Ausgabe November 2004

Die Normalität des Referendums

Europäische Verfassung und deutscher Sonderweg

Bevor die Bundesregierung ihre sture Ablehnung eines Referendums über die EU-Verfassung aufgab, hatte sie sich angesichts ihres Umgangs mit dieser Frage (mindestens) zwei schwere Vorwürfe gefallen lassen müssen: Zum einen ließ sich die ablehnende Haltung beim besten Willen nicht mit der in den Wahl- und Regierungsprogrammen proklamierten Demokratisierung der Gesetzgebung mittels bundesweiter Volksentscheide in Übereinstimmung bringen; zum anderen konnte die verordnete deutsche Enthaltung an dem direkt vorgenommenen demokratischen Gründungsakt Europas, als den man eine Verfassungsgebung verstehen muss, als geschichtspolitische Beibehaltung eines bürokratischen, demokratiefernen deutschen Sonderwegs verstanden werden.

Während der erste Kritikpunkt mit der überraschend vom SPD-Parteivorsitzenden Franz Müntefering angekündigten Gesetzesinitiative zu einem Referendum nun erst einmal ruhig gestellt erscheint, bleibt die Kritik am allgemein- und geschichtspolitischen Umgang mit der Frage des Referendums bestehen. Dieser zweite Punkt betrifft nicht nur die Auseinandersetzung um deutsche Normalität und Tradition, sondern auch die politische Vergangenheitsbewältigung selbst.

Zunächst stellt sich jedoch die Frage, ob wir mit der Müntefering-Initiative einem Referendum tatsächlich näher gekommen sind.

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