In der letzten Ausgabe der »Blätter« kritisierte der Historiker Tim B. Müller die These vom „deutschen Sonderweg“, nach dem spezifisch deutsche Traditionen in den Nationalsozialismus geführt haben. Darauf antwortet nicht minder kritisch »Blätter«-Herausgeber Detlef Hensche.
In Krisenzeiten wächst der Bedarf an Orientierung. Die Geschichtswissenschaft will uns da nicht im Stich lassen. Nachdem wir gestern Entlastendes über den Ausbruch des Ersten Weltkrieges erfuhren, lesen wir nunmehr Ähnliches über den Untergang der Weimarer Demokratie. Der Machtantritt der Nationalsozialisten war demnach bloß Ergebnis „verfehlten Krisenmanagements“: eine „Kette falscher Entscheidungen von Hindenburg, Papen und einigen anderen Antidemokraten“, deren Aufstieg ins Zentrum der Macht erst durch das Versagen der Regierung Brüning möglich geworden sei. Andere Kräfte und Faktoren, so Tim B. Müller weiter, seien nicht am Werk gewesen, von einem angeblichen „deutschen Sonderweg“ und der mit ihm konnotierten „Untertanengesellschaft“ könne keine Rede sein. Im Gegenteil: Die Entstehungsmöglichkeiten der eigentlich durchaus stabilen Weimarer Demokratie seien bereits im Wilhelminischen Reich gelegt worden.
Die Sichtweise verblüfft. Das Ergebnis ist eine entkernte Geschichte.