Auch heute kann man gelegentlich noch hören oder lesen, daß es den Tschechen in Österreich-Ungarn gut gegangen sei und sie keinen Grund gehabt hätten, an der Zerstörung der alten Monarchie so aktiv mitzuwirken. Danach werden in der Regel alle die Vorteile aufgezählt, die die Tschechen in dem k.u.k. Staat genossen, vom eigenen Schulwesen bis zum Anteil an der wirtschaftlichen Entwicklung. In diesem Sinne hat sich sogar Golo Mann in seinem Artikel zum 70. Jahrestag der Tschechoslowakei in der "Zeit" geäußert. Mag dies alles auch zutreffen, eine wichtige und letztlich entscheidende Komponente wird in solchen Betrachtungen ausgeblendet: Die innere Befindlichkeit eines Volkes, die sich eben von außen schwer nachvollziehen läßt.
Die Tschechen des ausgehenden 20. Jahrhunderts sind schon souverän genug, um den Vorwurf der Zerstörung der Monarchie lächelnd hinzunehmen, mit der Anmerkung, heute wüßte man die Vorteile des Vielvölkerstaates zu schätzen und von einem "Völkergefängnis" könne natürlich keine Rede sein. Ihre Vorfahren aber konnten damals nicht anders, sie fühlten sich unterdrückt, und die Wiedererlangung der staatlichen Souveränität stellte für sie die Krönung des emanzipatorischen Prozesses dar.