Ausgabe April 1992

Die Mühen des Dialogs

Versuch eines Psychogramms der (sudeten)deutsch-tschechischen Beziehung

Das Zusammenleben von Tschechen und Sudetendeutschen als freie Bürger in einem gemeinsamen Staat ist im Herbst 1938 zu Ende gegangen. Das ist inzwischen mehr als fünfzig Jahre her. Was da nach kam, war ein Verhältnis zwischen Siegern und Besiegten, in dem die beiden Parteien nach sieben Jahren nur die Rollen wechselten. Zuerst siegten die Sudetendeutschen. Die Bilder der nach der Besetzung der tschechoslowakischen Grenzgebiete Adolf Hitler zujubelnden Sudetendeutschen sind im tschechischen Gedächtnis bis heute tief eingegraben, unzertrennlich verbunden mit der größten Katastrophe der modernen tschechischen Geschichte, der Zerstörung der ersten tschechoslowakischen Republik.

Die damals erlebten Gefühle der Ohnmacht, des Ausgeliefertseins dem großen Nachbarn gegenüber, die Enttäuschung über den Verrat der Verbündeten, die aktuelle Bedrohung der nationalen Existenz, die Schmach der kampflosen Kapitulation verdichteten sich zu einem bis in die Gegenwart wirkenden Trauma. Das zeigten unlängst auch die Irritationen im Umfeld der Unterzeichnung des Nachbarschaftsvertrages zwischen der CSFR und der BRD. Die Heterogenität dieses "Münchener Komplexes" der aus historischer Erfahrung, Vorurteilen, uralten Ängsten, nationalen Instinkten und allerlei Emotionen besteht, macht seine Unberechenbarkeit aus. Er ist jederzeit aktivierbar - und auch manipulierbar.

April 1992

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