Feiern oder Weinen
„Wir", sagen mir Studenten indianischer Herkunft in Bolivien, auf die Frage, was die 500-Jahresfeier für sie bedeutet, „wir können weder feiern noch Rache fordern, noch verlangen, daß sie uns die 500 Jahre der Herrschaft, des Opfers, der Zerstörung, der Verwahrlosung bezahlen." Der 12. Oktober 1492, als Christoph Kolumbus auf der Karibikinsel Guanahani landete, ist ein weltgeschichtliches Datum, aber die Sprache der Sieger, die einzige, in der Europäer zu denken gelernt haben, wird der Realität nicht gerecht: wir sagen Entdeckung, wenn wir Invasion meinen, Zivilisierung, wenn wir das Joch der fremden Kultur, das die Eindringlinge den einheimischen Bewohnern aufzwangen, meinen. Die Kirche sprach von Evangelisation, wenn sie Zerstörung der Tempel und Heiligtümer anderer meinte, der Staat von Ordnung und Befriedung, als Zwangsarbeit und Ausplünderung notwendig erschienen. Die Jubelfeiern, die von großen Institutionen immer noch unter dem Titel Entdeckung Amerikas begangen werden, befördern das falsche Geschichtsbewußtsein. Dabei gäbe das Datum genug Anlaß für Europäer, Aufklärung über sich selbst zu gewinnen.
In der Geschichte Spaniens ist 1492 nicht nur das Jahr, in dem die koloniale Eroberung dessen, was wir heute zur Dritten Welt rechnen, beginnt, es ist auch das Jahr der Judenvertreibung.