Man weiß nicht, was schlimmer ist: Daß für die Verkündung des Urteils in dem Strafprozeß gegen Egon Krenz, Günter Schabowski und Günther Kleiber beim Bundesgerichtshof ein Tag wie der 8. November bewußt ausgesucht oder gar vereinbart wird - oder daß das Gericht, dienstfertig und dem Zeitgeist verfallen, das Datum instinktiv fand? Damit man am Tage darauf, wieder an einem jener deutschen 9. November, diesmal dem zehnjährigen Jubiläum des Falles der Mauer, Schlagzeilen wie diese in den Zeitungen lesen kann: "Krenz muss wegen Totschlags ins Gefängnis", oder: "Urteile gegen Krenz, Schabowski, Kleiber bestätigt - 'Totschlag in mittelbarer Täterschaft'"? Man muß nichts mit den drei Angeklagten im Sinn haben, wenn man sich von der kaum zufälligen zeitlichen Koinzidenz und den Zeitungsaufmachern des diesjährigen 9. November abgestoßen fühlt. Und man muß das auch nicht - wie Egon Krenz - "Siegerjustiz" nennen. Es ist auch so schlimm genug.
In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.