Richard von Weizsäcker, Konformist und Außenseiter
In der Mitte entspringt nicht nur ein Fluß, auch der Präsident scheint ihr zu entstammen. "Mitte, die Mitte bleibt", textete Manfred Stolpe zum präsidialen Siebzigsten. Keiner kann sich dem entziehen. Als einzige hatten die Grünen sich 1989, einem Tabubruch gleich, gegen seine Wiederwahl gesperrt. Heute wäre das kaum der Fall.
Doch schon der damaligen Begründung haftete etwas Trotziges an: "Wenn, alle für ihn sind - von links bis rechts, von taz bis FAZ, von Schily bis Lambsdorff -, kann doch keiner ernsthaft gegen ihn sein (was schon fast wieder ein Grund ist, genau dies zu tun)." - Sommer 1989. Eine andere Epoche.
Tatsächlich umgreift die zehnjährige Amtsperiode des zum 30. Juni 1994 scheidenden Präsidenten beträchtliche Zäsuren. Anders als bei Gustav Heinemanns Wahl 1968 stellte sein Amtsantritt freilich keinen "Machtwechsel" dar. Die Carstens-Nachfolge wurde im Lichte des Konsensbedarfs der Nachrüstungs-Polarisierungen geradezu einvernehmlich geklärt. Weizsäckers Nominierung folgte auf die "Wende" von der sozial-liberalen zur Kohl-Regierung; er war nicht ihr Vorbote. Seine Amtszeit endet in einer "anderen" Republik, im Jahre 5 der Vereinigung. 1984 liegt weit zurück. An der Spitze hat sich ein politischer Generationswechsel vollzogen.