Kosmopolitismus und die postkoloniale Kritik

Bild: Migrant:innen an der Grenze zwischen Mexiko und den USA. Die kosmopolitische Perspektive verpflichtet uns, schreibt Seyla Benhabib, lange bevor die Migranten und Flüchtlinge vor der Tür stehen, zu untersuchen und zu analysieren, wie unsere nationalen und regionalen Politiken zu solchen Bewegungen beitragen. Foto vom 10.1.2024 (IMAGO / USA TODAY Network)
Die zahlreichen Krisen der Europäischen Union, der Brexit, der Aufstieg von Autokratien und Autoritarismen, die Tatsache, dass Parteien mit faschistischer Ausrichtung oder mit Sympathien für den Nationalsozialismus wieder an die Macht kommen – all das sind Entwicklungen, die den Glauben an die universellen Menschenrechte und das Ideal des Friedens zwischen den Nationen, der durch eine normenbasierte internationale Ordnung erreicht werden sollte, erschüttert haben. Angesichts dieser weltpolitischen Veränderungen den Kosmopolitismus zu verteidigen, mag dem sprichwörtlichen Vogel Strauß gleichen, der den Kopf in den Sand steckt. Aber die Frage ist: Welche Alternativen gibt es? Wie lässt sich die Aufgabe der Rekonstruktion anstelle der Hermeneutik des Misstrauens angehen?
Mein Ziel ist es, die Kritik am Kosmopolitismus in ihren verschiedenen Formen, ob postkolonial oder dekolonial, einer genaueren Betrachtung zu unterziehen. Ich nehme diese Kritiken ernst und bin der Ansicht, dass sich der Kosmopolitismus auch weiterhin verteidigen lässt, indem man ihn von der Geschichte des westlichen Kapitalismus und dem Zeitalter des Imperialismus und Kolonialismus loslöst. Tatsächlich hat es bereits bedeutende Entwicklungen gegeben, die das Völkerrecht von einer eurozentrischen und staatsorientierten Perspektive hin zu einer stärker kosmopolitischen Dimension verschoben haben.