Ausgabe Februar 1990

Deutsch-deutsches Sicherheitsmodell 2000

Vorschlag des Vorsitzenden der SED-PDS, Gregor Gysi vom 6. Januar 1990 (Wortlaut)

Auf einer Tagung des Parteivorstandes der SED-PDS legte Gregor Gysi am 6.1.1990 den nachstehenden, international beachteten Vorschlag vor, die beiden deutschen Staaten sollten in der vorgesehenen "Vertragsgemeinschaft" kooperative Sicherheitsstrukturen vereinbaren. D. Red.

Kann Europa abrüsten?

Diese Frage Friedrich Engels war im vorigen Jahrhundert utopische Vision. Heute ist sie greifbare Realität. Der Tradition der Arbeiterbewegung folgend, tritt die SED-PDS dafür ein, daß die beiden deutschen Staaten im Zentrum Europas mit der Entmilitarisierung beginnen, in ihrer Vertragsgemeinschaft kooperative Sicherheitsstrukturen festlegen. Das beginnt mit der Denkungsart. Nicht Feind, nicht Gegner, sondern Sicherheitspartnerschaft, nicht Abschreckung, sondern Vertrauen. Das wird konkret durch radikale Abrüstung.

Wer hindert die beiden deutschen Staaten, ihre Streitkräfte bis 1991 um 50 Prozent zu reduzieren? Wäre es nicht ein gegenseitiger Vertrauensbeweis, wenn beiderseits der Grenze eine enimilitarisierte Zone entstünde? Wenn es weder Tiefflüge noch Landungsschiffe und U-Boote gäbe? Atomare Waffen, auch in Depots, gehören nicht auf deutschen Boden. Übungs- und Sperrgebiete könnten Erholungszonen für Menschen und Natur werden. Freiwerdende Mittel aus dem Verteidigungshaushalt der beiden deutschen Staaten wären einem gemeinsamen Fonds für ökologische Großvorhaben zuzuführen. Wir sind keine Phantasten. Beide deutsche Staaten gehören zu unterschiedlichen Militärbündnissen. Stehende Heere der europäischen Staaten in einer Größenordnung von mehr als sechs Millionen Soldaten lassen sich nicht von heute auf morgen beseitigen.

Aber bis zum Jahre 2000 wäre es möglich, ihnen jegliche Angriffsfähigkeit zu nehmen. Für die Ausgestaltung der Vertragsgemeinschaft mit der BRD auf militärischem Gebiet schlägt die SED-PDS vor:

1. Die Nationale Volksarmee und die Bundeswehr werden auf 50 Prozent ihres jetzigen Bestandes reduziert.

2. Jegliche Modernisierung von Waffen und Kriegsgerät wird eingestellt.

3. Die allgemeine Wehrpflicht wird in beiden Staaten auf 12 Monate festgelegt. Auf Anregung unseres außerordentlichen Parteitages hat die Regierung der DDR der Volkskammer einen entsprechenden Vorschlag unterbreitet.

4. Beiderseits der Grenzen in einer Entfernung von 50 bis 80 Kilometern werden keine Einheiten über Kompaniestärke kaserniert. Übungsplätze in diesem Gebiet werden liquidiert. 5. Jegliche Tiefflugübungen sind ab sofort untersagt.

6. In der Ostsee unterhalten die beiden Staaten weder U-Boote noch Landungsschiffe.

7. Die Rüstungsproduktion bzw. Rüstungskäufe werden entsprechend der Zielstellung erheblich reduziert. Waffenverkäufe werden außerhalb der jeweiligen Bündnisse verboten.

8. Die Verbündeten werden aufgefordert, ihre Truppen auf den vollständigen Abzug schrittweise bis 1999 planmäßig vorzubereiten, beginnend in der Grenzzone. Tiefflüge ihrer Luftstreitkräfte sind einzustellen.

9. Kernwaffen und chemische Waffen sind bis zum Jahre 1991 vom Territorium der BRD und der DDR abzuziehen.

10. Die zivile Rehabilitation von Berufssoldaten wird planmäßig und großzügig ohne soziale Nachteile erfolgen. Ein pensionierter Soldat ist billiger als ein aktiver Soldat. Ohne Abbau der militärischen Gegnerschaft zwischen beiden deutschen Staaten ist jedes Wort über die Einheit der Nation unglaubwürdig.

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