
Die aktuellen Proteste gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 und gegen die Atompolitik der Bundesregierung markierten den Aufbruch einer „APO 2.0“, meinte Claus Leggewie („Blätter“, 11/2010). Aber sind sie nicht eher Indizien einer veränderten Beziehung zwischen Repräsentanten und Repräsentierten?
Proteste in Griechenland gegen die Misswirtschaft, in Frankreich gegen die Rentenpläne der Regierung, die Bürgerproteste in Stuttgart rund um das gigantische Bahnhofsprojekt und in Gorleben gegen die Atompolitik: Allerorten wird demonstriert, protestiert, ja geradezu der Aufstand des Volkes gegen seine politischen Repräsentanten geprobt. Die Medien und die Wissenschaften sind irritiert und unsicher, ob es sich bloß um eine zufällig geballte Anhäufung von öffentlicher Willensbekundung handelt, oder ob hinter der auffälligen Dichte eine strukturelle Veränderung sichtbar wird, die auf neuartige politische Attitüden oder auf ein verändertes Demokratieverständnis hindeutet.
Anzeichen für ein gewandeltes Demokratieverständnis in den westlichen Staatensystemen gibt es schon länger. In der Politikwissenschaft werden seit Jahren Ermüdungserscheinungen der Bürgerinnen und Bürger in den Industriestaaten diskutiert, in deren Rahmen das politische Interesse und die Bereitschaft zur Teilnahme an Wahlen bedenklich sinken.