Ausgabe November 2022

Hundert Jahre Krise: Das türkisch-griechische Drama

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan beim ersten Treffen der neuen Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPC) in Prag, 6.10.2022 (IMAGO/CTK Photo/Katerina Sulova)

Bild: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan beim ersten Treffen der neuen Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPC) in Prag, 6.10.2022 (IMAGO/CTK Photo/Katerina Sulova)

Wir könnten eines Nachts ganz plötzlich kommen“, drohte Recep Tayyip Erdoğan Griechenland während des Gründungsgipfels der Europäischen Politischen Gemeinschaft Anfang Oktober in Prag – und das zum wiederholten Male. Denn schon Anfang September hatte der türkische Staatschef seinem Nachbarn wegen der angeblichen Ausrichtung eines griechischen Luftverteidigungssystems auf türkische Kampfjets gedroht und Athen eine Militarisierung griechischer Inseln in der Ostägäis vorgeworfen. Der sich zuspitzende Konflikt zwischen den beiden Nato-Partnern hat eine lange Vorgeschichte. 1919 begann ein dreijähriger griechisch-türkischer Krieg. Das Osmanische Reich war nach dem Ersten Weltkrieg zerfallen. Im Vertrag von Sèvres – der türkischen Version von Versailles – wurde 1920 seine Niederlage besiegelt und das Territorium unter den Alliierten aufgeteilt. Griechenland witterte eine historische Chance. Der nationalistische Premierminister Eleftherios Venizelos träumte von der Verwirklichung eines neuen Großreiches unter Einbeziehung von Gebieten in Anatolien, die seit der Antike zum griechischen Siedlungsraum gehörten. Für die Türkei ging es dagegen um die Existenz als Nation und die Rückeroberung der nach dem Ersten Weltkrieg von Griechenland besetzten Gebiete.

Im Lausanner Vertrag von 1923 einigte sich die Türkei mit den Alliierten und Griechenland schließlich über gegenseitige Gebietsansprüche.

»Blätter«-Ausgabe 11/2022

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