Ausgabe Dezember 2003

Narrative versus normative Theorie

Demokratiediskurse in Frankreich

Mit dem folgenden Text erinnern die "Blätter" an einen ihrer Autoren – den vor einem Jahr, am 11. Dezember 2002, ganz unerwartet verstorbenen Rainer Rochlitz. Der Nachruf in "Le Monde" charakterisierte ihn als den "Passeur", den Fährmann, zwischen den Philosophien diesseits und jenseits des Rheins. "Passeur" ist auch der Fluchthelfer. Gewissermaßen geflohen ist Rainer Rochlitz 1967 aus dem Bonner "Treibhaus" – er brauchte frische Luft. Der junge Romanist und Philosoph gelangte über Florenz zunächst nach Bordeaux. Als er von dort nach Frankfurt zurückkehren wollte, erfuhr er vom Tod Adornos und ging stattdessen nach Paris. Lucien Goldmann, mit dem er eine Dissertation über den jungen Lukács verabredet hatte, starb ein Jahr später. Wiederum ein Jahr darauf beging Peter Szondi, mit dem er inzwischen Kontakt aufgenommen hatte, um seine Arbeit in Berlin abzuschließen, Selbstmord. Rochlitz blieb in Paris, habilitierte sich schließlich an der Sorbonne, heiratete, wurde 1981 französischer Staatsbürger – und konnte sich erst dann in der akademischen Welt Frankreichs etablieren.

Wie seine höchst originellen Arbeiten zur Ästhetik von Lukács, Benjamin und Adorno zeigen, war Rochlitz ein Philosoph aus eigenem Recht.

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In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

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