Ausgabe Oktober 1991

Georgien zwischen Phantasie und Fanatismus

Heute, am 8. September 1991, habe ich in Deutschland in den Nachrichten gehört, der georgische Präsident Zviad Gamsachurdia habe nun auch den KGB sowie das Justiz- und das Innenministerium persönlich übernommen. Der Weg in die Diktatur zeichnet sich schon lange ab. In den Abendnachrichten wurde dann noch von erneuten Kämpfen in Südossetien zwischen Osseten und Georgiern berichtet. Georgien verweigert Südossetien den Anschluß an das zu Rußland gehörende Nordossetien. Der Status des autonomen Gebietes wurde Südossetien von der Regierung Gamsachurdia schon unmittelbar nach ihrem Amtsantritt abgesprochen.

Seit gut einem Jahr gibt es dort Mord und Totschlag. Was ist los mit der von Sonne und Natur verwöhnten Kaukasusrepublik? Wohin ist die vielgerühmte georgische Toleranz entschwunden? In der malerischen Altstadt von Tbilisi stehen eine Moschee, eine jüdische Synagoge und eine orthodoxe Kirche fast nebeneinander. In Tbilisi haben sich sogar die Armenier mit den Aserbaidschanern vertragen, zwei nennenswerte Minderheiten im Vielvölkerstaat Georgien, der zu etwa 65% von Georgiern bewohnt wird. Daß der gute georgische Wein, die lyrischen Trinksprüche und die reichlich gedeckte Tafel nicht mehr reichen, um alle zu Schwestern und Brüdern zu machen, ist zum Teil die Schuld der Regierungspartei "Runder Tisch".

Oktober 1991

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