Bis vor kurzem war die Diskussion über Wünschbarkeit und mögliche Gestalt einer europäischen Verfassung eine fast ausschließlich akademische Angelegenheit. Die tatsächliche Entwicklung der europäischen Institutionen dagegen bestimmten pragmatische Kompromisse der Regierungen, die sich jeweils an dringenden Problemen oder vorrangigen sachlichen Zielen orientierten. So dienten die institutionellen Reformen der Einheitlichen Europäische Akte der Umsetzung des Binnenmarktprogramms; im Maastricht-Vertrag ging es in erster Linie um die Währungsunion; Amsterdam stand dann bereits im Schatten der Osterweiterung, und erst recht galt dies für die Verhandlungen über den Vertrag von Nizza.
Schon im Vorfeld von Nizza aber, insbesondere jedoch in Reaktion auf den allseits als unzulänglich kritisierten Vertrag ist nun eine aufs Grundsätzliche gerichtete Diskussion über die künftige Verfassung Europas aufgekommen. Sie hat die Regierungen offenbar so beeindruckt, dass sie zur Vorbereitung der nächsten Regierungskonferenz einen „europäischen Konvent“ einberufen und diesem auf dem Gipfel von Laaken ein erstaunlich weit reichendes Mandat erteilt haben. Wenn alles nach Plan geht, so wird dieser Konvent im Laufe des nächsten Jahres den Entwurf eines einheitlichen und umfassenden europäischen Verfassungsvertrages vorlegen.