruf eines effizienten "Mr. Clean", den sein Vorgänger Rajiv Gandhi schnell verloren hatte. V.P. Singh war unter Gandhi Finanz- und Verteidigungsminister gewesen, wurde aber geschaßt, da er die Anti-Korruptions-Kampagne der Regierung gegen das indische Großkapital zu ernst genommen und mit Kritik an dem Waffendeal mit der schwedischen Firma Bofors (und der bundesdeutschen HDW), von deren Schmiergeldern offenbar auch die Führung der Kongreßpartei profitiert hatte, nicht hinter dem Berg gehalten hatte.

Doch war der Amtsantritt Singhs gleichzeitig mit einem großen Fragezeichen bezüglich der Stabilität seiner Regierung versehen. Die von ihm geführte Minderheitsregierung der "Nationalen Front" (NF) verfügte im Unterhaus nur über 144 der 545 Sitze, war also auf die Unterstützung der hinduchauvinistischen BJP (Bharatiya Janata Party) und der beiden kommunistischen Parteien angewiesen, um gegen die mit 192 Sitzen stärkste Oppositionspartei, den Kongreß, bestehen zu können. Hinzu kam die Heterogenität der NF, die ihren Zusammenhalt in erster Linie aus der Ablehnung Rajiv Gandhis bezog. Schon als es um die Wahl des Ministerpräsidenten ging, hatte sich V.P.

Dezember 1990

Sie haben etwa 9% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 91% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe November 2025

In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Euphorie und Ernüchterung: Bangladesch nach dem Aufstand

von Natalie Mayroth, Dil Afrose Jahan

Im September fanden an der Universität Dhaka, einer der wichtigsten Hochschulen Bangladeschs, Wahlen zur Studentenvereinigung statt. Manche sehen sie als Testlauf für die nationalen Wahlen. Daher ist es ein Warnsignal, dass dort ausgerechnet der Studentenflügel der islamistischen Jamaat-e-Islami gewann.

Koloniale Nachwehen: Der Kampf um Kaschmir

von Amadeus Marzai

Ein brutaler Terroranschlag riss am Nachmittag des 22. April das idyllische Baisaran-Gebirgstal im von Indien kontrollierten Teil Kaschmirs aus seiner Ruhe. Es war der Beginn einer rapiden Eskalation im seit jeher angespannten indisch-pakistanischen Verhältnis und könnte sogar zum Ausgangspunkt eines größeren Krieges zwischen den beiden Nuklearmächten werden.

Südkorea: Vom Putschversuch zur Richtungswahl

von Fabian Kretschmer

Es ist mehr als nur ein Klischee, dass die südkoreanische Demokratie zu den lebhaftesten in ganz Asien zählt. Seit der Wahlkampf Anfang Mai offiziell eingeläutet wurde, sind die gläsernen Fassaden der Bürotürme in der Hauptstadt Seoul mit riesigen Plakaten der Spitzenkandidaten zugepflastert.