Ausgabe Januar 2026

Der Kampf um Grönland: Versöhnung als Geopolitik

Die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen (Mitte) entschuldigte sich im September in Nuuk bei betroffenen Frauen von Zwangsverhütungen, 24.9.2025 (IMAGO / Ritzau Scanpix)

Bild: Die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen (Mitte) entschuldigte sich im September in Nuuk bei betroffenen Frauen von Zwangsverhütungen, 24.9.2025 (IMAGO / Ritzau Scanpix)

Die Stadt Karlsruhe könnte schon bald vor einem Dilemma stehen. Im Januar 2025 zeichnete sie ihren langjährigen Stadtvertreter Tom Høyem (FDP) mit der Ehrenmedaille aus.[1] In den 1980er Jahren war der gebürtige Däne, mittlerweile auch deutscher Staatsbürger, Dänemarks letzter Minister für Grönland – ein Amt aus der Kolonialzeit, dessen Abschaffung 1987, acht Jahre nach Einführung der grönländischen Selbstverwaltung, besiegelt wurde. Dies wäre kaum erwähnenswert, hätte Høyem in jüngster Zeit nicht selbst wieder die Öffentlichkeit gesucht.

Seit Donald Trumps erneuter Ankündigung, Grönland notfalls auch mit Gewalt unter US-Kontrolle bringen zu wollen, richtet sich der Blick der Öffentlichkeit zunehmend auch auf Dänemarks Bemühungen, seine Kolonialgeschichte in der Arktis aufzuarbeiten und sich mit den international umworbenen und Unabhängigkeit fordernden Grönländern zu versöhnen. Beide Entwicklungen – die geopolitische und die erinnerungspolitische – sind inzwischen so eng miteinander verflochten, dass sie nur im Zusammenspiel verstanden werden können.

Ende 2024 bezeichnete Grönlands damaliger Ministerpräsident Múte B. Egede das ab 1960 erfolgte, systematische und oft ohne Zustimmung durchgeführte Einsetzen von Verhütungsspiralen bei minderjährigen Inuit als Völkermord. Egedes Urteil war nicht juristisch, sondern politisch.

»Blätter«-Ausgabe 1/2026

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