Ausgabe August 1990

Von der Geschichte verurteilt?

Zu Werner Hofmanns Analyse der geschichtlichen Tendenz der Entwicklung in den sozialistischen Staaten

Nicht nur der Stalinismus, sondern der Sozialismus überhaupt ist gescheitert.

Diese Behauptung wird nicht nur in Wahlkämpfen heute vollmundig proklamiert, sondern sie scheint auch durch die atemberaubende Entwicklung in den bisherigen Ostblockstaaten bestätigt und beherrscht weithin bei uns die öffentliche Meinung. Überholt und ad absurdum geführt scheint die These, die der verstorbene Marburger Soziologe Werner Hofmann 1967 angesichts des mit Stalins Tod begonnenen Wandlungsprozesses in der Sowjetunion aufstellte: "Der eingetretene Wandel kann heute nicht mehr angemessen als bloßer 'Abbau des Stalinismus' gedeutet werden. Er bezeichnet vielmehr den Aufbruch zu neuen Inhalten der sozialistischen Ordnung, für die es auch in den Ländern des sowjetischen Typs bisher kein Vorbild gibt." (Stalinismus und Antikommunismus, Frankfurt/M. 1967, S. 123.) Wir fragen: I. Wie begründete Hofmann dies Urteil damals? II. Ist es heute überholt? III. Welches "neue Denken" ist gefordert? Ad I.

1. Die stalinistische Deformation des Sozialismus ist für Hofmann unbestreitbar.

Quasimilitärische Strukturen bestimmten weithin das Verhältnis der Partei zu Staat und Gesellschaft. Es fehlte eine wirkliche "Kontrolle von unten", es gab kein Mehrparteienprinzip, jedenfalls nicht im Sinn gleichberechtigter konkurrierender Richtungen.

August 1990

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