Das demokratische Denken Carl von Ossietzkys
Als am 20. Oktober des 40. Jahrestages der Verleihung des Friedensnobelpreises an Herbert Frahm alias Willy Brandt gedacht wurde, erinnerten sich wohl nur einige wenige daran, dass 35 Jahre zuvor einem anderen deutschen Außenseiter dieselbe Ehre zuteil geworden war: Am 23. November 1936 wurde Carl von Ossietzky, dem Herausgeber der „Weltbühne“, rückwirkend der Friedensnobelpreis des Jahres 1935 zugesprochen.[1] Dennoch wird der zwei Jahre später im KZ Esterwegen brutal zugrunde gerichtete Ossietzky in Darstellungen der Weimarer Republik nur gelegentlich zitiert; von einer echten Rezeption seiner politischen Gedanken kann man bis heute nicht sprechen.[2]
Zwei Gründe dürften dafür ausschlaggebend sein. Zum Ersten: Ossietzky war Journalist, kein Wissenschaftler. Er kommentierte das Tagesgeschehen, er erforschte es nicht. Er zeigte weder Veranlagung noch Neigung, Theorien zu bilden und die vielfältige Wirklichkeit in Systemen zu erfassen. Schon gar nicht hat er sich einer Theorie angeschlossen. Das betrifft trotz seiner Nähe zur Arbeiterbewegung auch die Marxsche. Somit ist Ossietzky keiner politischen Strömung eindeutig zuzuordnen oder gar von dieser zu vereinnahmen. Da er seine Äußerungen zum Tagesgeschehen nicht aus einem theoretischen Vorverständnis ableitete, lassen sich ihnen nicht unmittelbar grundsätzliche Auffassungen entnehmen.