Ausgabe Dezember 2012

»Begehre mich!«

Die existenzielle Bedeutung der Liebe in der Moderne

Vielen Philosophen galt die Liebe als eine Form von Wahnsinn.[1] Doch handelt es sich dabei um eine höchst eigentümliche Form von Wahnsinn, die ihre Macht daraus bezieht, das Ich zu erhöhen und mit einem gesteigerten Gefühl seiner eigenen Macht auszustatten. Die romantische Liebe wertet das Selbstbild durch die Vermittlung des Blicks eines anderen auf. Um einen der Klassiker zu diesem Thema zu zitieren, Goethes „Leiden des jungen Werther“: „Mich liebt! – Und wie wert ich mir selbst werde, wie ich – dir darf ich’s wohl sagen, du hast Sinn für so etwas – wie ich mich selbst anbete, seitdem sie mich liebt!“[2]

Wenn man liebt, wird der andere zum Gegenstand unkritischer Beachtung, wie David Hume mit trefflicher Ironie feststellt: „Jemand, der in sinnlicher Begierde entbrannt ist, fühlt wenigstens eine vorübergehende freundschaftliche Gesinnung für den Gegenstand derselben und hält ihn gleichzeitig für schöner als sonst.“[3] Und Simon Blackburn merkt an: „Liebende sind nicht wirklich blind: Sie sehen durchaus die Cellulitis, die Warzen und das Schielen des anderen, das Merkwürdige ist nur, dass sie sich nicht nur nicht daran stören, sondern es vielleicht sogar bezaubernd finden.“[4] Solche Versöhnlichkeit wohnt der Liebe inne und führt dazu, dass das Liebesobjekt sich selbst (zeitweilig) deutlich mehr schätzt.

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Aktuelle Ausgabe November 2025

In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

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