Ausgabe Mai 2005

Holocaust und Vertreibung

Das ambivalente Gedenken der Kriegskindergeneration

Der dem Rechtsradikalismus zuneigende Historiker Ernst Nolte beklagte vor gut 20 Jahren, dass die nationalsozialistische Vergangenheit nicht vergehen wolle. Daran war so viel richtig, als historische Vergangenheiten nur so weit präsent und lebendig sind, wie es Menschen gibt, die sich ihrer erinnern wollen. Dieser Wille zur Erinnerung – wie auch der Wille zur Verdrängung – wird in aller Regel umso stärker sein, je mehr Menschen (noch) leben, die das, was zu erinnern ist, selbst miterlebt haben. Zeitzeugen aller Art werden uns noch viele Jahre begleiten – auch wenn sie weniger werden. Täter werden ebenfalls noch längere Zeit in dieser Gesellschaft leben – die jüngsten Wehrmachtssoldaten, die den Nationalsozialismus verteidigten, und SS-Männer, die seine Verbrechen exekutierten, gehen in diesen Jahren auf ihren 80. Geburtstag zu. Umgekehrt sind die Schülerinnen und Schüler, die über Auschwitz Bescheid wissen sollen und können, um 1990, nach dem Fall der Berliner Mauer, geboren. Sie sind mit der Generation der Täter oft nur noch als Enkel oder Urenkel verwandt, in vielen Fällen – als Kinder aus Immigrantenfamilien – überhaupt nicht. 60 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz rücken die dort und anderswo begangenen Verbrechen unwiderruflich in den Bereich des Historischen, des Gewesenen.

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Aktuelle Ausgabe November 2025

In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

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