Ausgabe Mai 2002

Starker Pessimismus

Vom Zustand der Bundesrepublik Deutschland

Bei der Abstimmung zum Zuwanderungsgesetz im Bundesrat am 22. März wertete Ratspräsident Klaus Wowereit (SPD) ein gesplittetes Votum des Landes Brandenburg als "Ja", was die erforderliche Zustimmungsmehrheit erbrachte. Die juristisch umstrittene Entscheidung zieht politische Kreise und wirft, über die Aufgeregtheit eines Bundestagswahl-Jahres hinaus, grundsätzlichere Fragen nach dem "geistig-moralischen" Zustand (Helmut Kohl) dieser Republik auf. Wilhelm Hennis erklärt im Gespräch mit der "Blätter"-Redaktion, warum es sich bei dem Streit über das Abstimmungsverhalten im Bundesrat um mehr als eine "Formalie" handelt. Der prominente Jurist und Politikwissenschaftler betätigt sich seit über einem halben Jahrhundert als kritischer Begleiter der bundesrepublikanischen Politik, ohne das Etikett des Querdenkers zu fürchten. Mit großer Entschiedenheit engagierte Hennis sich zuletzt gegen alle Versuche, die Kohl- alias CDU-Parteispendenaffäre politisch und juristisch im Sande verlaufen zu lassen. - D. Red.

"Blätter": Starke Worte kursieren: Verfassungsbruch, Verfassungskrise, Verfassungskonflikt. Bald wird von einer Krise der Demokratie die Rede sein. Was steckt dahinter?

Hennis: Einen Verfall der demokratischen Regeln und Formen, wie sie das Grundgesetz vorgibt, beobachten wir seit langem.

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Aktuelle Ausgabe November 2025

In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

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